T. K. Koeck

Die Prometheus Initiative


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ich mich, ob ich wirklich hierhergehörte oder ob überhaupt noch jemand wusste, dass ich anwesend war. Eine unheimliche Stille lag in der Luft. Die Atmosphäre war zum Zerschneiden und vibrierte förmlich. Hitler sah Gehlen eindringlich und fuchsteufelswild an. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand er auf und prustete: „Egal, genug, aus, vorbei! Sie sind jetzt dran, Schluss mit der Sonderbehandlung! Ich werde persönlich dabei sein, wenn man die Erde von Ihrer Pestilenz befreit. Und wenn es verdammt noch mal mein letzter Befehl sein sollte, er gilt Ihrem Tod, Gehlen, man muss die Welt vor Ihnen beschützen! Sie sind ein teuflisches Geschwür!“ Er war schon fast an der Tür, um Gehlen und damit wohl alle, die bei ihm waren, die ihn liebten oder die für ihn gedient hatten, sofort liquidieren zu lassen, da war es Gehlen, der erneut ruhig und gelassen eingriff:

      „So, mein lieber Herr Hitler, Sie machen sich jetzt bitte nicht unglücklich! Denken Sie, ich komme ohne Absicherung zu Ihnen? Denken Sie wirklich, dass ich so dumm bin? Bevor Sie sich selbst unsägliches Leid antun bitte ich Sie, in aller Form, sich zuvor diese Akte anzusehen.

      Weil ich jetzt keine Zeit und keine Lust mehr auf Ihre Faxen habe! Weil wir alle Idioten wie Sie so leid sind! Bitte glauben Sie mir, mein Tod, oder der Tod irgendeiner anderen Person, wird an dieser Akte und ihren Konsequenzen nichts ändern. Ihre einzige Chance ist es, sich diese Akte anzusehen, unseren Entlassungsbefehl zu unterschreiben und uns gehen zu lassen. Sonst kann ich nichts mehr für Sie tun!“ diagnostizierte er und hielt Hitler die Akte hin. Dabei wirkte er wie ein besorgter Chefarzt beim Verkünden einer schweren Krankheit.

      Ich bekam nun endgültig keine Luft mehr, ich konnte nicht glauben, was passierte. Wie er mit ihm sprach! Ich war so damit beschäftigt, mich nicht zu bewegen, nicht aufzufallen, die Situation keinesfalls zu beeinflussen oder zu unterbrechen, dass ich der Leichenstarre nahe war. Hitler stand wie angewurzelt an der geöffneten Türe, draußen sah man mehrere schwerbewaffnete Lanzer, die nun verdutzt hereinblickten.

      Man konnte erkennen, dass Hitler grübelte.

      Er überlegte, ob er wirklich gerade einen eminent wichtigen Fehler beging, oder ob Gehlen ihn schlichtweg überlistete. Offensichtlich war er dann aber der Überzeugung, dass es wohl besser sei, der Akte wenigstens einen Blick zu gönnen. Er warf die Tür wieder zu, ich hatte Angst, er erwischt die Soldaten draußen. Langsam ging er auf Gehlen zu und entriss ihm die Akte. Ich atmete tief ein. Er öffnete sie, ohne hineinzusehen, sah weiter nur Gehlen an. Schließlich raunte er: „Mal sehen, was Sie Spinner da haben!“.

      Und dann blickte er hinein, sehr lange sogar.

      Und wenn er zuvor zerfurcht aussah,

      dann schien er jetzt vollkommen in sich zusammenzufallen. Hitler erstarrte, er fror regelrecht ein, als würde jede Lebensenergie aus ihm entweichen. Seine Lippen und Hände zitterten, er sah aus, als wolle er weinen! Dann ließ er die Akte fallen. Ich sah, dass drei großformatige Fotos und ein Schreiben herausfielen. Die Gesichter einer hübschen Frau, eines blonden Buben und eines ebenso blonden Mädels, wahrscheinlich Zwillinge, beide etwa vier, fünf Jahre alt, lächelten mich an. Zunächst verstand ich es nicht. Dann plötzlich wurde mir klar, wen ich vor mir sah. Und Sie werden es auch wissen.

      Der Führer fiel zurück in den Stuhl.

      Er sagte nichts, er sank einfach zusammen. Es war Gehlen, der aufstand und alles wieder zusammensammelte. Er legte die Fotografien in die Akte zurück, das Schreiben für die Entlassung seiner selbst und dem Großteil seines Stabes jedoch oben auf. Er machte einen Schritt auf Hitler zu, legte den Stapel auf den Tisch und holte langsam seinen Füllfederhalter aus der Jacke. Er drehte diesen auf, legte ihn neben den Stapel und flüsterte trocken:

      „Die Fotos, Herr Hitler, können Sie behalten. Aber bitte nicht den Füllfederhalter, der ist mir ans Herz gewachsen.“ Hitler beachtete ihn nicht, starrte den Hund auf seinem Schreibtisch an, dann blickte er hilfesuchend zu Friedrich dem Großen, bevor er seine leeren Augen wieder auf den vor ihm liegenden Auflösungs- und Entlassungsbefehl richtete.

