gut aussah, wenn er sich weiterhin so schroff zeigte. »Natürlich«, lenkte er ein. »Eine schreckliche Sache! Ich habe es nie für eine gute Idee gehalten, dass sie jedem dahergelaufenen Menschen ihren Schmuck gezeigt hat. Einmal musste das ja böse enden. Aber dass man sie gleich umbringt …«
»Können Sie sich auch ein anderes Motiv außer dem Schmuck vorstellen?«
Winkler wetzte unruhig auf seinem Sessel herum. »Hören Sie, ich will jetzt in Ruhe mein Bier trinken«, gab er Leopold zu verstehen. »Ich schätze Ihre Anteilnahme, aber deswegen muss ich Ihnen nicht Rede und Antwort stehen.«
»Sie würden mir außerordentlich helfen, wenn Ihnen etwas einfallen würde«, ließ Leopold nicht locker. »Der arme Kerl, den sie verhaftet haben, ist nicht nur ein Kollege, sondern auch ein Freund von mir. Ich kenne ihn gut. Der tut so etwas nicht. Er bringt es nie im Leben fertig.«
»Haben Sie eine Ahnung, was die Menschen alles fertigbringen, wenn’s um die Marie geht«, meinte Winkler abschätzig.
»Trotzdem frage ich mich, ob es nicht auch einen anderen Grund gegeben haben könnte, Ihre Frau – verzeihen Sie, Ex-Frau – umzubringen.«
»Hunderte«, grinste Winkler Leopold schäbig ins Gesicht. »Ich selbst habe mich mehrmals mit dem Gedanken getragen, sie zu töten, habe Pläne gewälzt, den perfekten Mord betreffend. Schließlich habe ich mich doch lieber scheiden lassen. Das war unkomplizierter.«
»Welche Rolle hat denn ihre Verletzung …?«
Leopold getraute sich jedoch nicht, diesen Satz zu vollenden, so sehr zeigte ihm Winklers durchdringender Blick, für wie deplatziert er die Frage hielt. Oliver deutete ihm in wilden Zeichen an, er solle den Gast in Ruhe lassen. »Das gehört sich nicht, so aufdringlich zu sein«, eröffnete er Leopold, als sie unter sich waren.
»Da gehen die Meinungen auseinander. Das ist doch der Mann von der Winkler«, raunte der ihm zu. »Den muss ich schon ein bisschen ausfratscheln. Schließlich geht es um Davids Unschuld.«
»So kommst du aber bei dem nicht weiter«, beteuerte Oliver. »Er trägt die Nase ganz schön oben. Für den sind wir Servicepersonal, sonst nichts. Vergräm ihn nicht! Angeblich hat er sich bei uns wegen einer Kleinigkeit jahrelang nicht blicken lassen. Dann hatte er ein paar Engagements an der Volksoper, seither kommt er wieder. Hoffentlich macht er uns dort nicht schlecht.«
Ungern ließ Leopold Gottfried Winkler daraufhin in Ruhe. Er beobachtete ihn nur während seiner Arbeit aus den Augenwinkeln, wie er sein Bier trank und dazwischen immer wieder auf die Uhr schaute.
Dann hörte er ein Geräusch, das er bereits kannte: das Geräusch einer mit Inbrunst falsch gesummten Melodie. Burckhardt war da. Er bestellte einen kleinen Mokka, zahlte gleich und blieb, nachdem er zu summen aufgehört hatte, schweigsam. Eigentlich mussten er und Winkler sich doch kennen, ging es Leopold durch den Kopf. Dennoch nahmen sie, in entsprechendem Abstand zueinander sitzend, keine Notiz voneinander.
Kaum versuchte Leopold, ein Gespräch mit Burckhardt anzuknüpfen, trank dieser seinen Kaffee aus, stand auf und ging zur Tür hinaus. Nun hatte es auch Winkler eilig. »Zahlen!«, rief er Leopold herbei.
»Bitte sehr, bitte gleich!« Dienstbeflissen setzte sich Leopold in Bewegung. Trinkgeld erhielt er freilich keines. Wie zur Revanche blieb er vor Winkler stehen und klimperte mit den Münzen in seiner Hand.
»Ist noch was?«, schnauzte Winkler ihn an.
»Leider sind Sie so einsilbig«, setzte ihm Leopold auseinander. »Deshalb bin ich’s jetzt auch. Aber ich kenne mich ein bisschen in der Theaterszene aus. Die ›Grillparzer-Geschichte‹ ist wieder aktuell, habe ich gehört.«
Winkler lief rot im Gesicht an. Er fing sich gleich wieder, aber eine Verunsicherung war deutlich zu erkennen. »Was wollen Sie?«, fragte er.
