sich Bewusst macht, welche massiven Kräfte in dieser außergewöhnlichen Situation gewirkt haben müssen, ganz gut überstanden. Er bekam eine Morphium Pumpe, das ist eine Kleine Spritze in einem abgeschlossenen Plexiglasgehäuse, welche an einen intravenösen Zugang angeschlossen war. Er konnte über einen Knopf im Rahmen von genau vorgegebenen zeitlichen Grenzen, sich eigenständig eine kleine Dosis Morphium verabreichen. Obwohl der Spielraum der Dosierung schon relativ hoch eigestellt war begab es sich, das vielleicht auch unterstützt durch die bereits vorherrschende Sensibilisierung dem Alkohol und vielleicht auch noch anderen Substanzen gegenüber, auch nach sehr kurzer Zeit eine Sensibilisierung des Morphins gegenüber stattfand und der Dosisspielraum wohl nicht mehr für eine effektive Schmerzlinderung ausreichte. Er verlangte nach mehr. Natürlich gaben wir dies den diensthabenden Ärzten weiter und selbstverständlich setzte man sich damit auseinander. Denn grundsätzlich sollte niemand in einem Krankenhaus länger Schmerzen ertragen müssen ohne das diese eine zielgerichtete Behandlung und dadurch eben auch Linderung erfahren. Doch man sah jedem sehr genau an, dass aktives Mitleid nicht wirklich aufkam.
3,2 Promille waren es letzten Endes, welche sich zumindest bei der ersten Messung im Krankenhaus in seinem Blutkreislauf befanden und 3,2 Promille waren es sicherlich auch, als sich die Front seines Kraftfahrzeuges, frontal und beinahe gradlinig und in voller egoistischer, suizidaler Absicht in die ebenfällige Front eines sich im direkten Gegenverkehr befindlichen Kraftfahrzeuges bohrte. Zwei Objekte, welche sich mit Minimum einhundert Stundenkilometer aufeinander zu bewegen, frontal aufeinander prallen und zumindest für nur den Bruchteil einer Millisekunde ihre Geschwindigkeit, zumindest in ihre ursprüngliche Richtung beinahe augenblicklich auf null reduzieren, nur um genau in der nächsten, ebenso kurzen Millisekunde, ihre Geschwindigkeit wieder abrupt, auf etwa die Hälfte ihrer Ausgangsgeschwindigkeit, allerdings genau in eine andere Richtung wieder zu erhöhen. Zwei Kleinkinder zwei und vier Jahre alt und ihre Mutter waren tot. Ich weiß nicht ob augenblicklich und unverzüglich, oder ob diese einzigartige Szenerie von Hilflosigkeit und brachialer Zerstörung noch durch unendlich wirkende, Minuten von körperlich unerträglicher schmerzhafter Erfahrungen, in Kombination mit in ihrer unendlichen und unfassbaren Grausamkeit kaum vorstellbaren Bildern abgerundet, begleitet oder regelrecht garniert wurde, bevor sich das herrlich süße von Erlösung und irdischer Leblosigkeit geprägte Bild von Tod und körperlicher Vergänglichkeit über diese höchst tragische Situation und die darin verwickelten kaum gelebten Leben legte.
Das Objekt Mensch als Produkt
Die alltägliche institutionalisierte Pflege, welche aus betriebswirtschaftlicher Sicht auch gerne mit dem Begriff des „Sozialen Produktes“ umschrieben wird, ist ein sehr komplexes, soziointeraktionelles Gefüge, welches durch sehr unterschiedliche, verschiedenartige und vielschichtige Interaktionsbereiche und Interessengruppen, welche zu guter Letzt durch Einzelindividuen oder Gruppen wie zum Beispiel Träger, Ärzte, Therapeuten, die Pharmaindustrie oder Medizinproduktehersteller und deren unterschiedlichen Interessenschwerpunkte geprägt, ausdefiniert und gestaltet wird entsteht.
Auch wenn die Begriffe Objekt oder Produkt in Bezug auf den einzelnen Pflegeklienten, also ein wahrnehmendes, fühlendes, atmendes und durch seine Persönlichkeit und seine Individualbedürfnisse geprägtes Wesen, doch eher befremdlich, kryptisch und sogar abstoßend wirken mag, möchte ich dennoch versuchen, diesen Widerspruch in einen pflegealltagsrealitätsbezogenen, sowie nachvollziehbaren Zusammenhang zu bringen.
