Hermann Bauer

Grillparzerkomplott


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war sie plötzlich wieder da. Sie wirkte jedoch so desinteressiert, dass David sich nicht traute, ihr etwas über den seltsamen Zwischenfall zu erzählen. Sie trank ein Glas Rotwein, ging gleich wieder und schaute ihn beim Zahlen nicht einmal an.

      Am nächsten Tag rief sie vormittags im Schopenhauer an und verlangte David zu sprechen. »Mir geht es schlecht. Ich kann heute nicht ins Kaffeehaus kommen«, eröffnete sie ihm. »Ich habe deshalb eine große Bitte an dich. Ich habe Lebensmittel im Supermarkt bestellt. Wenn du deinen Dienst beendet hast, sind sie fertig zum Abholen. Bring sie mir bitte wie gewohnt in meine Wohnung. Das tust du doch für mich, oder?«

      »Selbstverständlich, gnä’ Frau«, zeigte sich David erbötig. »Ich hoffe nur, ich komme nicht ungelegen, wenn Sie sich nicht gut fühlen.«

      »Aber geh, du störst doch nie«, versicherte Katja ihm. »Im Gegenteil! Und es soll dein Schaden nicht sein.«

      »Machen Sie sich bitte keine Umstände«, beeilte sich David zu sagen. Katjas Worte erinnerten ihn an die Halskette, die er ihr unbedingt zurückgeben musste. Doch davon wollte er am Telefon nichts erwähnen. Er nahm sich stattdessen vor, konsequent zu bleiben, ihr höflich, aber bestimmt mitzuteilen, dass derartige Zuwendungen den erlaubten Rahmen überschritten, und sich von ihr unter keinen Umständen in eine verfängliche Situation bringen zu lassen.

      David holte also nach seinem Dienstschluss Katjas Einkäufe aus dem Supermarkt, die dort schon für ihn bereitstanden. Es war deutlich weniger als bei den letzten Malen, aber schließlich fühlte sie sich nicht gut. Da brauchte sie wohl nur das Nötigste. Ob sie bettlägerig war? Beinahe tat sie David ein bisschen leid.

      Er ging zu dem Haus in der Semperstraße, das er bereits kannte, läutete an und meldete sich durch die Gegensprechanlage. Sofort wurde ihm aufgemacht. Als er im zweiten Stock ankam, war die Tür bereits offen. Trotzdem klopfte David kurz an, um sich anzukündigen, und trat mit einem »Ich bin’s, Frau Winkler« ein.

      Was ihm dabei sofort auffiel, war die merkwürdige Stille in der Wohnung. Vielleicht schlief Katja. Aber nein, das konnte nicht sein, sie hatte ihn doch eben hereingelassen. Egal, er wollte sich nicht lange aufhalten. Eigentlich genügte es, wenn er die Einkaufstasche im Vorzimmer abstellte und wieder ging.

      Da erinnerte David sich an die Halskette. Die musste er Katja Winkler noch zurückgeben. Sie sollte wissen, dass er ihr Geschenk nicht annahm. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als kurz ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Es war ihm jedoch unangenehm, in der Wohnung nach ihr zu suchen. »Frau Winkler?«, rief er deshalb fragend.

      Als sie nicht antwortete, nahm er sich ein Herz und ging ein paar Schritte weiter. Im Wohnzimmer war alles leer, nicht einmal die übliche Flasche Rotwein stand auf dem Tisch. Also schaute er ins Schlafzimmer daneben. Dort lag sie, aber nicht im Bett, sondern auf dem Boden. War ihr etwa schlecht geworden?

      David blickte in den gequälten Ausdruck ihres Gesichtes, die weit aufgerissenen Augen. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie tot war. Er wollte sich zu ihr niederbeugen, da spürte er einen Schlag auf den Kopf und ihm wurde schwarz vor den Augen.

      *

      Als David Panozzo wieder zu sich kam, dröhnte sein Schädel. Für einen Augenblick hoffte er, alles sei nur ein böser Traum gewesen. Doch Katja Winklers Leiche vor ihm belehrte ihn rasch eines Besseren. An den Malen an ihrem Hals erkannte er, dass sie stranguliert worden war. Sie war nur mit einem blauen Morgenmantel, Slip und BH bekleidet.

      David fuhr mit der Hand über seinen Kopf. Jemand hatte ihn niedergeschlagen, so viel stand fest – mit aller Wahrscheinlichkeit der Mörder oder die Mörderin. Er oder sie hatte sich offensichtlich noch in der Wohnung befunden, als David mit der Einkaufstasche hereingekommen war, hatte ihm sogar die Tür geöffnet. Ihn schauderte.

