Mittagessen vorzubereiten und ein paar Nackensteaks auf den Rost zu legen, als er sich etwas schüchtern zu mir drehte und sagte: »Sie treten doch für eine bunte Gesellschaft ein. Zu Bunt gehört auch Braun.« Worte, die man von Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere in einer selbsternannten »national befreiten Zone«, nicht hören will. Schon gar nicht, wenn genau diese Polizisten ein Auge auf die Nazis in deiner unmittelbaren Umgebung haben sollen. Ich habe dem jungen Polizeibeamten geantwortet, dass Braun durchaus auch zu Bunt dazugehören kann, wenn es das denn möchte. In einer bunten Welt gehört jeder dazu. Nur will Braun nicht zu Bunt gehören. Wenn Braun kaputt machen möchte, was die anderen aufgebaut haben, wenn Braun alle anderen Farben mit Braun übermalen will, dann gehört es nicht zu Bunt dazu. Ich habe nichts gegen Braun, sagte ich, Braun habe etwas gegen mich. Er hat nur genickt und ist gegangen. Ich hoffe, er hat darüber nachgedacht.
Braun ist für mich immer ein Alarmzeichen, mit Ausnahme des FC St. Pauli. Es ist schier absurd, dass nach den Landtagswahlen in Thüringen immer wieder von dem »Hufeisen« gesprochen wurde, einer vereinfachten Beschreibung des politischen Spektrums, nach der sich die beiden politischen Enden näher sind als ihr Abstand zur Mitte. Dieser unerträgliche Wahn der Kommentatoren, ganz gleich ob aus den Reihen der CDU oder des ZDF, rechts und links immer wieder miteinander zu vergleichen, hat in den letzten Jahren zu der schleichenden Verharmlosung der Rechten geführt. Sicher sind nicht alle AfD-Wähler Rassisten, aber sie alle wählen eine Partei, die vehement fremdenfeindliche Inhalte vertritt. Die Linkspartei mit der AfD zu vergleichen, weil beide an den Polen des derzeitigen politischen Spektrums liegen, suggeriert auch eine vergleichbare Radikalität bei der Umsetzung ihrer politischen Ziele. Dabei habe ich von Bodo Ramelow bislang keine extremistischen Aussagen gehört. Nicht einmal die Großindustriellen will er standrechtlich erschießen lassen, eine beliebte Formulierung bei der AfD und ihren Anhängern. Wir sollten eines nicht vergessen: Das Gegenteil von rechter Gesinnung ist nicht links, das Gegenteil ist nicht rechts. Politisches Braun heißt immer: »Du nicht!« Das ist ein sehr großer Unterschied zur politischen Linken. Es ist einerlei, ob sich dieses Braun mit anderen Farben zu tarnen versucht oder nicht, es grenzt immer aus. Wenn man als Ausländer in Deutschland aufgewachsen ist, weiß man das.
Dabei ist Rassismus kein Alleinstellungsmerkmal der Braunen. Er ist in der Gesellschaft im Grunde ständig da. Mal mehr, mal weniger, man gewöhnt sich nur daran und lernt damit umzugehen. Irgendwann hinterfragt man ihn nicht mehr. Ich glaube, das können viele Migranten unterschreiben. Das Wort »Migrant« allein ist schon ambivalent. Einst waren Migranten noch Gäste. Aber als diese Gäste dann doch länger blieben, als Gäste normalerweise nun mal so bleiben, wurden sie zu Ausländern.
Ich selbst war zum Beispiel nie Gast, sondern gleich zu Beginn direkt Ausländer. Ich kam ohne die Absicht, hier zu arbeiten. Zum einen, weil ich nicht freiwillig kam, zum anderen, weil ich erst fünf Jahre alt war. Ich wollte nicht hierher. Weder wollte ich mein Kinderzimmer und meine Spielsachen zurücklassen noch meine Freunde und am allerwenigsten meine Eltern. Dass mir das größte Schlamassel – Sprache und Kultur – noch blühte, ahnte ich nicht. Ich hatte noch nie eine andere Sprache gehört, geschweige denn, dass es andere Kulturen gab, was sollte das überhaupt sein? Die iranischen Fünfjährigen waren damals noch nicht so weit. Zweisprachige Kitas gab es erst für die folgende Generation. Ich war noch so ein richtiger Ausländer, mit schwarzen Haaren, iranischem Pass und absolut keinerlei Sprachkenntnissen. Dass die Ausländer, die damals schon hier lebten, teilweise bereits in zweiter oder – wenn sie besonders fleißig waren – dritter Generation, vorher Gäste gewesen waren und sich nun zu Ausländern gewandelt hatten, davon hatte ich keine Ahnung. Ich war Ausländer und wechselte diesen Status erst 25 Jahre später mit meiner Einbürgerung, mit der ich von der Gesellschaft sozusagen ganz offiziell meinen »Migrationshintergrund« verliehen bekam. Wobei der Begriff damals schon wackelte, hatte ich doch die überwältigende Zeit meines Lebens in Deutschland verbracht. Kindergarten, Vorschule, Schule, Uni, Arbeit, ganz stringent, so richtig spießig. Und deshalb machte man einige Jahre später aus meinem Migrationshintergrund einen politisch korrekten »sogenannten Migrationshintergrund«. Das Attribut »Migrationshintergrund« zur allgemeinen Kategorisierung für Menschen, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht hatten, gar hier geboren waren, war dann doch irgendwie schwer vertretbar.
