Katja Brandis

Seawalkers (3). Wilde Wellen


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um zu sterben.«

      Ich musste grinsen. »Sterben? Eigentlich ist dein Job als Ersatzvater doch, mir zu sagen, dass alles gut wird.«

      »Kann sein. Aber ich halte dich nicht für so dämlich, so was zu glauben.«

      Am leisen »Pling« hörte ich, dass eine Nachricht auf meinem Handy eingelaufen war. Ah, sie war von meinem Vater, das war eine mittlere Sensation, meine Eltern schrieben mir nicht gerade oft.

      »Bleib mal kurz dran«, sagte ich zu Johnny und überflog die wenigen Zeilen.

       Hallo, Tiago, wir sind gerade in Korea, wo wir einen großen Konzern beraten, aber wir haben gehört, was bei euch los ist. Bring dich bitte rechtzeitig in Sicherheit. Ich nehme an, dein Bruder wird das ebenfalls tun. Viel Glück! Scott

      Wie bitte, ich hatte einen Bruder?! Ich kam mir vor, als hätte mir jemand einen Schlag auf den Kopf verpasst.

       Der Countdown läuft

      Wow. Ich hatte einen Bruder. Langsam sickerte der Gedanke richtig ein.

      »Tiago? Alles klar mit dir? Kannst du mir vielleicht sagen, wo bei euch das Klo ist?«, fragte Izzy, die neue Schülerin.

      Ich glotzte sie an. »Klo. Äh, ja, das Klo. Da vorne, beim Eingang der Cafeteria.«

      Als sie weg war, stellte ich Johnny zur Rede. »Hast du gewusst, dass ich einen Bruder habe?«

      »Was meinst du mit ›Bruder‹?« Er klang ebenso verwirrt wie ich vorhin.

      »Verwandt halt, was für Brüder gibt es denn sonst? Und kannst du mal lauter sprechen? Ist einiges los hier.« Ich klang wahrscheinlich endgenervt. »Das mit dem Bruder stand gerade in der Nachricht. Anscheinend lebt er hier in der Gegend, sonst hätte er nicht auch Probleme mit dem Hurrikan.«

      Unser Koch Joshua, Noah, Shari und Blue wankten schwer beladen mit Lebensmittelkartons, Kisten mit Werkzeug und anderem Kram an mir vorbei zu den bereitstehenden Schulautos. Farryn García versuchte, aufgeregte Eltern zu beruhigen, die in der Eingangshalle Panik verbreiteten. Wild diskutierend, sammelte sich eine erste Gruppe von Schülern, die mit dem dunkelblauen Kleinbus der Schule aufs Festland in Sicherheit gebracht werden sollten, in meiner Nähe. Ein halbes Dutzend Schlangen und Alligatoren kroch an mir vorbei nach draußen und meckerte währenddessen darüber, dass es in nächster Zeit kein Buffet geben würde.

      »Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte ich. »Pass auf dich auf, ja?«

      »Du auch auf dich«, antwortete Johnny. »Geh, so tief du kannst, und halt dich von sämtlichen Küsten und Riffen fern, klar? Wenn du ein paar Tage lang nichts zu fressen findest, ist das okay, das kann dein Haikörper problemlos verkraften. Über die Sache mit diesem Bruder reden wir, wenn wir Adelina überstanden haben.«

      Ja, das mussten wir unbedingt. Ziemlich sauer schrieb ich meinem Vater, dass ich mehr wissen wollte, aber trotz der Zeitverschiebung kam sofort zurück: Tut mir leid, dass ich ein so schwieriges Thema angesprochen habe. Lass diese Familiengeschichten ruhen, die lenken dich gerade nur ab. Scott

      Meine Finger krampften sich um das Gerät. Ich war ganz kurz davor, das Handy gegen die Wand zu donnern. Oder eine der Nummern meiner Eltern zu wählen und sie anzubrüllen. – Ja, und ob die mich ablenkten, diese Familiengeschichten! War dieser Bruder älter oder jünger als ich, sah er mir ähnlich, war er auch ein Wandler, und wenn ja, welcher, war er nett oder eher so wie Ella? Gab es einen Grund, warum Scott und meine Mutter mir nie von ihm erzählt hatten? – Horden von Fragen stauten sich in meinen Gehirnwindungen. Freuen konnte ich mich noch nicht über das neue Familienmitglied, dafür musste ich erst mal glauben, dass es wirklich existierte.

      Jemand zupfte mich am Arm. Jasper. Mit großen, beunruhigten Augen blickte er zu mir hoch. »Meine Eltern sind da, wir fahrn jetzt«, sagte er und schaute dann zum Himmel. Moment mal, wo war das Blau geblieben? Jetzt jagten dunkle Wolken darüber, Windböen zerzausten die Palmenwedel und gerade begann es zu regnen. Natürlich zückte niemand einen Regenschirm, manche streckten den Tropfen sogar das Gesicht entgegen.