»Beehren Sie uns bald wieder«, legte ihm Leopold ans Herz. »Vielleicht haben wir dann mehr Zeit für ein Plauscherl.«
Winkler fixierte ihn noch einmal böse und war dann auch schon aus dem Lokal draußen. Leopold gratulierte sich im Stillen. Er hatte einen Köder ausgelegt, und der erste Fisch hatte bereits angebissen.
*
Am frühen Abend schaute Seniorchef Moritz Bäcker für gewöhnlich auf einen Sprung im Schopenhauer vorbei. Die Auswahl an alten Stammgästen, die er bereits selbst betreut hatte, war meist groß, sodass er keine Schwierigkeiten hatte, einen Gesprächspartner für einen Plausch zu finden. Diesmal blieb er jedoch im Thekenbereich stehen, um mit Leopold ein paar Worte zu wechseln.
Der alte Bäcker trat immer noch würdevoll auf. Die leicht gewellten Haare, von denen er eine Locke verführerisch in die Stirn fallen ließ, hatten dieselbe Fülle wie eh und je, sie waren nur grau geworden. Das Gesicht wirkte trotz der paar Fältchen mehr genauso frisch wie vor 20 Jahren. Wenn er es wollte, konnte er bei Frauen auch heute noch erfolgreich sein. Leopold verstand, warum Frau Heller in Erinnerungen an ihn schwelgte.
»Das ist eine besondere Ehre«, begrüßte Bäcker ihn. »Mein Lebetag hätte ich mir nicht gedacht, dass der Herr Leopold einmal bei uns arbeiten würde.«
»Na ja, die Umstände«, meinte Leopold achselzuckend.
»Wie hat es die Sidonie aufgenommen?«, wollte Bäcker wissen.
»Sie lässt dich schön grüßen«, richtete Leopold ihm aus.
Bäckers Augen funkelten. »Sie ist immer noch eine ausnehmend fesche Frau«, schwärmte er. »Ich habe Fotos von ihr im Internet gesehen.«
»Sie würde dich gern wieder einmal sehen.«
Bäcker entfuhr ein Lachen. »Das ist schön«, freute er sich. »Ich fürchte nur, es wird kompliziert. Wir wollten uns schon einmal in den letzten Jahren treffen, konnten uns aber nicht einigen, wo. Ich wollte nicht ins Heller kommen, sie nicht ins Schopenhauer. Man wird eigenbrötlerisch und stolz mit dem Alter.«
Leopold wiegte vorsichtig den Kopf hin und her. »Ein Abendessen in einem netten Restaurant würde ihr sicher gefallen«, schlug er vor.
»Vielleicht wird’s ja was, nach so langer Zeit«, befand Bäcker. »Wie geht es ihr? Was macht das Geschäft?«
»Alles bestens«, antwortete Leopold ausweichend.
»Sie wird es mir dann wohl selber erzählen. Und wie hast du dich bei uns eingelebt?«, wechselte Bäcker das Thema.
»Es braucht noch seine Zeit«, gab Leopold Auskunft. »Alles ist ein bisschen anders. Die Adjustierung zum Beispiel.« Er deutete auf sein weißes Hemd, in dem er sich immer noch ziemlich nackt vorkam.
»Das sind die Ideen meines Sohnes Herbert«, berichtete Bäcker. »Ich habe noch auf die Tradition gehalten, aber heute ist das offenbar nicht mehr so wichtig. Hast du übrigens schon etwas herausgefunden?« Er war eingeweiht und natürlich neugierig.
»Da bin ich wohl erst zu kurz da«, erinnerte Leopold den Seniorchef. »Du könntest mir aber ein bisschen helfen. Was weißt du über Katja Winkler und ihren Bekanntenkreis?«
»Sie war eine undurchsichtige Frau, hat sich nie in die Karten blicken lassen«, gab Bäcker an. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Sie hat erst hier im 18. Bezirk gelebt, seit sie von Gottfried Winkler geschieden war. Vorher war sie eine waschechte Floridsdorferin. Wusstest du das nicht?«
»Nein«, antwortete Leopold verdattert. Da hätte sie doch auch im Heller verkehren müssen. Auf dem Foto, das er von Richard Juricek erhalten hatte, war sie ihm jedoch nicht bekannt vorgekommen. Hatte sie sich derart verändert?
»Du siehst, du kannst dich auch in deiner Heimat auf die Spurensuche machen, nicht nur bei uns. Sie hat oft im Theater am Spitz gespielt«, informierte Bäcker ihn.
»Weißt du etwas über ihren Unfall? Das war doch ein entscheidender Einschnitt in ihrem Leben«, erkundigte Leopold sich.
»Darüber hat man nie Genaueres erfahren«, gab Bäcker sich bedeckt. »Sie ist in der Nacht die Treppe hinuntergestürzt, angeblich alkoholisiert. Ihr