Hermann Bauer

Grillparzerkomplott


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Oberkellner seinen Gästen jeden nur erdenklichen Wunsch von den Augen abzulesen?«

      »Genau das Gegenteil ist richtig«, widersprach Leopold. »Du musst als Ober einen grantigen Eindruck machen und für eine Ordnung sorgen, die dir genehm ist, sonst glauben deine Gäste, sie können dich mit ihren Extrawünschen terrorisieren. Und kommen tun sie alle wieder, weil’s woanders nicht besser ist. Letztendlich ist alles eine Frage der Erziehung.«

      »Das ist halt der Unterschied zwischen einem Café wie dem Heller in der Vorstadt und dem Schopenhauer«, merkte David an.

      »Ach was«, tat Leopold seine Worte ab. »In einem sind sich alle Kaffeehäuser gleich: In ihnen verkehren oft äußerst seltsame und närrische Typen, denen man nicht immer gleich nachgeben muss.« Er fixierte dabei einen verwirrt aussehenden Mann mit zerzaustem Haar in einfacher, aber sauberer Kleidung. Er setzte sich, ohne aufzublicken, an einen freien Tisch und summte in schrecklich falschen Tönen immer dieselbe Melodie.

      »Das ist Herr Burckhardt«, gab David Auskunft. »Ein äußerst genügsamer Mensch. Ein kleiner Brauner und jede halbe Stunde ein frisches Glas Wasser dazu.«

      »Mag sein«, konzedierte Leopold. »Aber dieses furchtbare Gesumme hält man ja kaum aus.«

      David machte eine wegwerfende Handbewegung. »In genau fünf Minuten hört er damit auf«, informierte er seinen Freund. »Das kannst du auf deiner Uhr stoppen.«

      *

      Einige Stunden später – es war schon Nachmittag und Leopold war längst zu seinem Dienstantritt im Heller aufgebrochen – betrat eine ältere, gut aussehende Dame mit gewelltem halblangem Haar, das leicht ergraut war, das Schopenhauer. Sie wusste sich zu kleiden und herzurichten. Ihr dunkelblaues Kostüm wirkte elegant, aber unauffällig. Die Schminke nahm dem Gesicht nichts von seiner Natürlichkeit. Nur mit dem Gehen tat sie sich etwas schwer. Deshalb setzte sie sich gleich an den ersten freien Tisch neben der Tür.

      Sie bestellte ein Glas Rotwein. Ein paar Gäste blickten auf und nickten ihr grüßend zu. »Hallo, Katja, wie geht’s?«, rief ein schon weißhaariger, aber sportlich wirkender Mann mit leicht anzüglichem Ton in der Stimme.

      Katja Winkler reagierte nicht darauf. Sie hatte offenbar nicht die Absicht, sich länger im Kaffeehaus aufzuhalten. Zügig leerte sie ihr Glas und rief David zum Zahlen. »Ach«, fragte sie dabei wie beiläufig. »Wären Sie wieder so nett, mir meinen Einkauf aus dem Supermarkt in die Wohnung zu bringen?«

      David nickte: »Selbstverständlich, gnädige Frau. Ich habe ohnehin gleich Dienstschluss.«

      »Dann bis später«, sagte sie und ging.

      David hatte Katja Winkler vor einigen Tagen schon einmal diesen Dienst erwiesen. Es war offenbar eine Marotte von ihr, sich die Sachen nicht vom Supermarktpersonal, sondern einem Kaffeehausober nach Hause befördern zu lassen. »Ein Oberkellner wie Sie ist wohlerzogen und hat gutes Benehmen, was man von einem dahergelaufenen Verkäufer nicht behaupten kann«, hatte sie zu David gesagt und ihm dabei fünf Euro Trinkgeld zugesteckt. Warum sollte er ihr nicht noch einmal den Gefallen tun? Sie wirkte sympathisch und hatte immer noch eine faszinierende Ausstrahlung. Wie David erfahren hatte, war sie als Schauspielerin an vielen Bühnen Wiens beschäftigt gewesen. Jetzt wollten halt ihre Füße nicht mehr so richtig. Und sie wohnte im zweiten Stock ohne Lift.

      Also holte David Frau Winklers Waren im Supermarkt ab, trug sie zu ihrer Wohnungstür und läutete. Sie öffnete in einem schlichten Hausanzug, in den sie sich mittlerweile umgezogen hatte. »Kommen Sie doch auf einen Sprung herein«, bat sie ihn.

      »Eigentlich habe ich einen dringenden Weg«, behauptete David. Das stimmte zwar nicht, aber er verspürte keine Lust, der Einladung Folge zu leisten.

      »Ist er wirklich sooo dringend?«, versuchte Katja, ihn zum Bleiben zu überreden. »Trinken Sie doch ein Glas mit mir, das dauert nicht lange.« Am Wohnzimmertisch stand eine offene und bereits halb leere Rotweinflasche, an der sie sich gütlich tat. Sie nahm ein zweites Glas aus dem Schrank.

      »Sehr aufmerksam, aber ich fürchte, das geht sich nicht aus«, versuchte David, standhaft zu bleiben.

