Katja Brandis

Seawalkers (3). Wilde Wellen


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sagte Miss Whites Stimme in meinem Kopf.

      Hier lässt es sich aushalten, verkündete Noah und eine Weile schwammen wir friedlich nebeneinanderher. Doch schon nach kurzer Zeit wurden meine Freunde unruhig. Puh, ich muss atmen, verkündete Shari, richtete die Schnauze nach oben und holte mit kräftigen Schlägen ihrer Schwanzflosse Schwung.

      Klar, ich auch. Chris folgte ihr.

      Ich war ein bisschen enttäuscht. Das waren bestimmt nicht mehr als fünf Minuten gewesen. Sollte ich mitschwimmen? Miss White hatte gesagt, wir sollten zusammenbleiben, also nahm ich Kurs auf die Oberfläche.

      Ja, es war ein bisschen wie eine wilde Achterbahn, nur nicht so lustig. Der Wind brauste nicht mehr, er kreischte. Regen und Gischt färbten die Welt weißgrau, ich konnte kaum ein paar Meter weit sehen und die Strömung war so stark, dass ich nur mit viel Kraft vom Fleck kam. Fühlte sich an, als hätte mich jemand festgeklebt.

      Tiago, Achtung!, schrie eine Mädchenstimme.

      Schemenhaft sah ich, dass irgendetwas über mir aufragte, aber es war zu spät zum Abtauchen. Eine gigantische Welle brach genau dort, wo ich an die Oberfläche gekommen war, und erwischte mich mit voller Wucht. Es fühlte sich an, als würde eine Betonmauer auf mich kippen. Halb betäubt, wurde ich herumgewirbelt und verlor die Orientierung. Nichts wie weg hier – aber ich hatte keine Ahnung, wo oben und unten war.

      Tiago!, schrie jemand, aber ich brachte keine Antwort heraus.

      Ganz ruhig, ich hab dich. Miss Whites Stimme. Ihre riesige Orcaschnauze schubste mich in eine bestimmte Richtung. Dort lag garantiert die Sicherheit. Ich spannte die Muskeln an, schlug kräftig mit der Schwanzflosse und fühlte mit meinen Haisinnen, wie das Wasser kälter wurde. Ich war tatsächlich auf dem Weg zurück in die ruhige Tiefe. Uff. Ich wollte nichts anderes als hierbleiben.

      Alles in Ordnung?, fragte Shari besorgt.

      Alles bestens, log ich, obwohl mein Körper sich anfühlte, als hätte ein Riese damit Weitwurf geübt.

      Bleib besser erst mal hier, Tiago, spar deine Kraft auf – du wirst sie noch brauchen, sagte Miss White und schwamm einen Moment lang an meiner Seite. Auch das gab mir Kraft. Wenn ich wieder in meiner Hütte war, würde ich ein paar Orcas zeichnen.

      Bei den Delfinen war nicht alles bestens. Ich krieg beim Auftauchen kaum Luft, alles ist voller Gischt, hörte ich Blue stöhnen.

      Du musst besonders kräftig ausprusten, kurz bevor du durchbrichst nach oben, rief Noah.

      Oben? Man kann doch kaum noch sagen, wo das Meer aufhört und die Luft anfängt, ächzte Chris und hielt sich eng an Sharis Seite. Aber das war mir gerade egal – wer in so einer Situation eifersüchtig war, hatte einen an der Waffel.

      Meine Freunde tauchten mit Miss White zusammen auf. Ich versuche, euch ein bisschen Windschatten zu geben, meinte unsere Lehrerin. Haltet euch dicht neben mir, okay?

      Trotzdem hörte ich kurz darauf Shari rufen: Verdammt, ich hab Wasser ins Blasloch bekommen!, und sofort machte ich mir wieder Sorgen um sie.

      Noch mal atmen, schnell, stoß es aus!, sagte Blue. Ich bin bei dir.

      Zu Anfang waren meine Freunde noch leicht und elegant durchs Wasser geglitten, doch als Stunde um Stunde verging, merkte ich voller Sorge, wie viel Energie sie der heftige Seegang kostete. Aber sie und die anderen hatten keine Wahl, sie mussten immer wieder in diese Hölle zurückkehren. Dankbar spürte ich, wie Wasser durch meine Kiemen strömte, wie sie für mich Sauerstoff aus dem Meer zogen. Zum ersten Mal fand ich es wirklich praktisch, ein Hai zu sein. Ja, ich hatte mir gewünscht, zu den Delfinen zu gehören. Aber jetzt gerade stand das nicht oben auf meiner Wunschliste.

      Jedes Mal, wenn Shari zu mir zurückkehrte, wirkte sie erschöpfter.

