Christian Kreiß

Gekaufte Wissenschaft


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bedeutet das, in die Meinungsbildungskette, in den Geist so früh wie möglich einzugreifen, beispielsweise durch gesponserte Materialien für Schulen oder die gezielte Förderung bestimmter Wissenschaftler an bedeutenden Universitäten. Das ist sozusagen deep marketing. Einflussnahme auf die Wissenschaft wird systematisch in die Marketing-Strategie der Konzerne einbezogen.

      Diesem unheilvollen Trend kann man nur Einhalt gebieten, indem man die Zentren freier Wissenschaft so stark schützt wie möglich, sie so unabhängig und frei wie irgend möglich von allen externen Übergriffen – sowohl durch Politiker wie durch Konzerne - macht. Wir brauchen freie und unabhängige Hochschulen. Um dem Problem wirksam entgegenwirken zu können, müssen wir es aber erst erkennen bzw. diagnostizieren. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten, indem die Wege aufgezeigt werden, wie Wissenschaft zunehmend durch Konzerne missbraucht wird. Erst wenn wir die Wege und Methoden kennen, können wir ihnen wirksam etwas entgegenstellen.

      4 Washington Post April 22, 2017

       Sind Industriegelder für die Bildung immer schlecht? Von echten und interessegeleiteten Mäzenen

       Echtes Unternehmertum und Rentenkapitalismus

      Selbstverständlich gab und gibt es wundervolle, selbstlose Mäzene, die Bildung und Kunst einfach als Herzensanliegen fördern wollen. Unternehmer sind keine Bösen. Ich bin großer Anhänger von Entrepreneurship-Kapitalismus und finde Unternehmer, die die Welt voranbringen, große klasse. Ich halte jedoch Rentenkapitalismus, bei dem es fast nur mehr um rent-seeking geht, nicht mehr um Unternehmertum, nicht nur für falsch, sondern sogar für schädlich.5 Bei Rentenkapitalismus oder assets under management, bei fremdverwalteten Vermögen und den allermeisten Börsen- und Futuresgeschäften geht es meist nur mehr um Jagd nach Rendite. Der Anleger bei Kapitalsammelstellen weiß normalerweise gar nicht mehr, wo sein Geld investiert ist, sondern hält nur mehr die Hand, bzw. das Girokonto auf, egal, wo die Rendite herkommt. Der Geldgeber verbindet sich dabei nicht mehr mit dem Unternehmen, kennt nicht die Mitarbeiter, die Produkte, die Lieferanten, die Kunden usw. Das halte ich für schlecht und das wird, wenn es nicht eingedämmt wird, unsere Wirtschaft in eine schlimme Krise treiben.6

      Den allermeisten echten Unternehmern geht es nicht um maximale Gewinne, sondern um die Sache. Bei börsennotierten Großkonzernen geht es aber nur mehr um maximale Rendite. Das ist ein großer Unterschied.7 Daher kann man davon ausgehen, dass Konzerngelder, die als „Spende“, „Schenkung“ oder als „Zuwendung“ aus dem Unternehmen fließen, niemals selbstlos sind, sondern immer einen Zweck verfolgen, nämlich Rendite zu machen, zumindest für PR zu sorgen und dadurch indirekt den Absatz anzukurbeln. Der Vorstand eines börsennotierten Unternehmens kann sich nicht leisten, Geld zu verschenken. Da würde er bei der nächste0n Hauptversammlung schnell geschasst.

       Drittmittel sind nicht gleich Drittmittel

      Drittmittel „sind für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften“ (§ 25 Absatz 4 Hochschulrahmengesetz (HRG))

      Wir sollten also genau hinschauen, woher Geld fließt und welche Absicht damit verfolgt wird. Zuerst müssen wir aber den Begriff klären. Gemäß Paragraf 25 Absatz 1 Hochschulrahmengesetz (HRG) sind Drittmittel solche Gelder, „die nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln, sondern aus Mitteln Dritter finanziert werden“. Es sind also Gelder, die nicht von den öffentlich-rechtlichen Trägern als Grundfinanzierung an die Hochschulen überwiesen werden, sondern von anderen Geldgebern. Außerdem steht in Paragraf 25 Absatz 4 HRG: „Die Mittel sind für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften“.8

      Das ist ein bemerkenswerter Satz. Nochmal mit eigenen Worten: Drittmittel müssen für den vom Geldgeber bestimmten Zweck verwendet werden und nach den Bedingungen des Geldgebers bewirtschaftet werden. Das liest sich so, als ob eine inhaltliche Einflussnahme durch private Geldgeber, beispielsweise auf die Forschungsfrage oder auf die Forschungsergebnisse, nicht nur gesetzlich erlaubt, sondern sogar vorgeschrieben ist. Und so ist es auch. Einfluss privater Geldgeber auf Forschung an staatlichen deutschen Hochschulen ist also gesetzlich nicht nur erlaubt, sondern sogar vorgeschrieben – es sei denn der Geldgeber verzichtet freiwillig darauf (§ 25 Abs.4 Satz 3 HRG).