      Plötzlich hatte Katja einen Zehn-Euro-Schein in der Hand. »Ich bin bereit, Sie für Ihre Hilfsbereitschaft anständig zu entlohnen«, lockte sie ihn. »Und es wird noch mehr Geld, wenn Sie mir ein wenig Gesellschaft leisten. Sie gefallen mir! Sie sind so ein netter junger Mann.«

      Widerwillig setzte sich David zu ihr. Er fühlte sich so gar nicht geeignet als Tröster einsamer Herzen, die ihre Lebensmitte bereits überschritten hatten.

      »Ich kann Ihnen genug zahlen, wenn Sie mir den einen oder anderen Wunsch erfüllen«, fuhr Katja fort. »Ich habe Geld, und Schmuck besitze ich auch nicht zu knapp. Wollen Sie sich überzeugen? Sie brauchen nur den Safe im Schrank drüben zu öffnen.« Sie steckte ihm einen Zettel mit dem Code zu.

      »Ich glaube, ich gehe jetzt doch lieber!« David fühlte sich unwohl und stand wieder auf.

      »Aber, aber! Nur keinen Genierer! Schauen Sie sich in Ruhe die prächtigen Halsketten, Armbänder und Ringe an. Vielleicht ist etwas für Ihre Freundin dabei«, bearbeitete Katja ihn.

      »Ich habe keine Freundin«, gestand David. Er öffnete den Safe nun doch, weil er neugierig geworden war. Die Schmuckstücke waren wirklich eine Augenweide.

      »Umso besser! Dann können Sie sich aussuchen, wem Sie es schenken«, ließ Katja nicht locker.

      David besann sich. »Ich denke, ich mag nichts davon«, erklärte er.

      »Das ist aber schade. Dann geben Sie die Stücke zurück in den Safe. Jetzt wissen Sie ja, wo sie sind. Sie können jederzeit etwas davon haben«, offerierte Katja Winkler ihm. »Sie haben ja noch gar nichts getrunken«, warf sie ihm dann vor.

      Um nicht unhöflich zu erscheinen, nahm David einen Schluck von dem Wein, während Katja ihm zuprostete. »Warum haben Sie eigentlich keine Freundin?«, fragte sie ihn. »Sie haben gute Manieren und sehen blendend aus. Sogar mein altes Herz bringen Sie durcheinander.« Sie fuhr mit der Hand durch sein Haar, dann streichelte sie über seine Wange. »Bist du etwa unerfahren?«, hauchte sie ihm dabei ins Ohr. »Wahrscheinlich bist du viel zu rücksichtsvoll für die Damenwelt von heute. Trau dich ruhig. Ich kann dir vieles zeigen, was du später einmal gut gebrauchen kannst.«

      Ihre Lippen waren plötzlich nah den seinen. David sprang wie von der Tarantel gestochen auf und stürzte den Inhalt seines Glases hinunter. »Ich muss jetzt wirklich«, stieß er hervor. »Ich habe noch einen Weg, und …«

      »Du brauchst mir nichts zu erklären, ich kenne mich schon aus«, lächelte ihn Katja Winkler lasziv an. »Du musst erst deine Schüchternheit ablegen, das geht nicht von heute auf morgen. Vielleicht hast du das nächste Mal länger Zeit. Wie wär’s mit einem kleinen Vorschuss?«

      Katja war es gelungen, David vollends aus der Fassung zu bringen. Er hatte nur noch einen Gedanken, nämlich, schnellstmöglich aus ihrer Wohnung zu kommen. »Warte, ich habe abgesperrt«, rief sie ihm nach. Beim Öffnen der Tür legte sie noch einmal ihre Hand auf die seine. »Du hilfst mir doch wieder?«, fragte sie ihn dabei.

      David nickte, ehe er die Treppe hinunterhuschte. So merkwürdig sich Katja Winkler ihm gegenüber heute verhalten hatte – richtig anlassig war sie gewesen –, so sehr war es seine Pflicht als Oberkellner des Café Schopenhauer, die Wünsche seiner Stammgäste zu erfüllen. Wenn er Frau Winkler die Einkäufe hinauf zu ihrer Wohnung brachte, handelte es sich um keine private Gefälligkeit, sondern gehörte zu den Erfordernissen seines Berufs. Beim nächsten Mal würde er die Einkäufe im Vorzimmer abstellen und damit eine peinliche Situation wie soeben vermeiden.

      Aus Gewohnheit griff er in seine Sakkotaschen, als er das Haus verließ. Dabei machte er eine Entdeckung, die ihn nicht sonderlich erfreute. Katja Winkler hatte ihm doch tatsächlich eine ihrer Halsketten zugesteckt, die zudem wertvoll aussah. Für einen Augenblick überlegte er umzudrehen und noch einmal hinaufzulaufen. Dann aber verwarf er den Gedanken. Es würde bloß zu einer Debatte und weiteren Anzüglichkeiten führen. Sicher würde David bald wieder von Frau Winkler gebeten werden, ihre Einkäufe