Mathias J. Kürschner

Siebenkampf


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Aberglauben hält, dann traut man allenfalls der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der religiösen Überlieferung zu, hier Licht ins Dunkel zu bringen. So wird Jesus auch kritisch angefragt, mit welchem Recht er denn überhaupt meint, im Reden über Gott eine Lippe riskieren zu können, wo er doch nicht einmal eine anständige theologische Ausbildung hatte. Denn Wahrheitserkenntnis, so seine Gesprächspartner, stellt sich doch nur im wissenschaftlichen Diskurs mit der Überlieferung ein. „Erst einmal muss man eine ganze Menge Wissen erwerben, um dann, nach reiflicher Überlegung und Abwägung, dieser Lehre vielleicht etwas abzugewinnen.“

      „So funktioniert das nicht“, sagt Jesus. Um die Heilige Schrift zu verstehen, ist eine intellektuelle Auseinandersetzung mit ihren Inhalten niemals hinreichend. Wirklich ver-standen hat sie nur, wer beim Vater steht. Das heißt: Zum Glauben kommt nicht der, der sich durch regelmäßige Zeitungs-Lektüre in den Dschungel der tausend Erwägungen, Thesen und (Verschwörungs-)Theorien begibt. Er kommt in der Gottesfrage nicht weiter. Nach Jesus ist es dagegen vielmehr das Hören und Tun, das jene Erkenntnis schenkt, die wirklich hilfreich ist. Ein Millimeter Gehorsam ist, pointiert gesprochen, erkenntnisreicher als tausend Kilometer Diskussion. Lernen und Verstehen wird dabei als ein ganzheitliches Geschehen verstanden, das dem nachahmenden Lernen der Kinder ähnelt, die ihre Eltern beobachten, sie kopieren und in diesem Kopieren als einem Verinnerlichungsprozess auch kapieren. Es reicht nicht, dass man sich kognitiv Inhalte aneignet, sich religiöse Texte quasi „in die Birne zieht“. Erkenntnis muss ganz andere Tiefenschichten im Menschen erreichen, muss aus dem Intellekt durch handelnde Aneignung zur Haltung werden, die unsere Überzeugungen durchwirkt. Erst dann kann sie als Glauben, als tiefes Vertrauen, den Grund unseres Herzens erreichen.

      Das ist vielleicht die psychologische Dimension im Ansinnen des Didaktikers Jesus. Dazu kommt aber ein noch gewichtigerer Aspekt: Es ist das Wesen des Erkenntnisgegenstandes, das diesen Erkenntnisweg nötig macht! Es geht um die Natur, das Wesen des Wortes Gottes. Das ist von allem Anfang an Schöpferwort, kreatives Geschehen. Nicht Information über religiöse Phänomene, die wir zusammensetzen, damit ein Wissen über Gott entsteht. Sondern kreatives Geschehen, das sagt, was es tut und tut, was es sagt. Es bringt Dinge zur Existenz, die vorher nicht da waren. Es gehen Kraftwirkungen von ihm aus. Das wird im Schöpfungsgeschehen der Genesis deutlich. Aber auch bei den Jüngerberufungen und Heilungen Jesu. Jesus sagt etwas und es geschieht. Es wird in dem Moment Wirklichkeit. Menschen folgen nach. Sie werden geheilt. Der Sturm wird gestillt.

       Hören und Tun gehören in der Bibel immer zusammen.

      Dem Wort Gottes wird also anders entsprochen als der (akademischen) Lehre. Im universitären Denken stellt sich Wahrheit dadurch ein, dass Wissende im Diskurs ihren gemeinsamen Kenntnisraum erweitern. In der Begegnung mit Gottes Wort ist es hingegen so, dass im schöpferischen Wort Gott selbst als der Schöpfer hervortritt und an dem Angeredeten handelt. Er versetzt den, der wirklich hört, ins Tun. Der Hörer entspricht dem zu ihm sprechenden Gott durch hörenden Ge-hor-sam, durch hörendes Tun. Hier vollzieht sich (Neu-)schöpfung! Darum gehören Hören und Tun biblisch immer zusammen. Diese Verbindung nennt der Evangelist Johannes das „Bleiben“ in Jesu Wort. Es ist sozusagen die Inkubation des schöpferischen Geschehens, in das der Hörende wie in ein Kraftfeld hineingerät.

      Das Innewerden, von dem Johannes spricht, das Gewinnen der inneren Überzeugung, dass in diesem Wort der Bibel sich nicht nur religiöse Überzeugungen niederschlagen, sondern Gott selbst sich verdeutlicht, geschieht dann nicht objektiv-distanziert, wie in einem naturwissenschaftlichen Versuchsaufbau. Sondern im „Hören und Tun“ werde ich selbst Teil eines lichtvollen Wahrheitsraumes, in dem sich die Wahrheit als Begegnung mit dem Ewigen ereignet. Nicht ich, der religiös Suchende, lege dann die Bibel objektiv aus, um etwas von Gott „zu wissen“ zu bekommen. Sondern ER selbst tritt mir entgegen, tritt sozusagen aus dem Wort heraus, wie der Schauspieler in dem Woody-Allen Film „Purple Rose of Cairo“ plötzlich eine Zuschauerin im Kino anredet und dann gar die Dimensionen von Film und Wirklichkeit durchbricht, in dem er aus der Leinwand in den Zuschauerraum tritt. So ist auch die metaphorische Wirkung der Bibel. Gott überschreitet durch ihre Metaphern (von griech. metaphorein = hindurchleuchten, überschreiten) die Schwelle hin in unsere Welt. Plötzlich leuchtet eine andere Wirklichkeit durch die unsrige hindurch wie ein Hologramm. Gott verdeutlicht sich. Er zeigt sich. „Offenbarung“ nennt das die Bibel. Im Wort Jesu redet der ewige Gott selbst, durchbricht Zeit und Ewigkeit, spricht schöpferisch in den Resonanzraum unseres Lebens hinein und verleiblicht sich schließlich in unserem Tun. Das Wort wird Fleisch im Gehorsam des Hörenden - und der erkennt, dass er es mit Gott zu tun hat. Das ist der eigentümliche Weg geistlichen Erkennens - das ist weit mehr als eine Kopfgeburt!

