Hermann Bauer

Grillparzerkomplott


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sich das Mascherl zum Zeichen seines Dienstantrittes im Café Heller richtete, atmete er einmal kräftig durch. Er war wieder in der Heimat angekommen. Der Besuch im Schopenhauer war ja schön gewesen und das Frühstück hatte ausgezeichnet gemundet, aber nach so einem Ausflug lernte man die eigene Arbeitsstätte wieder zu schätzen. David Panozzo mochte sich von manchem Gast mit seinen Sonderwünschen terrorisieren lassen. Es war seine Angelegenheit, ob er die Gulaschsuppe jedes Mal mit einem Thermometer kontrollierte, ehe er sie servierte. Hier im Heller hatte Leopold dafür gesorgt, dass eine Ordnung herrschte, die gewährleistete, dass es in erster Linie nach seinen Wünschen ging. Man musste seine Gäste erziehen, damit sie sich darauf einstellten, was man von einem Oberkellner verlangen konnte. Darin bestand die hohe Kunst dieses Berufsstandes.

      Frau Heller holte ihn aus seinen Gedanken. »Na, wie war’s? Kommt David gut zurecht?«, erkundigte sie sich bei ihm.

      »Er hat sich schon recht ordentlich eingelebt«, antwortete Leopold.

      »War der Moritz auch da?«

      »Nein, Frau Sidonie. Ich glaub, der geht nicht mehr so oft ins G’schäft. Macht jetzt alles der Herbert.«

      Leopold schmunzelte. Auf diese Frage hatte er gewartet. Frau Heller hatte ja angeblich, noch bevor er seine Tätigkeit als Oberkellner in ihrem Kaffeehaus begonnen hatte, ein Pantscherl mit Moritz Bäcker gehabt. Sie soll damals allerdings bereits mit Herrn Heller liiert gewesen sein.

      »Aber er muss doch ein bisserl auf die alten Stammgäste schauen«, bemerkte Frau Heller. »Und seinem Sohn würde es auch nicht schaden, wenn ihm der Moritz unter die Arme greifen würde.«

      »Die jungen Leute haben das heutzutage nicht so gern«, erwiderte Leopold, wobei ihm einfiel, dass Herbert Bäcker auch schon die 40 überschritten hatte. »Außerdem läuft das Geschäft, glaube ich, recht gut.«

      Jetzt war Frau Heller hellwach. »Besser als bei uns?«, erkundigte sie sich.

      »Das kann ich nicht beurteilen«, antwortete Leopold ausweichend. »Sie erfüllen ihren Gästen im Schopenhauer halt jeden Wunsch.« Dabei verdrehte er seine Augen missbilligend nach oben zur Decke.

      »Aber das tun wir doch auch«, behauptete Frau Heller.

      »Wenn es sich tatsächlich um einen Wunsch handelt«, stellte Leopold klar. »Meistens sind es ja nur Einbildungen: Wie weich ein Ei zu sein hat und welche Kaffeetemperatur gerade angenehm erscheint. Das ist Firlefanz und davon abhängig, mit welchem Fuß die Leute aufgestanden sind. Auf so etwas kann man keine Rücksicht nehmen, sonst ist die ganze schöne Ordnung zum Teufel.«

      »Sie könnten sich ruhig ein wenig mehr bemühen«, wies ihn Frau Heller zurecht.

      »Bei einem wirklichen Wunsch, wohlgemerkt«, beharrte Leopold. »Wenn ein Gast zum Beispiel gerade flach ist und mich um einen Fünfziger anschnorrt, habe ich noch nie Nein gesagt. In so einer Situation möchte ich einmal den David sehen, der selbst kein Geld eingesteckt hat. Oder wenn jemand wünscht, dass ich seiner Frau erzähle, er sei am Vortag hier gewesen, obwohl er sich gerade bei seiner Freundin aufgehalten hat …«

      »Von Ihren zwielichtigen Arrangements möchte ich gar nichts wissen«, schnitt ihm Frau Heller das Wort ab. »Mir geht es darum, dass Sie freundlicher zu unseren Gästen sind. Unlängst hat sich etwa der Herr Emmerich beschwert, dass Sie ihn erst nach einer Viertelstunde bedient haben.«

      »Er war selber schuld. Er ist ganz ungünstig gesessen«, rechtfertigte Leopold sich. »Alle anderen Gäste waren an den Tischen neben der Theke versammelt. Der Herr Emmerich hat sich im hintersten Winkel platziert, wohin man den doppelten Weg gehen muss, obwohl es gar nicht notwendig war.«

      »Wollen Sie den Leuten etwa vorschreiben, wo sie zu sitzen haben?«, fragte Frau Heller gereizt.

      »Immer bei der Schar«, antwortete Leopold achselzuckend.

