Hermann Bauer

Grillparzerkomplott


Скачать книгу

      Kapitel 5

      Mittwoch, 17. Oktober, Mittag

      Als Leopold nach Beendigung seines Dienstes im Heller noch einen Sprung im Kommissariat vorbeimachte, ehe er ins Schopenhauer weiterfuhr, wurde er bereits von Oberinspektor Juricek erwartet. »Wir haben David Panozzo noch einmal verhört«, ließ er ihn wissen. »Er wird jetzt dem Haftrichter vorgeführt. Wenn du möchtest, darfst du vorher ein paar Worte mit ihm wechseln.«

      Leopold nahm das Angebot dankend an. David staunte nicht schlecht, als er ihn sah. »Was machst du denn hier?«, fragte er.

      Leopold erklärte ihm die Lage. »Du hast diese Frau doch nicht wirklich umgebracht?«, wollte er dann wissen.

      »Aber nein! Es ist nur alles irrsinnig blöd gelaufen«, versicherte David.

      »Versuche, dich an deinen letzten unglücklichen Besuch bei ihr zu erinnern. Ist dir etwas aufgefallen, was anders war als sonst?«, fragte Leopold weiter.

      »Die Rotweinflasche und das Glas sind nicht auf dem Wohnzimmertisch gestanden. Frau Winkler hat für gewöhnlich daraus getrunken, wenn ich zu ihr gekommen bin. Aber ich habe dem keine Bedeutung zugemessen, da sie am Telefon ja gesagt hatte, sie sei krank.«

      »Hast du irgendwo einen Aschenbecher bemerkt?«

      David schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre mir aufgefallen.«

      »Auch nicht neben der Leiche?«

      David verneinte nochmals. Das kam Leopold bereits komisch vor. Wo war der Aschenbecher hergekommen? Er stellte nun Fragen zur Person der Toten: »Was war diese Katja Winkler für eine Frau? Wie hat sie sich im Schopenhauer verhalten?«

      »Sie war seltsam«, gab David sofort an. »Das ist nicht nur meine Meinung, das habe ich auch von meinen Kolleginnen und Kollegen im Schopenhauer gehört. Manchmal blieb sie länger da, manchmal nur kurze Zeit. Dabei ist sie allein gesessen und hat Rotwein getrunken. Sie hat immer einen unruhigen und nervösen Eindruck gemacht, so als ob sie auf jemanden gewartet hat, der dann doch nicht gekommen ist.«

      »Kein geselliger Typ also«, konstatierte Leopold. Er wusste, dass Schauspieler in ihrem Privatleben gern zurückgezogen agierten, auch wenn sie auf der Bühne einen ganz anderen Eindruck vermittelten.

      »Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber auf mich hat es den Eindruck gemacht, als ob das mit ihrer Verletzung und dem damit verbundenen Ende ihrer Karriere zusammenhing«, erzählte David weiter. »Sie wirkte so überhaupt nicht fröhlich, verbittert eher. Ein paar ältere Männer haben sie zeitweise angegafft, da hat man richtig gesehen, dass ihr das wehgetan hat. Manchmal hat sie ein krampfhaftes Lächeln aufgezogen. Aber in ihrem Inneren hat es anders ausgesehen, das hat man gemerkt.«

      »Hast du dich gut mit ihr verstanden?«

      David Panozzo zuckte mit den Achseln. »Notgedrungen«, gab er zu. »Ich war immer nett und freundlich zu ihr, wie das bei uns im Schopenhauer so Sitte ist. Wenn sie es wollte, habe ich ihre Einkäufe in die Wohnung gebracht.«

      Dank der ganzen Freundlichkeit hat er sich nur einen Mordverdacht eingehandelt, dachte Leopold bei sich. Im Stillen war er froh, dass er sich mit seiner strengeren Art solche Unannehmlichkeiten ersparte. »Du warst ihr sympathisch, denke ich«, stellte er fest.

      »Sie war immer noch eine sehr eitle Frau«, mutmaßte David. »Sie hat ihre Wirkung auf junge Männer getestet, und wenn sie etwas getrunken hat, ist sie anlassig geworden. Ich habe mich bei ihr jedoch auf nichts eingelassen. Sie hat mir den ganzen Schmuck in ihrem Safe gezeigt und wollte mir etwas davon schenken, ich habe aber abgelehnt. Dass sie mir dann doch eine Kette zugesteckt hat, habe ich nicht bemerkt.«

      »Wir werden den Herrn Oberinspektor schon noch von deiner Unschuld überzeugen«, versicherte Leopold ihm mit einem Seitenblick auf Juricek. »Hilfreich wäre es, wenn du Gäste im Schopenhauer wüsstest, die du direkt mit Katja Winkler in Verbindung bringen kannst. Auf wen soll ich mich konzentrieren? Hast du einen Anhaltspunkt?«

      David musste nachdenken. »Es gab ein Telefongespräch, das ich vor ein paar Tagen belauscht habe«, erinnerte er sich. »Da war von einer Katja die Rede, die den Anrufer angeblich so geärgert hat, dass er ihr, wie er sagte, ein für alle Mal das Maul stopfen wollte. Es soll mit einer ›Grillparzer-Geschichte‹ zu tun haben. Ich hatte noch vor, sie zu warnen, aber sie war bereits tot, als ich sie wiedergesehen habe. Leider kann ich den Mann nur sehr ungenau beschreiben.« Er unterrichtete Leopold über die wenigen Anhaltspunkte, die ihm im Gedächtnis geblieben waren.

