Rudi Bacher

Einmal Himmel und zurück


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Gemüt. Nicht mit Skepsis, sonder mit Glauben. Nicht mit Besserwissen, sondern mit Demut und Geduld. Demut hat mit Mut zu tun, und Geduld mit dulden. Das ist sehr wichtig zu wissen in der heutigen Zeit, in der jeder alles sofort und auf der Stelle haben will.

      Ich kann Dir auch keinen Einblick geben im Sinne von Realität. Mit der Wahrheit ist das so eine Sache. Wahr ist für jeden Menschen nur das, was er als wahr empfindet, geprägt von seinem Lebensstil und seiner ihm eigenen Vorstellungsgabe. Ich kann mich aber Deiner Träume bedienen, sie dienen dazu, Unverarbeitetes aufzuarbeiten. Voraussetzung ist, dass Du das wirklich möchtest. Das wollen leider die wenigsten, darum bleiben sie in ihrer Gedankenwelt gefangen, alleine und hilflos, weil der Andere ohnehin nie Recht hat und sie sich aus Furcht vor dem Unbekannten gar nicht ändern wollen. Du musst bereit sein, Dich auf Unbekanntes einzulassen und Du musst immer wissen, dass das, was Du träumst, Deiner Gedankenwelt angeglichen ist. Die Wahrheit ist viel umfassender, unbeschreiblich und gänzlich anders. ER will unter Euch sein, als der ER unter Euch sein will, und nicht als der, als den ihr IHN haben wollt. Die Träume, die Dich erwarten, sind ein Produkt Deiner Einbildungskraft. Sie kommen der Wahrheit nicht annähernd nahe und würden von jedem Menschen, dem Ähnliches angeboten würde, anders wahrgenommen. Die auf Details des Jenseits abzielende Neugier kann damit nicht befriedigt werden und ist auch nicht das Ziel dieses Angebotes. Es ist dies lediglich eine von Millionen Möglichkeiten, der Versuch einer Erklärung spiritueller Vorgänge. Möchtest Du das?“

      „Ja, unbedingt, mein Drang nach Wissen über das Leben ,danach’ ist unbändig.“

      „Das klingt schon wieder voll von Vorurteilen, vorgefasster Meinungen, vergiss das alles. Aber wen, möchtest Du, den ich Dir als Begleiter mitgebe? Gibt es einen Menschen, der in Deinem Leben volles Vertrauen hatte?“ „Da gibt es viele. Meine Eltern zum Beispiel oder meinen Bruder.“

      „Nein, keinen Verwandten oder gute Bekannte. Als Begleiter möchte ich lieber einen Außenstehenden; jemand, den Du geachtet hast; aber jemand, zu dem der Kontakt nicht zu intensiv war, vielleicht einen Pädagogen?“

      „Mein Vertrauen zu Lehrern wurde vielfach enttäuscht, doch ein paar gab es da. Aber da fällt mir eine Person ein, die mein volles Vertrauen bis zum Ende hatte. Es war mein Fluglehrer. Wir haben uns zwar selten über persönliche Dinge unterhalten, aber ich hatte immer den Eindruck, zu ihm könnte ich auch kommen, wenn ich in einer Notlage wäre. Er würde mir weiterhelfen. Er ist leider an Krebs verstorben.“

      „Das scheint der Richtige zu sein. Wir wollen es mit ihm versuchen.“

      Eigenartig. Ich hätte schon längst erwachen sollen aus diesem Traum. Es war so ein klarer Traum, ich glaube man nennt so etwas luzide Träume. Mir war während des Traumes voll bewusst, dass ich träume, und doch war der Traum so wirklich wie das Bewusstseins im Wachzustand. Mir war so, als würde ich aufwachen, wollte aber diesen Traum zu Ende träumen, was scheinbar auch gelang. Nicht nur diese Situation ist mir neu, auch der Traum war so voller Frieden und Ruhe. Dann das Wissen um einen Schutzengel, ich fühle ihn noch jetzt direkt neben mir, über mir, in mir. Ein Traum von der Art, aus der man eigentlich gar nicht aufwachen möchte. Sollte dies ein Hinweis sein, dass es eine Fortsetzung gibt?

      Wenn es so ist, dann freue ich mich jetzt schon auf den nächsten Traum. Lassen wir es einfach kommen, wie es kommen möge. Selbst wenn diese Niederschrift meiner Träume manchen Menschen Furcht und Angst einflößt, ich kann versichern, von Angst war keine Spur. Da war überall das totale Vertrauen und Zuversicht. Und die Stimmung war etwa so, wie es Sterbende oft beschreiben, wenn sie scheinbar Verstorbene zu sehen glauben und mit ihnen Kontakt aufnehmen.

       Die Reise

      Ich finde mich auf dem Rücksitz eines alten Chevrolet. Eines jener Fahrzeuge, die mich als Freund alter Autos immer faszinierten. Mein Bruder fährt den Oldtimer. Wir waren beide immer verrückt nach Autos. Über Chevys unterhielten wir uns jedoch nie, ganz abgesehen davon, dass wir je so ein Auto gefahren hätten. Auf dem Beifahrersitz ein Schulfreund meines Bruders, mit dem wir schon sehr schöne gemeinsame Ausflüge und Urlaube unternommen hatten.