      Gehlen führte weiter aus: „Mein Nachfolger wird Wessel, er wartet bereits draußen. Er wird alle Ihre Befehle ausführen, wie belanglos sie auch sein mögen und er wird den Rest der Fremde Heere Ost repräsentieren. Wir beide, wir werden uns nie wiedersehen, das verspreche ich. Wenn ich Sie jetzt um die Unterzeichnung bitten darf? Und keine Angst wegen Ihres kleinen Geheimnisses, von denen ich übrigens viele kenne. Informationen verleihen Macht, wieso also sollte ich sie einfach so weitererzählen? Sie müssen sich keine Sorgen machen, das Ehrenwort gebe ich Ihnen als deutscher Soldat, der im Feld gedient hat.“

      Hitler reagierte nicht auf das Gesagte, er bewegte sich kaum, als er unterschrieb. Dann legte er den Füllfederhalter wieder hin und faltete seine Hände in den Schoß. Gehlen nahm den Entlassungsbefehl und steckte diesen in die Innentasche seiner Uniform. Während er den Füllfederhalter sorgfältig und langsam wieder zudrehte, sah er zu mir herüber und deutete an, dass wir jetzt doch lieber schnell gehen sollten. Ich stellte mich rasch hinter ihn. Er selbst blickte nochmals zu Hitler und rief: „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Herr Hitler“ als hoffte er auf gute Genesung.

      Dann öffnete er die Tür. Waffenstarrende Soldaten musterten uns, man wartete auf den Abtransport zum Standgericht. Als Gehlen öffnete, standen die Lanzer und Stabsangehörigen mit gezogenen Pistolen absolut perplex vor der Tür. Ein Wunder, das sie nicht noch das Ohr an der Tür hatten oder sich versehentlich ein Schuss löste. Alle blickten fragend zu Hitler. Dieser hob nach einem kurzen Moment den Kopf und keuchte:

      „Alles in Ordnung meine Herren, Herr Gehlen kann jetzt gehen.“ Die Verwirrung stand jedem ins Gesicht geschrieben, keiner wusste, was er tun oder denken sollte.

      In dieser grotesken Situation drückte sich plötzlich Goebbels durch die Gruppe und schrie:

      „Können wir das Schwein jetzt erschießen? Ich will es selbst machen!“ Er schaute seinen großen Führer an, die umherstehenden der Leibgarde und die Stabsoffiziere. Er erkannte die Verwirrung, dass hier etwas nicht stimmte, wartete vergebens auf irgendeine sinnvolle Antwort oder Anweisung.

      Am Ende war es nur Hitler, der abwinkte:

      „Nein, Josef … Nein!“

      Gehlen nutzte umgehend die Situation und wir stürzten mit energischen Schritten hinaus. Dabei rumpelte Gehlen gekonnt Goebbels an, wie kleine Jungs auf dem Schulhof. Wir drängten uns an der Gruppe vor der Tür vorbei und hetzten im Stechschritt durch die klinisch reinen Flure zum Vorbunker. Überall gab es verwunderte Blicke, wir sollten hier nicht rausgehen.

      Aber es gab niemanden, der uns Einhalt gebot. Ich selbst war zu verwirrt, um klar zu denken, ich folgte nur. Mit Wessel und unserem Trupp gingen wir aus dem Bunker hinaus und stiegen sofort in unsere Wagen. Durch das geöffnete Fenster sagte Gehlen noch zu Wessel: „Halt durch, wo ich kann halte ich meine schützende Hand über dich. Wenn es zu eng wird, setzt dich ab! Du weißt ja, wo du uns findest.“ Wessel nickte, dann salutierte er vor Gehlen. Es war das erste Mal an diesem Tag, das jemand dem anderen die Ehre des Saluts zuteilwerden ließ. Wieder hielt ich eine dieser Erkenntnisse fest.

      Mit rasendem Tempo sausten wir davon. Im Auto sah Gehlen mich prüfend an, dann fragte er kühn lächelnd: „Na, mein Lieber, das war ja was, oder?“

      Er versuchte lässig zu wirken, rauchte aber schnell eine Zigarette und trank einen Schluck aus einem Flachmann. Ich erwiderte natürlich nichts und er blickte ohne ein weiteres Wort entweder in meine Augen oder aus dem Wagen. Wir redeten auch nichts mehr,

      bis ich ihn in Bad Reichenhall ablieferte.

      Ich danke Gott dafür, dass er mir die Möglichkeit gegeben hat, diese schlimme Zeit zu überstehen, da ich zu jung war, um zu wissen, dass man nicht im Krieg sterben sollte. Ich danke Gott dafür, dass ich Vorgesetzte und Fürsprecher hatte, die mich 1945 vor späten Einsätzen bewahrt haben. Vielen Dank, Reinhard von Gehlen! Vielen Dank, dass Sie mich aus dem Führerbunker wieder herausgebracht haben! Und fahren Sie zur Hölle, dass Sie mich dorthin mitgenommen haben!

      Kapitel 1

      04.10.1989 / 10: 00 Uhr / Hirschberg, Baden-Württemberg

      Uwe Dee, Kommandeur GSG9

      Ich stand