      Drittmittel sind nicht gleich Drittmittel. Nicht alle Drittmittel sind falsch oder gar schlecht. Bei Drittmitteln aus börsennotierten Großkonzernen wäre ich aber grundsätzlich vorsichtig.

       Beispiele für echtes Mäzenatentum durch Unternehmer

       Ernst Abbe und die Carl-Zeiss-Stiftung

      1889 gründete der genialer Forscher und Unternehmer Ernst Abbe die Carl-Zeiss-Stiftung. Er war damals Eigentümer des Unternehmens und hatte es nach der Übernahme von Carl Zeiss zu enormem Wachstum und Erfolg geführt. Über die Motive für die Stiftung kann man nur mutmaßen. Aber es gibt eine bewegende Stelle aus der Jugendzeit des 1840 geborenen Ernst Abbe: „Bis Anfang der 50er Jahre hat der Vater [von Ernst Abbe] 14 bis 16 Stunden lang täglich zu arbeiten. Ernst wechselt sich mit seiner Schwester Sophie darin ab, dem Vater das Essen im Kochgeschirr zu bringen […]. So erlebt der Junge, wie sein Vater oft, an eine Maschine gelehnt, in aller Hast das mitgebrachte Essen herunterschlingt und sofort weiterarbeitet, nachdem er das geleerte Geschirr dem Kind zurückgegeben hat. Der erwachsene Abbe berichtet über diese Zeit, dass infolge des kräftezehrenden Arbeitslebens der Vater mit 48 Jahren bereits in Haltung und Aussehen wie ein Greis wirkte. Kollegen von weniger robuster Konstitution ereilte dieses Schicksal bereits mit 38 Jahren.“9

      „Aus solchen Schilderungen kann man erahnen, welche Motive Ernst Abbe dazu bewogen haben mögen, später als steinreicher Mann diesen Reichtum mit anderen teilen zu wollen und eine Stiftung zum Wohle der Mitarbeiter, der Wissenschaft und der Umgebung von Zeiss einzurichten, statt das Vermögen allein für sich und seine Familie zu behalten.“10 Ernst Abbe war so selbstlos, dass er nicht einmal seinen Namen für die Stiftung verwendete, sondern den Namen des ursprünglichen Unternehmensgründers. Bis heute glauben die meisten Menschen irrtümlich, dass die Stiftung auf Carl Zeiss zurückgeht.

       Emil Molt und die Waldorfschulen

      Mit Geldern des Industriellen Emil Molt wurde 1919 die erste Waldorfschule begründet. Heute gibt es über 1100 davon, es ist die größte Privatschulorganisation der Welt. Der Name kommt von der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, die Emil Molt gehörte. Aber an den Waldorfschulen ist nie Reklame für Zigarren oder Zigaretten gemacht worden. Emil Molt hat seine Gelder völlig in den Dienst der Sache gestellt und keine Rendite-Zwecke damit verfolgt. Als es nach 1933 darum ging, Vertreter des Nationalsozialismus oder nationalsozialistisches Gedankengut in die Schulen einzulassen, weigerte sich Emil Molt. Er schrieb in einem Brief 1935: Die Verantwortung „verpflichtet uns, die geistigen Grundlagen dieser Pädagogik rein zu halten. Würden wir sie verleugnen, so würden wir nicht nur unwahr werden, sondern würden die Schule selbst schädigen und zerstören.“11 Emil Molt waren Freiheit und Unabhängigkeit der Schulen so wichtig, dass er sie lieber schließen als externen Einflüssen nachzugeben. Und so wurden die Waldorfschulen unter den Nazis auch verboten und geschlossen.

       Zweifelhafte Geldgeber

       John Pierpont Morgan und die Weltwirtschaftskrise von 1907

      Nach Schilderung von drei Zeitzeugen hat John Pierpont Morgan mit seinem mächtigen Bankenimperium den Finanzcrash von August bis Oktober 1907 und die anschließende schlimme Weltwirtschaftskrise bewusst und vorsätzlich herbeigeführt.12 Dadurch konnte er missliebige Konkurrenten ausschalten und sich enorm bereichern, indem er im Tiefpunkt der Krise billig konkurrierende Unternehmen aufkaufte. Mit Erfolg: 1913 kontrollierten JP Morgan und Rockefeller 341 Großunternehmungen bzw. 20% des US- Volksvermögens.13

      Trotzdem wird JPMorgan bis heute in der gängigen Geschichtsschreibung ganz überwiegend als Wohltäter und Retter aus der Finanzkrise von 1907 geschildert.14 Wie kann das sein? Das liegt zum einen daran, dass er am 24.Oktober 1907, als die Finanzkrise