Obwohl im Bereich der allgemeinen Gerontologie, also dem anscheinend natürlichen Prozess des immer Älterwerdens und einer automatisch damit einhergehenden Pflegebedürftigkeit, der Begriff Produkt auf den ersten Blick zunächst eher irreführend zu sein scheint, da ein Produkt uns als zielgerichtet, künstlich geschaffen und plastisch vorkommt, ist dieser meiner Auffassung nach dennoch mehr als passend. Grundsätzlich müssen wir uns dessen bewusst werden, dass durch die sich stetig verbessernden medizinischen, fachpflegerischen und gesundheitsunterstützenden Möglichkeiten, zu welchen immer mehr Menschen global Zugang erlangen, wir diesen ansteigenden Pflegebedarf im Endeffekt selber schaffen. Läge die Lebenserwartung unserer westlichen Gesellschaft bei nur 50 Jahren und nicht wie prognostiziert in absehbarer Zeit bei fast 100, würden uns die allermeisten der heute in immer größerer Zahl auftretenden geriatrischen Krankheitsbilder überhaupt nicht begegnen. Einer durch die höhere Lebenserwartung am meisten zunehmende pflegerische Fachbereich ist der der „demenziellen Veränderung“, nur für diesen Teilbereich werden jährlich Unsummen für Forschung und Pflege ausgegeben. Ganz zu schweigen von den heute ganz alltäglichen, den einen etwas mehr, den anderen etwas weniger betreffenden und eben mit immer höherem Alter immer massiver auftretenden Einschränkungen und Erkrankungen der Gelenke, der Knochen, des Bewegungsapparates, des Herz-Kreislaufsystems und vieles mehr. Um diesen Gedankengang noch zusätzlich zu verdeutlichen, möchte ich einen Bereich der Pflege anführen, welcher tatsächlich in den letzten Jahren durch die Korrelation von immer besser werdender präklinischer, als auch klinischer Intensivmedizin und den stetig sich verbessernden Möglichkeiten der häuslichen Intensivpflege und der Beatmungstechnik, in meinen Augen nicht nur regelrecht explodiert ist, sondern sich eben auch zu einem unheimlich lukrativen pflegerischen Geschäft entwickelt hat. Wir reden über die Geschichte der Heimbeatmung, also der außerklinischen Intensivpflege, zum Beispiel der Versorgung des apallischen Syndroms, also von Wachkomapatienten, auf Basis der Tracheotomie, welche die Grundvoraussetzung für die Intensivpflege ist. Noch in den neunziger Jahren hätten die meisten dieser Klienten entweder gar nicht so lange überlebt oder hätten zu einem sehr großen Teil nur auf Intensivstationen betreut werden können. Stand heute erscheint es eher so, als ob Intensivpflegedienste fast schon wie Pilze aus dem Boden schießen und nach aktueller Rechtsentwicklung diese Pflegeklienten in so genannten Wohngemeinschafften, teilweise auf engstem Raum, in Gruppen „betreut“ werden können. Es ist also in den letzten Jahren ein klientenspezifischer Pflegemarkt entstanden, welcher vor zwanzig bis dreißig Jahren in dieser Form nicht mal ansatzweise vorhanden gewesen ist. Diese spezielle Gruppe von Pflegebedürftigen ist übrigens in meinen Augen eine derer, mit welcher einerseits am meisten Geld verdient wird, deren individuelle Bedürfnisse, Ansprüche und Leiden andererseits aber am wenigsten in Fachkreisen diskutiert und/ oder auch öffentlich bewusst sind. Leider produziert unsere Gesellschaft durch medizinischen und pflegerischen Fortschritt an einigen Stellen in immer größer werdender Zahl Pflegebedürftigkeit, macht sich aber, nach meiner Auffassung, im zwingend notwendigen Umkehrschluss viel zu wenig bis gar keine Gedanken über ethische, humane und moralische Fragen in Bezug auf den Umgang mit diesen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will diesen, durch Wissenschaft und Forschung errungenen medizinischen und pflegerischen Fortschritt, nicht negativeren oder gar blind verurteilen. Ich möchte einzig und allein die These anführen, dass unser Umgang mit dieser, sich verändernden und teilweise neu entstehenden Pflegebedürftigkeit, ein gesamtgesellschaftlich bewussterer, zukunfts-bedürfnisorientierterer und eindeutig in seinen ethischen Erwartungen klarer ausformuliert werden muss.
Die aktuellen Pflegewissenschaften und die durch diese stetig differenzierter und in ihren einzelnen Teilbereichen immer diffiziler, also situations- , umstands- und individualspezifischer ausformulierten und spezialisierten Teilaspekte der Pflege, sind in meinen Augen eine klare Vorbereitung, eine sachliche Auseinandersetzung und dadurch auch eine ganz bewusste Inanspruchnahme von und mit Zukunft, nämlich einer, sich, in Anbetracht der Tatsache des stetigen globalen Bevölkerungswachstums und der aktuell stetig steigenden Lebenserwartung (Zumindest in der überwiegenden „westlichen Welt“), einen immer größeren Kreis von Menschen betreffenden Zukunft, welche sich für den Einzelnen eben auch über einen eventuell immer länger andauernden Zeitraum erstrecken wird oder kann. Es muss in meinen Augen nicht nur eine klar definierte gesellschaftliche Pflegekultur, sondern auch ein Bewusstsein für die auf uns zukommenden pflegerischen Herausforderungen entstehen. Doch wer ist hier gefragt? Denn auch der einzelne Pflegeklient egal in welcher Form empfindet dies bezüglich Klärungsbedarf.
Der einzelne, ob nun plötzlich und abrupt oder nach einem sich langsam abzeichnenden und stufenweise verflechtenden Leidensweg, des körperlichen oder geistigen Verfalls, auf fachpflegerische Unterstützung und Betreuung angewiesene Pflegeklient, erwartet oder erhofft sich, nach meiner Auffassung, in aller erster Linie Verständnis von Seiten der Allgemeingesellschaft für seine, hoffentlich vorrübergehend, hilflose und fachpflegerisch abhängige Lage. Für den aller größten Teil