      Frau Heller wollte zu einer längeren Tirade ansetzen, da vernahmen ihre Ohren das irritierende Geräusch einer mit Inbrunst, aber völlig falsch gesummten Melodie. Leopold kamen diese Töne bekannt vor. Er hatte sie heute schon einmal gehört. Im Schopenhauer. Tatsächlich erspähte er aus dem Augenwinkel denselben zerzausten Herrn, nur diesmal im Heller.

      »Der vertreibt mir ja alle Gäste«, mokierte sich Frau Heller. »Sagen Sie ihm, dass er sofort damit aufhören soll.«

      »In fünf Minuten ist Schluss, das können Sie mit Ihrer Uhr stoppen«, informierte Leopold sie. »Kleiner Brauner?«, wandte er sich dann an Herrn Burckhardt.

      Der nickte und summte in aller Seelenruhe weiter, sodass sich bereits ein paar Leute umdrehten. Erst als ihm Leopold seinen Kaffee brachte, hörte er auf.

      »Gehen Sie mit Ihrem Lied jetzt von Kaffeehaus zu Kaffeehaus auf Tournee?«, konnte sich Leopold einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.

      »Was meinen Sie?«, reagierte Burckhardt irritiert.

      »Ich hab Sie heute schon einmal gehört, nämlich im Schopenhauer«, klärte Leopold ihn auf.

      »Das Schopenhauer ist mein Stammcafé. Dass ich heute hier bin, ist reiner Zufall«, erklärte Burckhardt barsch. »Und jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe!« Zur Bekräftigung dieses Wunsches summte er kurz zwei Takte.

      Dann sollen sie sich im Schopenhauer auch weiterhin mit ihm herumärgern, dachte Leopold bei sich. Er staunte nicht schlecht, als da eine hübsche junge Frau, die aussah, als sei sie Schülerin des benachbarten Gymnasiums, schwungvoll bei der Tür hereinkam und sich mit leicht gerötetem, aber freudigem Gesicht zu Burckhardt gesellte. Sie unterhielt sich rege mit ihm und trank dabei eine Flasche Limonade. Das hatte Leopold diesem zerzausten und verwirrten Kerl nicht zugetraut.

      Nach einer Viertelstunde verließen die beiden das Heller. Durch die großen Glasscheiben der Kaffeehausfenster beobachtete Leopold, wie sie in einen dunklen BMW stiegen, mit dem die junge Frau anschließend losfuhr. Ob das Summen nur eine Masche von ihm ist?, fragte er sich. Jedenfalls hat er es faustdick hinter den Ohren. Aber der Erfolg gibt ihm recht.

      Kapitel 2

      »Ich soll also bei dir leben, bis ich meine Wohnung beziehen kann?«, fragte Sabine Patzak.

      »Fällt dir etwas Besseres ein?«, antwortete Thomas Korber mit einer Gegenfrage.

      »Ich könnte auch wieder beim Papa wohnen.«

      Korber druckste herum. »Bei mir ist es problemloser. Du hast mehr Platz und ein eigenes Zimmer«, führte er ins Treffen. »Außerdem kann dich dein Vater nicht so gut kontrollieren. Der spürt dir sonst wieder auf Schritt und Tritt nach.«

      In Wahrheit musste sich Korber eingestehen, dass er in Leopolds Tochter Sabine verliebt war. Wie aus dem Nichts war sie aus ihrem burgenländischen Heimatort Halbturn im Frühsommer in Wien aufgetaucht, um Leopold nach 21 Jahren mitzuteilen, dass er ihr Vater sei. Leopold hatte es zunächst nicht geglaubt, dann aber starke väterliche Gefühle für sie entwickelt. Mit seinem Freund, dem Gymnasiallehrer Thomas Korber, hatte sie sich ohne sein Wissen auf eine kurze Affäre eingelassen, ehe sie wieder nach Hause gefahren war. Nun war sie Anfang Oktober zurückgekehrt. Sie hatte an der Universität Wien inskribiert, um ein Lehramtsstudium für Deutsch und Englisch zu absolvieren. Ob sie bis zum Bezug ihrer ständigen Bleibe bei Korber wohnen wollte, wie es beide vor ihrem Abschied noch angedacht hatten, dessen war sie sich nicht mehr so sicher.

      »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Wenn der Papa da draufkommt!«

      »Dann kommt er eben drauf. Du bist erwachsen und kannst tun und lassen, was du willst«, versuchte Korber weiterhin, sie zu überreden.

      »So einfach ist es nicht«, konterte Sabine.

      »Vor einer Woche am Telefon waren wir uns noch einig«, erinnerte Korber sie.

      »Ich fühle mich schäbig. Ich hätte Papa darüber informieren müssen, dass ich zum Studieren nach Wien komme«, plagten Sabine Gewissensbisse.

      »Als du das letzte Mal hier warst, hat er nicht einmal gewusst, dass du seine Tochter bist«, gab ihr Korber zu bedenken. »Da hast