Michael Weiß

Liebe, Tod und Pflege


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machen? Es gibt zwar die Expertenstandards in der Pflege, in denen wirklich sehr sehr viele schlaue und pflegequalitätsfördernde Aspekte stehen, zu deren Umsetzung jeder Pflegedienstbetreiber auch verpflichtet ist. Doch was bringen uns diese Standards, wenn keiner die Zeit und Personal hat, diese umzusetzen?

      Wir benötigen in meinen Augen eine gesamtgesellschaftliche kulturelle Überlegung zur Zukunft, der Erwartung und Zielsetzung der Pflege. Dies bedarf nichts weniger, als einen konstruktivistischen Entwurf unserer Zeit, welcher in einen systematischen, ressourcen-, bedürfnis-, klientenorientierten, pflegewissenschaftlichen und zukunftsorientierten Sinnkontext gestellt werden muss, damit dadurch eine gesamtgesellschaftliche Zielsetzung, Verlässlichkeit, Relevanz und evtl. sogar eine Art Gesellschaftsbewusstsein entsteht.

       Ein leises Piepsen

      Nachdem ich meine Ausbildung zur Fachpflegekraft abgeschlossen hatte verschlug es mich nach einem Jahr der eher schlecht bezahlten vollstationären Altenpflege zu einem in Baden-Württemberg immer weiter expandierenden Intensivpflegedienst, welchen ich bereits durch ein Praktikum während besagter Ausbildung kennenlernen durfte. Besagter Intensivpflegedienst ist ein wahrer Meister darin sich nach außen als kompetent, führsorglich, mitarbeiter- als auch klientenorientiert und höchst professionell dar zu stellen. Also auf gut Deutsch, Scheiße in hübsch glitzerndes Geschenkpapier einzuwickeln und mit verführerisch duftendem Parfum zu besprühen. Doch zu dieser essenziellen und im Nachhinein sehr stark prägenden Einsicht gelangte ich erst viel zu spät. Besagter Pflegedienst stampft mittlerweile eine Intensivpflege-WG nach der anderen aus dem Boden, finanziert aus den Unsummen, welche sich mit der Außerklinischen Intensivpflege verdienen lassen. Die Öffentlichkeitsarbeit geht immer nach derselben Strategie von Statten. Sie pflanzen ihre Wohngemeinschaften in repräsentative, teilweise herrschaftlich anmutende Immobilien, welche auf sehr gut und professionell gestalteten Internetseiten in Kombination mit angeblichen lobreichen Aussagen von Mittarbeitern präsentiert und angepriesen werden oder wurden. Wenn man dies sieht oder liest, kommt in einem sofort das überaus starke, innerliche Bedürfnis auf, den Rest seines vollbeatmeten oder tracheotomierten oftmals massiv eingeschränkten Lebens in solch einer Häuslichkeit verbringen zu wollen. Doch die Realität hat wie so oft ein gänzlich anderes Gesicht. Die Wahrheit ist ganz einfach, so mitarbeiterfreundlich wie dargestellt ist man lange, lange nicht, sonst hätten nicht so viele Mitarbeiter diesen moralisch fragwürdigen Zirkus unter einem Rechtsstreit verlassen. Doch auch dies ist sicherlich ein Stückweit gewollt und gewünscht, denn nun kann man die zwar oftmals besser Ausgebildeten, sprachlich kompetenteren aber auch anspruchsvolleren und kritischeren Mitarbeiter/innen gegen eher nicht immer sehr kompetente, sprachlich und kommunikativ schlechter aufgestellte aber dafür besser führbare unkritische Mitarbeiter austauschen. Mir wird regelmäßig von Mitarbeitern welche dort noch arbeiten und zu welchen ich noch einen freundschaftlichen Kontakt pflege berichtet, das immer wieder Ersatzbeatmungsmaschinen nicht am Strom angeschlossen sind, also im Falle eines Falles nicht Einsatz bereit wären, beschissene Personalschlüssel vorherrschen und selbst einfachste Fachpflegerische oder Hygienische Standards einfach nicht eingehalten werden.

      Als ich dort damals meine Tätigkeit begann, gründete besagter Intensivpflegedienst gerade die erste Wohngemeinschaft für außerklinische Intensivpflege. Diese war in einer riesigen im Brutalismus Stiel erbauten Villa, welche sich über mehrere Eben erstreckt untergebracht. Von außen eine echt geile Hütte und von innen für fast alles geeignet, außer für die außerklinische Intensivpflege. Doch es ging wie immer nicht um die inneren Werte. Wie immer hatte die Form über den Inhalt gesiegt, auf ganzer Linie. Als ich dort meine fachpflegerische Tätigkeit begann, waren in besagter Wohngemeinschaft gerade mal zwei von insgesamt acht möglichen Pflegeklienten untergebracht. Diese lagen auf der Oberen von insgesamt drei Ebenen der Villa. Die Tage vergingen und langsam aber sicher stieg die Anzahl der dort betreuten Pflegeklienten.

