Norbert Wickbold

Norbert Wickbold Denkzettel 6


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nicht die stärkste von meinen Künsten!«.

      Und da erscheint der Teufel höchstpersönlich, der frei heraus erklärt, dass Zerstörung sein Auftrag sei. Und Faust antwortet ihm spottend:

      »Nun kenn ich deine würd´gen Pflichten!Du kannst im Großen nichts vernichtenund fängst es nun im Kleinen an!«.

      Darauf der spitzfindige Mephisto:

      » Und freilich ist nicht viel damit getan.«.

      Damals wie heute haben all die vielen Wellen, Stürme Schütteln, Brände dem menschlichen Treiben weiß Gott kein Ende bereitet. Heute fängt es die, lange Zeit so liebe Güte wirklich im Kleinen an. Und tatsächlich.

      Ein winzig kleines Virus schafft es. Ach du liebe Güte, diese kleine Ursache soll eine solch große Wirkung hervorrufen? Zunächst will das kaum jemand ernst nehmen. Doch was niemand für möglich gehalten hat: Das Virus lässt uns innehalten. Wir sehen ab von unserem Treiben. Denn das kleine Virus hat das Potenzial zu ganz großen Zahlen. Zu Zahlen, die all die Wachstumspropheten erschaudern lassen.

      Im alten Ägypten hatte Moses dem Pharao demonstriert, welche Macht der wahre Gott hat, indem er seinen Mosesstab in eine Schlange verwandelte. Auch die ägyptischen Magier verwandelten ihre Zauberstäbe in Schlangen. Doch die mosaische Schlange hatte die Macht, die anderen zu vertilgen. Wie schon damals der Pharao, so beschäftigen auch die Mächtigen unserer Tage ein Heer von Beratern und Machern, damit diese ihnen eine machtvolle Zukunft sichern. Und in schwierigen Zeiten zeigt sich deutlich, was ihre Kunst in Wirklichkeit ist: ein fauler Zauber! Jahrzehntelang ließen wir uns davon in den Bann ziehen. Bedenkenlos ließen wir zu, dass sie gigantische Honorare und Bonuszahlungen kassierten und all die vielen fleißigen Arbeiter und Helfer zum kostenintensiven Ballast degradierten, der wegzurationalisieren sei. Einzig sie selbst galten als unverzichtbare und unbezahlbare Stütze unserer Gesellschaft. Ihre Zauber- und Beschwörungsformeln von Machbarkeit und Unfehlbarkeit, von Wachstum und Gewinnstreben sind sinnlos geworden. Nun in der Krise wird deutlich, wer wirklich unverzichtbar ist. Plötzlich fällt auf, dass all die billigen Arbeitskräfte gerade das Wertvollste sind, was die Gesellschaft hat. Jetzt erweist sich, dass der Stein, den die Meister verworfen haben, zum Eckstein geworden ist. Nicht die Berater, Makler und Manager, sondern die Krankenschwestern, Verkäufer und Lieferwagenfahrer bilden den Eckstein, also den Stein, der das Gewölbe unserer ganzen Gesellschaft wirklich trägt. Es machten schon Bilder die Runde, die zeigten, wie Umherstehende den Pflegepersonen Beifall klatschten. Ach du liebe Güte, da stehlen die fleißigen Krankenschwestern und Verkäuferinnen doch tatsächlich den Gewinnmaximierern die Show. Wie wäre es, wenn diese statt dumm aus der Wäsche zu schauen, selbst mit zupacken würden, wo Not am Mann ist? Oder wenn sie das angesammelte Geld aus vielen Bonuszahlungen mal gemeinnützig anlegen würden? Ach du liebe Güte, rufen sie, soll jetzt etwa Solidarität wichtiger sein, als Raffgier? Und wir? Soll unsere Solidarität bald wieder nur den alten Profiteuren gelten?

      Manchmal stelle ich mir vor, ich könnte die Erde vom Weltall aus betrachten. Mit all den vielen Satelliten und Flugzeugen, die sie unentwegt umkreisen. Ach könnte ich davon ein Gesamtpanorama erstellen und eine Momentaufnahme machen. Aber die Erde steht nun mal nicht still. Und die Flugzeuge erst recht nicht. Nur in meiner inneren Vorstellung ist das möglich. Ja und dann denke ich sofort: »Ach du liebe Güte, das sieht ja aus wie ein Seeigel!«. Sofort denke ich an das Bild vom neuen Virus. Ja, das hat genau solch einen Stachelschild um sich herum. Ja, richtig, Corona. Und dann schau ich mir die Erde erneut von außen an. Ach du liebe Güte, was ist denn jetzt passiert? Fast keine Flugzeuge mehr und so viele Schornsteine rauchen auch nicht mehr. Selbst Autobahnen und große Plätze sind plötzlich fast menschenleer. Corona hats geschafft. Ich spüre es, wie die Erde, die liebe gute Erde, endlich aufatmet. Ach du liebe Güte, was hast du mit uns vor? Jetzt hält die liebe gute Erde uns alle in Atem und macht uns angst und bange. In der Tat, alle bisherigen neun Plagen konnten uns nicht zum Umdenken bewegen. In der Bibel ist erst die zehnte Plage in der Lage den Pharao umzustimmen. Alle erstgeborenen Jungen werden umgebracht. Und auch der Pharao verliert seinen geliebten Sohn. Warum traf diese Plage eine solch grausame Auswahl? Scheinbar wollte Gott den hartherzigen Pharao strafen, nach dem Motto: Entweder du erkennst meine Macht an, oder ich vernichte dich. Doch wahrscheinlich ging es schon damals um mehr. Um viel mehr. Nicht nur der Pharao sollte sich wandeln. Die ganze Kultur musste gewandelt werden. Damals waren die Erstgeborenen der wundeste Punkt des ganzen Systems. Die später Geborenen gerieten oftmals in Abhängigkeit oder gar in die Sklaverei. Wie die Israelis, die Moses von ihrem Joch befreien wollte.