      Aber wo sind wir? Ich kenne die Gegend nicht, war noch nie da. Es könnte sich um eine Wüstengegend handeln, etwa so, wie ich mir von Reiseberichten her Australien, Mexiko oder den Süden Nordamerikas, etwa Texas oder Arizona vorstellen würde. Die Gegend ist einsam und trostlos – keine Ortschaft, nur vereinzelte Siedlungen, fast wie verlassene Goldgräberstädte. Selten findet man eine Kurve auf dieser einspurigen, nur in Teilstücken asphaltierten Straße. Kilometerlange Gerade, soweit das Auge reicht. Ich blicke hinter mich, die bedrohlich scheinenden Wolken kündigen ein aufziehendes Gewitter an, aber vor uns blauer Himmel. Jetzt erst bemerke ich die brütende Hitze, es muss weit über 30 Grad haben.

      Stunden scheinen wir schon unterwegs zu sein, doch plötzlich wird die Straße breiter und ist nun sogar asphaltiert. Rechts und links der Fahrbahn stehen alte Flugzeuge und einige Autos. Rechts vor uns ein Gebäude, das wie eine Scheune aussieht, mit einem Aussichtsturm, daneben ein Windsack.

      „Die verwenden doch glatt die Straße als Runway für Flugzeuge“, sagt mein Bruder. „Ja klar“, denke ich mir, warum sollten sie in so einer gottverlassenen Gegend auch einen eigenen Flugplatz neben der Straße bauen?“ Meine Blicke streifen die vielen bunten Pipers und Cessnas, aber ich erkenne keine Hoheitszeichen oder Flugzeugkennungen.

      Da plötzlich ist mir, als erkannte ich einen alten Freund wieder, mein ehemaliger Fluglehrer. „Das kann doch nicht sein, der ist ja schon längst gestorben“, rufe ich meinem Bruder zu. „Bleib stehen, schnell!“

      Egon, so hieß mein Fluglehrer, stand auf der Tragfläche einer zweisitzigen Piaggo P.29, ein italienisches Aufklärungsflugzeug aus dem 2.Weltkrieg. Er war eben dabei, die Kabinenhaube zu öffnen. Noch bevor das Auto zum Stillstand kam, riss ich die Tür auf und rannte quer über die Straße auf Egon zu.

      Unser Freund Stefan fasste meinen Bruder am Arm und fragte: „Wer ist Egon? Was heißt das – er ist schon längst gestorben?“

      „Über Egon kann ich Dir einiges erzählen, aber alles andere ist auch mir ein Rätsel.“, antwortete er. „Egon war Fluglehrer. Der beste, den ich kannte. Mein Bruder und ich beschlossen eines Tages, Fliegen zu lernen. Unsere erste Begegnung mit ihm war am Flugplatz, als wir uns zögernd nach einer Ausbildung zum Privatpiloten erkundigten. Er kam gerade von einem Flug zurück und sagte zu uns: ,Ihr wollt Fliegen lernen? Steigt ein, ich will Euch etwas zeigen!’ Sodann hoben wir uns in die Lüfte und er zeigte uns die Stadt über München. Was heißt über? Von allen Seiten. München war unten, oben, rechts, links, überall. Unbeschreiblich, dieses Gefühl in der Magengrube. Ich weiß noch immer nicht, warum mir damals nicht hundeübel geworden war. Es war wohl das unerklärliche Vertrauen, das dieser unbekannte Pilot ausstrahlte. Als wir wieder landeten, fragte er uns mit einem breiten Grinsen im Gesicht: ,Wollt ihr immer noch fliegen lernen?’ ,Und wie, war unsere Antwort’, begierig, diese Flugkünste selbst einmal zu Wege zu bringen. ,Dann ist es gut’ meinte er, und schrieb uns zum Kurs ein.“

      „Dein Bruder erwähnte, dass er gestorben sei. Wann und wo ist er abgestürzt?“, fragte Stefan, immer noch verwirrt. „Jeder von uns glaubte, dass er irgendwann seinen Tod in der Fliegerei finden würde; nein, er starb an Lungenkrebs. Das war für uns alle eine Schreckensbotschaft. Aber eigentlich erklärlich, war er doch starker Kettenraucher. Aber lass mich jetzt zu ihm.“

      Wir lagen uns immer noch in den Armen, als mein Bruder zu uns kam und Egon ebenso überschwänglich begrüßte, während ich Stefan nachdenkend auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf der Frontscheibe unseres Autos gelehnt sitzen sah.

      Wir begaben uns zusammen in ein kleines Fliegerrestaurant zwischen zwei Hangars und frischten unsere früheren Erlebnisse auf. So lebendig war Egon vor uns, dass keiner mehr an das Rätsel seiner leibhaftigen Gegenwart dachte, als plötzlich Egon zu mir sagte: „Ich muss wieder weiter, kommst Du mit?“

      „Wohin fliegst Du denn?“, fragte ich.

      „Als ob das wichtig wäre. Du weißt ja nicht einmal, wo Du im Moment bist!“

      Wie die Faust aufs Auge. Das saß. Ich überlegte einen Moment. Ein Flug mit Egon wäre natürlich wieder