      Mehrere Mitarbeiter hatten schon zuvor darauf hingewiesen, das sollte sich die Einrichtung mit Intensivklienten füllen und diese auf allen drei Ebenen verteilt seien, eine effektive und zwingend notwendige Signal- also Alarmwahrnehmung, speziell während der Nachtschicht, wenn nur zwei Pflegekräfte anwesend seien, nicht mehr sicherheitsgewährleistend zu bewerkstelligen und zu garantieren sei. Ich meine jedem schwachsinnigen Affen hätte sofort eingeleuchtet das eine Pflegekraft welche sich gerade in einem Zimmer der oberen Ebene befindet und in selbem Zimmer gerade die Beatmungsmaschine, in Zusammenspiel mit einem Sauerstoffkonzentrator brummt, niemals in der Lage sein könnte, einen Alarm, welcher eventuell von einer anderen Ebene ausgeht und sich durch mehrere Stahlbetonwände quälen müsste, wahr zu nehmen. Dieser Umstand war meinen damaligen Vorgesetzten sicherlich auch klar und das Problem lag nicht an mangelnder Einsicht oder eben Schwachsinn, sondern an mangelnder Bereitschaft in Korrelation mit Gleichgültigkeit welche sicherlich durch fehlende gesetzliche Vorschriften bestärkt und durch blanke Geldgier zusätzlich befeuert wurde.

      Denn die einzige Reaktion und gleichzeitig das Ergebnis, welche auf diese mehrmals mündlich als auch schriftlich geäußerte potentielle Gefahrenquelle folgte, war eine überaus schwachsinnige Dienstanweisung, welche besagte, dass man eben nicht mehr zu zweit in einem Zimmer Pflegen dürfe und stetig eine nahe Anwesenheit an der oberen als auch Unteren Ebene zu gewährleisten sei. Was man denn nun tun sollte, wenn einer der beiden Pflegekräfte einmal dem durchaus Menschlichen drang der Defäkation nachgehen müsste, was eventuell je nach Masse, Beschaffenheit und aktueller Darmtätigkeit ein wenig Zeit in Anspruch nehmen könne, wüsste man nun aber auch nicht so genau. Man hätte schon damals sofort eine Rufanlage einbauen und zumindest einen Teil der Beatmungsmaschinen daran anschließen können, oder sich eine andere Form der Lösung überlegen können. Doch das hätte natürlich Geld gekostet und aufgrund von eben fehlenden gesetzlichen Vorgaben bestand nun auch rechtlich aus der Sicht unserer Geschäftsführung wohl nicht wirklich zwingend Handlungszwang und die Mitarbeiter- als auch Klientensicherheit ist unter diesen Umständen doch auch mehr als nachvollziehbar zu vernachlässigen. Oder meinen sie etwa nicht?

      So begab es sich nun, dass wir eines Tages einen neuen Pflegeklienten zur professionellen Betreuen und fachpflegerischen Versorgung bekamen, welcher unter massiven, am ganzen Körper meist bei Berührung auftretenden Spasmen also unkontrollierbaren heftigsten Muskelkrämpfen litt. Besagter Klient lag im Koma und war vollbeatmet. Sie müssen sich vorstellen, dass sobald sie diesen armen Mann, welcher wenige Wochen zuvor an einer massiven Hirnblutung, nach einer traumatischen Einwirkung auf den Schädel litt, anfassten zum Beispiel an den Füßen, anfing am ganzen Körper unkontrolliert zu zucken. Dies machte nicht nur eine effektive und fachpflegerisch Lagerung mehr als schwierig, sondern erschwerte natürlich sämtliche fachpflegerischen Handlungen enorm. Es blieb ihnen also überhaupt nichts anderes übrig, als diesen speziellen Pflegeklienten zu zweit zu versorgen, da einer den armen Kerl festhalten musste damit dieser nicht aus dem Bett sprang sobald die zweite Kraft an ihm arbeitete. Auch dieser Umstand wurde der Geschäftsführung zum damaligen Zeitpunkt ohne nennenswerte Reaktion mitgeteilt. Also verstießen wir Nacht für Nacht gegen besagte geist- und sinnfreie Dienstanweisung um eben beschriebenen Neuzugang einigermaßen professionell versorgen zu können.

      Eines Nachts, es war eine Nacht wie jede andere gingen wir also wie immer zu zweit in besagtes Zimmer. Wir beeilten uns, das taten wir immer, denn keinem von uns war wirklich wohl dabei, von sämtlichen akustischen Reizen, welche aus jedem anderen der sieben belegten Zimmer des restlichen Hauses hätten dringen können, sei es auch nur für sehr kurze Zeit, abgeschnitten zu sein.

      Nur um das nochmal zu versinnbildlichen. Acht Pflegeklienten jeder einzelne Minimum tracheotomiert und an einem Pulsoxymeter angeschlossen, welcher bei einem Sättigungsabfall ein akustisches Signal von sich gab, die Hälfte davon vollbeatmet also eine Beatmungsmaschine, welche bei eventuellen Unregelmäßigkeiten ebenfalls akustisch Alarm schlug. Wir saugten ihn schnell ab, da auch seine Sauerstoffsättigung zu wünschen übrigließ. Einer führte den Absaugschlauch, während der andere den Oberkörper an den Schultern festhielt um dem massiven nach oben schnellen des kompletten Oberkörpers, ausgelöst durch natürlichen Hustenreiz in Kombination mit Spasmus entgegen zu wirken. Ein frischer Trachealverband, da der alte durchgenässt war. Jetzt noch schnell Lager, einer hält den Oberkörper, der andere lagert die Beine. Nun hält der Andere die Beine damit sich diese nicht wieder entlagerten, während der zweite den Oberkörper einigermaßen klientenorientiert positionierte. Nun