      Geht’s noch?, fragte ich sie besorgt.

      So muss sich Wäsche in einer Waschmaschine fühlen, versuchte sie schwach zu witzeln. Noah und Blue sagten gar nichts mehr, anscheinend waren sie zu fertig. Oje … und Adelina würde garantiert noch mehrere Stunden toben, vielleicht sogar einen ganzen Tag.

      Miss White glitt wieder nach oben und diesmal hatte sie ausnahmsweise gute Nachrichten. Kommt hoch! Wir sind im Auge … im Auge des Hurrikans, rief sie uns zu.

      Neugierig tauchten wir auf … und staunten. Die Welt hatte sich verwandelt. Der Regen hatte aufgehört und zum ersten Mal hatten wir wieder einen Blick auf die wogende Wasserlandschaft um uns herum. Es war zwar noch ein bisschen bewölkt, aber hier und da schimmerte blauer Himmel durch. Ein Wunder.

      Irgendjemand hat den Hurrikan abgestellt, sagte Blue beeindruckt und sog die Luft in tiefen Zügen durch ihr Blasloch.

      Shari und Noah drifteten an der Oberfläche und atmeten ebenfalls gierig, während Chris um sie herumschwamm wie ein etwas ungewöhnlicher Hirtenhund, der noch ungewöhnlichere Schafe zusammentreibt.

      Was ist das, dieses Auge?, fragte Shari neugierig wie immer.

      Wir sind genau in der Mitte des Sturms, erklärte ich und erinnerte mich an das Loch in der Mitte des Hurrikans, das ich auf dem Satellitenbild gesehen hatte. Dort ist es windstill – wie lange, was schätzen Sie, Miss White? Irgendwann geht’s ja wieder los, dann ziehen die anderen Spiralarme über uns hinweg.

      Eine halbe Stunde vielleicht, höchstens eine Stunde, meinte Miss White. Auch sie wirkte ziemlich erledigt, ihr stromlinienförmiger Körper lag fast bewegungslos im Wasser. Wir genossen die Ruhe und versuchten, uns so gut wie möglich zu erholen. Doch nach etwa zehn Minuten sagte Shari: Ich höre was …

      Fragend blickte ich sie an, denn mir war nichts aufgefallen.

      Da vorne!, rief Noah und nahm Anlauf. Im Vergleich zu seiner sonstigen Akrobatik war es ein jämmerlicher Sprung, doch anscheinend hoch genug, um Ausschau zu halten. Wir reckten unsere Schnauzen in die Richtung, in die Noah gewiesen hatte.

      Dort – kaum einen halben Kilometer entfernt – trieb ein Schiff, das es wohl nicht rechtzeitig in den Hafen geschafft hatte. Und es war ganz klar in Schwierigkeiten.

       Neptuns Helfer

      Das Schiff war ein weiß gestrichenes Segelschiff mit blauen Verzierungen, einem Holzdeck und einer Galionsfigur, die einen bärtigen Meeresgott mit Dreizack darstellte. Anscheinend hatte der jedoch dem Schiff – Neptun II hieß es – nicht genug Glück gebracht, denn einer der beiden Masten war abgeknickt. Segel und Leinen waren ein nasses Gewirr im Wasser, das das Schiff zur Seite kippen ließ. Gewaltige Brecher strömten über das Deck der Neptun, überschwemmten sie und drückten sie ins Meer. Doch jedes Mal kam ihr Bug wieder hoch und die Wassermassen flossen von ihr ab.

      Ihre Maschine läuft noch, das heißt, sie können es schaffen, sagte Miss White. Jedenfalls wenn sie diese Trümmer loswerden und wieder besser manövrieren können.

      Auf dem heftig schwankenden Deck bewegten sich Menschen in knallroten Anzügen, die sich mit Sicherheitsleinen an der Reling festgemacht hatten. Manche hackten mit Messern auf die Taue des Segels ein, aber mehrere blickten aufs Meer hinaus, riefen sich etwas zu, deuteten auf etwas. Zuerst dachte ich, dass sie uns bemerkt hatten, doch seit wann wirkte jemand panisch, wenn er eine Delfinschule sah?

      Die suchen jemanden, sagte Shari und Sekunden später, als wir gerade im Wellental waren, sahen auch wir den winzigen Punkt auf dem Wasser – einen Kopf. Das über Bord gegangene Crewmitglied im roten Überlebensanzug versuchte verzweifelt, zum Schiff zurückzupaddeln. Doch das brachte zwischen den gigantischen Wellen rein gar nichts und die Person konnte nichts dagegen tun, dass sie immer weiter vom manövrierunfähigen Schiff weggetrieben wurde.

      Sechs Seawalker, ein Gedanke. Neue