      Wie lang war er da gelegen? Genau ließ sich das nicht feststellen, da er vorher nicht auf die Zeit geachtet hatte, aber sicher einige Minuten. An der bedrückenden Situation hatte sich jedenfalls nichts geändert. Irgendwo tickte eine Uhr, sonst war es vollkommen still. Katja Winklers Augen starrten ins Leere, und doch kam es David vor, als ob sie ihn fixierten. Ihr Mund, der im entscheidenden Augenblick nicht mehr zum Atemholen gekommen war, sah aus, als hätte er noch etwas sagen wollen, Worte, die nun endgültig erstickt blieben. David Panozzo merkte, wie schwach seine Füße waren. Am liebsten hätte er sich für unbestimmte Zeit wieder auf den Boden gelegt. Er sollte wohl die Polizei verständigen. Aber dazu fehlte ihm der entscheidende Mumm. Wenn er den Notruf betätigte, würde man ihm sicher mitteilen, er solle sich nicht vom Fleck wegrühren, bis die Beamten eingetroffen seien. So lange hielt er es aber allein neben der Leiche nicht aus.

      »Wenn Leopold jetzt hier wäre, wäre alles einfacher«, sagte David zu sich. Gemeinsam mit ihm und seinem Kollegen von der Rezeption hatte er im Hotel Floridus schon einmal ein Mordopfer entdeckt. Dabei hatte er sich besser gefühlt. Leopold strahlte in solchen Situationen Ruhe aus und verhielt sich so, als sei das Auffinden eines Toten die selbstverständlichste Sache der Welt. Aber Leopold war im Augenblick nicht hier, er versah seinen Dienst im Café Heller jenseits der Donau. David musste also allein zurechtkommen.

      Er schaute nochmals auf die Tote, die mit leerem Blick zurückstarrte. Ihn schwindelte. Er hielt es nicht länger hier aus. Hinaus, war sein einziger Gedanke, zumindest für ein paar Minuten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

      Er lief zur Tür und stand unversehens vor einer sehr jungen Frau, die gerade hereinkam. Sie hatte dunkles Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, und trug einen grauen Pulli, Jeans und Stiefel. »Was tun Sie hier?«, fragte sie nach einer Schrecksekunde.

      »Dasselbe würde ich gern von Ihnen wissen«, reagierte David nervös.

      »Wo ist meine Mutter?«, kam es resolut von der Frau.

      Es handelte sich also um Katja Winklers Tochter. Das machte die Sache auch nicht gerade leichter. »Hören Sie … Sie dürfen sich jetzt nicht aufregen …«, stotterte David, der mit der Situation nun gänzlich überfordert war.

      Die junge Frau stieß ihn zur Seite und lief in die Wohnung. Gleich darauf hörte David ihren Aufschrei: »Sie haben sie umgebracht, Sie Mörder!«

      Nun verlor David Panozzo endgültig den Kopf. Ohne über die Folgen nachzudenken, rannte er panisch aus der Wohnung, aus dem Haus, auf die Straße.

      *

      Dort landete er direkt in den Armen von Inspektor Bollek. »Schau an, schau an! Wo kommen Sie denn her?«, wunderte der sich, David wiedererkennend, über die unerwartete Begegnung.

      David stammelte unbeholfen: »Ich war in dem Haus … bei einer Bekannten.«

      »Und die haben Sie so eilig verlassen?«, meldete sich nun auch Oberinspektor Richard Juricek zu Wort. Raschen Schrittes, sein Markenzeichen – den Sombrero – tief ins Gesicht gezogen, ging er auf David Panozzo zu.

      Es half wohl nichts mehr, um den heißen Brei herumzureden. Davids Situation war schlimm genug. Offenbar war die Polizei nicht zufällig da, sondern hatte bereits eine Information bekommen. »Sie ist tot«, räumte er kleinlaut ein.

      »So etwas Ähnliches haben wir befürchtet«, teilte ihm Juricek mit und kratzte sich dabei an der Schläfe. »Allerdings nicht, dass Sie damit in Zusammenhang stehen.«

      »Ich habe bloß die Leiche gefunden«, verteidigte David sich sofort.

      »Sie kommen am besten mit uns hinauf und erklären uns oben alles«, schlug Juricek vor. David war das gar nicht recht, aber es blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Als er sich zähneknirschend anschickte mitzugehen, fiel Bollek etwas an ihm auf. Er stieß Juricek an und deutete auf David Panozzos Sakkotasche. Juricek zog seine Augenbrauen in die Höhe. »Was haben wir denn da?«, fragte er. Dann streifte er Handschuhe über und zog sorgfältig einen Nylonstrumpf heraus.

      »Wenn der nicht zur Leiche gehört, gehe ich von da zu Fuß nach Hause«, raunte Bollek ihm zu.

      David stand wie zur Salzsäule erstarrt da. »Ich kann mir das nicht erklären«, beteuerte er.

      Juricek ließ das Beweisstück einpacken und durchsuchte anschließend Davids Taschen genauer.