       6. Glaube hat Beißerqualitäten (Mt 15, 21-27)

      Oh je, ein Gott zum Kuscheln ist das nicht! Diese Geschichte ist befremdlich, zeigt uns einen Gott, wie er selten Eingang in die Poesiealben findet. Wieviel Fremdheit sind wir bereit, zuzulassen, wenn wir es mit Gott zu tun haben? Die Ausländerin, Verzeihung, die Frau „mit Migrationshintergrund“ akzeptiert eine ganze Menge Befremdlichkeit und ist bereit, über Grenzen zu gehen,

       Was sind das für Kräfte, die an einem Menschen zerren? Sind das „die Umstände“…?

       weil sie bereits in einer grenzwertigen Lage ist. Ihre Tochter (Wer könnte ihr normalerweise näher sein?) ist ihr krankheitsbedingt ganz fremd geworden. Wie durch eine andere Macht gesteuert wirkt sie, wie vielleicht die durch Demenz persönlichkeitsveränderte Oma. Sie ist nicht mehr sie selbst. Was helfen alle psychologischen Diagnosen. Alles Gerede von Stoffwechselveränderungen – und was da sonst noch erzählt wird. Das will man in so einer Situation alles gar nicht hören. Das hilft doch nix! Sie will ihr Kind zurück, das sie liebt und das ihr jetzt ins Unglück zu entgleiten droht. Was sind das für Kräfte, die an einem Menschen zerren, der vielleicht aus gutem Hause kommt, eine behütete Kindheit hatte, und nun völlig „auf den Hund gekommen“ ist? Sind das „die Umstände“… wie man dann hastig einwirft, oder trifft es die Rede vom bösen Geist eigentlich viel besser?

      Dass Jesus sie tatsächlich auf diese Wirklichkeit hin ansprechen wird, ist für sie vermutlich nicht das schlimmste. Das Schlimmste wird in diesem Text bei all den vordergründigen Aufregern gern überlesen. Da heißt es: Und er antwortete ihr kein Wort. Ist das nicht furchtbar? Du rufst zu Gott und bist ganz eingekerkert in die kleine Zelle deines Leidens. Du weist nicht mehr, an wen du dich wenden sollst und schreist das Leid heraus zu Gott oder jedenfalls zu einer nebulösen Instanz, die jenseits der Grenze deiner bisherigen Erfahrung steht. Und dein Schreien verhallt einfach. Keine Antwort! Und er antwortete ihr kein Wort. „Warum Gott, wenn es dich denn gibt, antwortest du nicht?“ Wie oft wird dieses Gebet wohl gebetet worden sein? Wie oft wird es auf dieser schmerzgeschwängerten Welt wohl in diesem Moment gerade herausgeschrien? - Und Gott schweigt… Und die Dunkelheit in einer grauenvollen Nacht des Schmerzes bleibt.

       Das Leben muss vorwärts gelebt werden. Dummerweise wird’s aber nur rückwärts verstanden.

      Und dann sind da noch die Leute. Nein, es ist ja viel schlimmer: Es sind die Jünger. Die Gemeinde. Sie drängt diese Sucher durch ihre Attitüde noch ab: Lass sie gehen. „Komm, bedräng uns nicht. Wir sind so beschäftigt mit unserer religiösen Routine. Das stört uns nur.“ - Man muss das schon fragen: Stellt sich so die Kirche dar? Haben wir solche Grenzen aufgebaut, dass die ehrlichen Sucher nicht mehr reinkommen, weil sie die Insignien der In-Group nicht tragen: Nicht den Kirchenslang. Nicht den Habitus und die äußere Erscheinung der Mittelschicht? Wie hoch ist der unsichtbare Zaun vor unseren kirchlichen Veranstaltungen? Und wann sind wir schon mal jenseits des Zaunes unterwegs? In Sidon und Tyrus, in Freundeskreisen und Vereinen, Parteien und Initiativen, wo Menschen den christlichen Glauben lediglich für ein wirres Abenteuer halten und Sidon allenfalls als Rapper durchgeht?

      Ich bin froh, dass wir biblische Geschichten vom Ende her anschauen können. Das geht mit dem Leben ja nicht. Das muss vorwärts gelebt werden. Dummerweise wird’s aber nur rückwärts verstanden. Vom Ende her ist das Schweigen eine Prüfung gewesen. Es ging wohl darum Geduld zu üben und weiter an Jesus festzuhalten. Glauben wird auch geprüft. In der Rückschau geht einem das manchmal auf. In der Situation hilft das allerdings nichts!