      Jasper und ich umarmten uns. »Ich hoffe, ihr kommt noch durch«, sagte ich zu ihm. »Du wirst sehen, bald sind wir wieder hier und schwitzen über Gleichungen, Aufsätzen und irgendwelchen Verwandlungsübungen.«

      Jasper lächelte ein bisschen. »Glaubste wirklich? Okay, dann glaub ich’s auch.«

      Finny tauchte neben mir auf. »He, Tigerhai, was ist mit diesem Kram, den ich für dich aufheben soll, während du herumflösselst?«

      Ich rannte los, um meine Zeichensachen zu holen, brachte sie wasserdicht in einer Plastiktüte unter und stopfte sie mit meinem Handy, meiner Glücksbringer-Muschel und ein paar Dingen, die auf keinen Fall einer Naturkatastrophe zum Opfer fallen sollten, in einen Rucksack.

      »Ich beschütze ihn mit meinem Leben«, sagte Finny, als sie ihn übernahm, und salutierte übertrieben.

      »Bitte nicht!« Ich umarmte auch sie und wunderte mich darüber, dass sie mich fast nicht loslassen wollte. Hatte sie etwa Angst – die coole, selbstsichere Finny? Vorsichtig löste ich mich von ihr. »Viel Glück, bis demnächst dann.«

      »Bis demnächst. Immer schön feucht bleiben, okay?« Sie schüttelte sich das Wasser aus den blauen Haaren wie ein Hund und schaffte es, mich damit zum Lachen zu bringen. Dann verschwand sie in Richtung Parkplatz.

      Inzwischen waren viele Schüler weg. Diejenigen, die noch da waren – die Delfine, Chris, aber auch ein paar andere –, sorgten mit den Lehrern dafür, dass die Schule einigermaßen hurrikanfest wurde. Mr García montierte mit zwei Schülern die Regenwassersammler auf dem Dach ab und sicherte unsere Solarmodule. Carmen, die Hammerhai-Wandlerin aus dem zweiten Schuljahr, war noch da und schwang gemeinsam mit Ralph und Chris den Akkuschrauber, um Sperrholzplatten vor den Panoramafenstern der Cafeteria anzubringen. Ich öffnete den Mund, um sie anzufeuern, doch Carmen schenkte mir einen drohenden Blick. »Ein einziger Witz über Werkzeug und Hammerhaie und du wirst es bereuen, glaub mir!«

      »Nein, nein, so was würde ich nie sagen«, versicherte ich ihr und packte mit an, als es galt, eine besonders schwere Platte an die richtige Stelle zu heben. Inzwischen waren meine Klamotten völlig durchtränkt, aber ich beachtete es einfach nicht.

      Shari und ich halfen, die Seeanemone Mrs Monk und die Seepferdchen in einem Reiseaquarium unterzubringen und in eins der Autos zu laden. Dabei stolperte ich über eine Python-Nachzüglerin und wäre beinahe zu Boden gegangen. Zum Glück schwappte nur ein bisschen fischloses Wasser über den Rand, aber ein zartes Weinen drang in meinen Kopf, da hatte sich wohl jemand erschreckt.

      Vorsichtig mit den kleinen, Stolperflosse!, schnauzte Nox mich aus einem anderen Behälter an. Vielleicht hatte er die Kids doch ins Herz geschlossen.

      »Jaja, reg dich ab, Lästerschnabel«, antwortete ich. »Ich trag sie so sanft, als würden sie auf Wolken schweben, hast du das übersehen?«

      Total lieb von dir, Nox, dass du so auf sie achtgibst. Linus schwamm zwischen seinem Nachwuchs umher und bog den gelben, pferdeartigen Hals. Ich glaube, ich werde sie dir zu Ehren Lox, Mox, Tox und Jox nennen.

      »Hm, hab schon schönere Namen gehört«, sagte Shari und packte sämtliche Wandler mit auf x endenden Namen in den Kofferraum.

      Aber Nox wirkte gerührt. Wirklich, das würdest du tun?

      Na ja, am besten warten wir mit dem Namengeben noch, bis wir wissen, wie viele von ihnen dieses improvisierte Aquarium und den Hurrikan überleben, meinte Linus. Dann können wir vielleicht den Namen Jox weglassen, der gefällt mir eh nicht so gut.

      Shari, Nox und ich stöhnten auf.

      »Macht schnell, wir haben nicht mehr viel Zeit!«, drängte Mr Clearwater und blickte zum Himmel. Instinktiv taten wir es ihm gleich.