      Und heute? Heute verschont Corona mit der zehnten Plage, die imstande ist, fast alles lahmzulegen, gerade die Jungen. Die Jungen scheinen ungefährdet zu sein. Und das Ganze geschieht genau, nachdem die Jugend ein wichtiges Signal gesetzt hat: Das Alte ist schon lange überholt, es muss überwunden werden. Und zwar sofort. Wir wollen nicht mehr so weiter machen. Wir sind bereit! Ach du liebe Güte! Jetzt verstehe ich, warum die jungen Klimaaktivisten den Älteren zugerufen haben: »Ihr beraubt uns unserer Zukunft! Gebt uns frei, damit wir unser Leben leben können!«. Bisher hatten sie sich einfach am Freitag freigenommen. Fridays for Future. Jetzt, durch Corona haben sie alle Tage Free for Future. Freie Tage für eine bessere Zukunft. Und das geschieht dank Corona mit staatlicher Anordnung! Und tatsächlich, alleine dadurch, dass sich die ganzen Schüler nicht mehr einzeln von ihren Eltern zur Schule und zu allen möglichen Treffen fahren lassen, tun sie schon einiges für die gute Luft, also für eine bessere Zukunft.

      Auch Corona trifft eine schreckliche Auswahl. Es befällt vor allem die Alten, besonders die Hochaltrigen. Wie sich jetzt schon erahnen lässt, wird es das Alte, also das alte verhärtete und erstarkte System, niederreißen. Schon Laotse bezeichnete die Alten als Gesellen des Todes. Bei ihm heißt es:

      »Darum sind die Harten und Starken, Gesellendes Todes, die Weichen und Schwachen, Gesellendes Lebens.«.

      Ach du liebe Güte! Jetzt wird, was in den letzten Jahren zum Schimpfwort degradiert wurde, von einem Tag auf den anderen zur Überlebensstrategie. Ich meine Solidarität, Achtsamkeit und Rücksicht. Ach du liebe Güte, jetzt wird sogar die völlig aus der Mode gekommene Hilfsbereitschaft wieder entdeckt. Und die sonst übliche Protzerei erweist sich endlich als vollkommen fehl am Platze. Die liebe Güte gönnt der ganzen Welt eine Atempause und verlangt von uns Menschen einen langen Atem. Eines scheint mir jetzt schon gewiss. Ein Zurück zum Altgewohnten kann es nach dieser Krise nicht geben. Vielleicht erweist sich Corona als der Meteor, der die Dinosaurier unserer Wirtschaft zum Aussterben bringt. Doch wenn man genau hinschaut, sind die nicht ausgestorben, sondern die schwerfälligen Donnerechsen haben sich gewandelt zu federleichten Akrobaten der Lüfte. Vielleicht muss die ganze Menschheit, noch einige goldene Kälber opfern und umschmelzen und dann, wie damals die Israeliten, vierzig Jahre lang durch die Wüste marschieren, dabei alten Ballast loslassen, um schließlich im gelobten Land anzukommen. Ach du liebe Güte. Nein, du liebe Gute. Liebe gute Erde! Mit frischem Atem rufen wir ihr zu:

      »andra tutto bene. Ja, alles wird gut!«.

      Norbert Wickbold

      Denkzettel Nr. 52

      Wie es bei Hempels unterm Sofa

      wirklich aussieht!

      Ich wollte das tatsächlich wissen.

      Manchmal gehen mir Redewendungen durch den Kopf – ja und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie sie dort hinein gekommen sind. Genauso wenig, wie ich – zumindest damals als Kind – verstehen konnte, wie es in meinem Zimmer immer wieder zu solch einer Unordnung kommen konnte. Auch wenn die Leute sagen, dass alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, so scheinen doch Unordnung und Chaos, wie der Staub, der sich ohne eigenes Zutun auf alles setzt, gewissermaßen wie von selbst zu kommen. Meine Eltern, die sich an dem, von ihnen als chaotisch bezeichneten Zustand in meinem Zimmer übrigens mehr störten als ich, inspizierten deshalb des Öfteren mein Refugium und riefen beim Anblick