      »Nicht viel, aber immerhin etwas«, räumte der ein.

      »Noch etwas: Herr Burckhardt, den du ja kennengelernt hast, hat einmal erfolglos versucht, sich ihr zu nähern. Seither habe ich die beiden nie mehr gleichzeitig im Schopenhauer gesehen«, erwähnte David.

      »Interessant«, attestierte Leopold. »Der feine Herr ist unlängst auch im Heller aufgetaucht, mit einer jungen, feschen Begleitung, die man ihm gar nicht zutraut. Sehr verdächtig! Dem werde ich auf den Zahn fühlen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Damit habe ich für den Anfang ein paar Dinge, die ich nachverfolgen kann. Du wirst sehen, deine Lage erscheint bald in einem anderen Licht.«

      »Hoffentlich«, redete David auf ihn ein. »Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich ganz schön in der Tinte sitze.«

      »Vertrau auf mich«, verabschiedete Leopold sich augenzwinkernd. »Kopf hoch!«

      »Vertreib bloß nicht zu viele unserer Stammgäste«, rief David ihm nach. Dabei war ein leises Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen.

      Na also, seinen Humor hat er noch nicht ganz verloren, stellte Leopold im Hinausgehen zufrieden für sich fest.

      *

      »Es gibt da ein paar Dinge, die du wissen solltest«, nahm Juricek ihn draußen zur Seite. »Das ist ein aktuelles Foto von Katja Winkler, und das ist ihre Tochter Jennifer. Sie wohnt übrigens in Floridsdorf und geht dort ins Gymnasium. Sie steht vor der Matura.«

      Leopold war sofort Feuer und Flamme. »Die kenne ich ja«, rief er aus. »Die war unlängst bei uns im Heller die Begleitung von diesem Burckhardt, einem sonderbaren Typ.«

      »Sebastian Burckhardt, ja. Jennifer nimmt Nachhilfe in Mathematik bei ihm. Und Geigenunterricht gibt er ihr auch«, klärte Juricek seinen Freund auf.

      »Was? Der Mann ist doch unmusikalisch und summt nur nervös herum«, konnte Leopold das nicht glauben.

      »Er hat sich einmal um ihre Mutter bemüht, allerdings erfolglos. Nach einem kurzen Techtelmechtel hat Katja Gottfried Winkler, ebenfalls Schauspieler, geheiratet.« Juricek gab Leopold auch von ihm ein Foto. »Ganz aus den Augen haben Burckhardt und sie sich nie verloren. Dann hat sich Jennifer mit ihm angefreundet, und er ist so etwas wie ihr Lehrer und Betreuer geworden. Das hat wiederum Katja nicht gefallen. Sie hat den Kontakt mit Burckhardt abgebrochen, weil sie ihm die Schuld gab, dass ihre Tochter und sie sich immer mehr entfremdeten.«

      »Na, siehst du! Da braut sich bereits etwas zusammen, was der Hintergrund für den Mord sein könnte.«

      »Keine vorschnellen Schlüsse bitte«, mahnte Juricek. »Zurück zu den Fakten: Jennifer hat die Ehe ihrer Eltern als nicht sehr glücklich bezeichnet. Die Scheidung erfolgte nach 15 Jahren.«

      »Lass mich raten: Liebschaften und Untreue?«

      »Beide waren, wie gesagt, Schauspieler und freiheitsliebend. Deshalb haben sie es offenbar nicht so genau mit der ehelichen Treue genommen. Die Beziehung hat dennoch gehalten, bis Jennifer der Kindheit entwachsen war.«

      »Namen?«

      »Jennifer konnte oder wollte uns keine nennen. Vielleicht erfährst du bei Gelegenheit mehr darüber. Im Kaffeehaus wird da oft hinter vorgehaltener Hand geredet. Wir prüfen derzeit die Kontakte auf Katja Winklers Handy. Sie sind allerdings relativ überschaubar. In den letzten Jahren dürfte sie sehr zurückgezogen gelebt haben.«

      Leopold nickte und prägte sich dabei alles ein, was ihm Juricek erzählte. Viel war es bis jetzt nicht. Wusste die