Ich wurde und blieb bis heute – ob meiner »vorbildhaften Integration« und langen Verweildauer in der Bundesrepublik, guten Manieren, einem Eid auf die Verfassung, Warten bei Rot, Interesse an deutschem Kulturgut wie Goethe, Wurst und Schlager, Bausparvertrag mit guter Zinsbindung, Vorliebe fürs Lüften kombiniert mit der genauen Kenntnis der Quadratmeterzahl meiner Wohnung, einem überproportionalen Hang zu Ordnung und Effektivität, nicht zu viel Körperkontakt mit Fremden, Einhaltung der Mittagsruhe, regelmäßigem Besuch von Weihnachtsmärkten, Abheften von Unterlagen in Ordnern, fundiertem Wissen über Hitlers Ostfeldzug und einem sauberen norddeutschen Einschlag in der Sprache, vom Ausländer über Migrant zu einem »Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund«. Nur Deutscher, das wurde ich nie.
Die Schriftstellerin Jagoda Marinić schrieb in ihrem Aufsatz »Was ist deutsch in Deutschland?« sehr passend über die Problematik des Begriffs Migrationshintergrund:
»Besonders klebrig haftet dieser Migrationshintergrund an jener Generation, die nie eingewandert ist und von denen sich einige weigern, einen anderen Hintergrund zu haben als den, in dem sie geboren sind. Der Gast, der Geduldete, der Ausländer, Eingebürgerte, der Eingewanderte, der Deutsche mit Migrationshintergrund. Es ist, als wollte die Kette nicht enden, nur um nicht sagen zu müssen: Aus dem Gast wurde ein Deutscher. Seine Kinder sind Deutsche. Deutsche sind plötzlich anders, als wir es kannten.«[8]
Weil ich selbst nicht mehr weiß, wer was ist und vor allem was ich bin, werde ich in diesem Buch mit den Begriffen Gastarbeiter, Gäste, Migranten, Ausländer, Deutsche, Biodeutsche, Ethnodeutsche, Einheimische und Eingeborene, Fremde, die, wir, und allem, was Ihnen noch dazu einfällt, gerne auch in Kombination mit sogenannt und in beliebiger Generation, um mich werfen, ohne Anspruch darauf, korrekt zu sein. Man sehe es mir nach. Die Rechtsradikalen allerdings werde ich als das benennen, als was man sie benennen muss. Ihr Handeln und ihre Worte zeigen stets, welch Geistes Kind sie sind, egal hinter welcher Farbe sie sich verstecken. Sie sind Rassisten, Nationalisten, Sexisten, Chauvinisten, Antisemiten und Islamophobe. Mal nur eins, mal alles, mal populistisch, mal radikal, mal extrem. Sie stellen die Gleichheit der Menschen in Frage. Es gibt viele Definitionen für sie, aber Nazis bleiben eben Nazis, und das sollte man auch aussprechen.
Dieses Buch will genau das: aussprechen, was ist, und darauf hinweisen, dass wir uns längst in einer Situation befinden, in der wir dringend handeln müssen, wenn wir den Kampf gegen die Rechten nicht verlieren wollen. Wenn ich in der Folge von der Neuen Rechten spreche, orientiere ich mich an der Definition des deutschen Politikwissenschaftlers Richard Stöss, der feststellt, dass »im Konzept der neuen radikalen Rechten […] die Bedeutung des Gegensatzes zwischen demokratischem Konservatismus und antidemokratischem Rechtsextremismus relativiert und stattdessen auf Gemeinsamkeiten am rechten Rand des politischen Systems hingewiesen [wird].«[9]
Ich spreche in diesem Buch nicht von der historischen Neuen Rechten, sondern von jenen Kräften, die heute aktiv versuchen, parlamentarisch wie außerparlamentarisch, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland auszuhebeln.
Auch über Rassismus wird gesprochen werden. Es muss sich niemand die Mühe machen, sich eine eigene Definition des Begriffs zurechtzulegen, der französische Soziologe Albert Memmi hat das wissenschaftlich anerkannt schon für uns alle übernommen:
»Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.«[10]
Rassismus ist in unserem Land omnipräsent. Das war er schon immer, er ist jetzt nur besonders sichtbar und anscheinend für große Teile der Gesellschaft wieder konsensfähig geworden. Er ist nicht mehr nur im Kopf des grummeligen Nachbarn von gegenüber, der seine Straße nicht mehr wiedererkennt. Er hat sich tief im Staatsapparat eingenistet, dort, wo kein Rassismus sein darf. Ich kenne unzählige Beispiele, teils aus persönlicher Erfahrung, ob aus der Justiz, auf der Polizeiwache, bei Behörden, vor Gericht oder bei Grenz-