Staubsaugerbeutel getreten. Ich stammle meinen Gag über Xavier Naidoo, der vor Kurzem als Strafe für rassistische Äußerungen aus der „Deutschland sucht den Superstar“ Jury geflogen ist und ernte Stille.
Stille hat unterschiedliche Klangfarben. Da gibt es die beruhigende Stille. Zum Beispiel wenn man in einem Haus am Meer hinter der schützenden Fensterscheibe sitzt und auf die Fluten schaut, die tonlos gegen die Klippen hämmern. Und es gibt die Stille des Neuanfangs. Wenn man zum Beispiel nachts in einer neu bezogenen Wohnung auf einer Matratze auf dem Boden wach liegt, die Luft klar und kalt im Raum steht und einen diese völlige Stille umgibt, die nur selten vom Knacken des Holzbodens unterbrochen wird.
Und dann gibt es diese absolute Stille. Wenn man einen Witz macht und niemand lacht. Eine Stille, die sich wie ein Sarkophag um einen legt.
Nach einer solchen Kameraprobe ist die Moral maximal am Boden. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man einen Hundertmeterläufer vor dem alles entscheidenden Rennen eine Testrunde laufen lassen, aber mit Gewichten an beiden Beinen, Gegenwind aus Windkanonen und ohne Schuhe.
Nina klatscht. Allein.
Als ich das erste Mal bei TV Total aufgetreten bin, wollte Stefan Raab mich beruhigen und sagte: „Denk immer daran: Der Saal ist egal, nur die Millionen Menschen vor dem Fernseher zählen.“
An diese Worte muss ich jetzt denken und rätsle immer noch, was daran nun eigentlich beruhigend sein sollte.
Ich gehe langsam rückwärts von der Bühne, fast comichaft schiebe ich mich aus dem scharfkantigen Lichtkegel des Scheinwerfers. Das einzig Beruhigende in diesem Moment ist die Gewissheit, dass es nicht mehr schlimmer werden kann. Um das zu toppen, müsste ich mich heute Abend schon vor laufender Kamera selbst beschmutzen oder ohne Hose das „Thüringer Klöße“-Lied singen.
„Das war doch toll“, sagt Nina und legt ihren Arm um mich. Eine tröstende Geste, mein Kopf hängt trotzdem wie eine Abrissbirne zwischen meinen Schultern. Den Begriff „toll“ für diesen Unfall zu verwenden, klingt wie Satire. Aber sie meint es ernst. Sie reibt meine Schultern wie eine Mutter, deren Kind vom Pferd gefallen ist. Nur dass das Kind in diesem Fall zwei Meter groß ist und 200 Pfund wiegt.
Plötzlich regt sich etwas im Raum, Heiner oder Reiner schiebt seinen Körper aus der Lehne des Stuhls in die Senkrechte, ein Luftzug geht durch die leeren Gänge der Sitzreihen, der die Techniker und Kameraleute aufzuwecken scheint wie eine Explosion am Horizont.
Dieter Nuhr erscheint durch die offene Stahltür an der westlichen Seite des Raums. Wir haben uns noch nie gesehen, deshalb grüße ich, immer noch getroffen von den schlimmen letzten Minuten, mit einem schmalen „Hallo“, das er mit einem Nicken erwidert.
Als ich an diesem Nachmittag auf den sozialen Netzwerken gepostet habe, dass ich abends bei „Nuhr im Ersten“ zu Gast sein würde, bekam ich erschreckend viel Gegenwind. Schon interessant, dass „Tabubrecher“ fast überall auf der Welt ein Kompliment ist, während es bei uns (und vielleicht noch im Vatikan) immer mit einer hochgezogenen Augenbraue verwendet wird.
Dieter Nuhr betritt die Bühne und geht routiniert seine Moderation durch. Die Kameraprobe scheint ihn nicht annähernd so ins Wanken zu bringen wie mich. So sieht wohl Erfahrung aus, denke ich. Nuhr trägt wie immer Schwarz, den dunklen Mantel hat er über einen Hocker neben der Bühne geworfen.
Den Vorwurf, den Rechten gefallen zu wollen, kann ich bei dem, was er heute probt, wirklich nicht nachvollziehen. Vielmehr seziert er wie jeder große Kabarettist alle Lager mit der gleichen Leidenschaft: Extrem Linke, extrem Rechte, extrem Irre.
Zwischen den Sätzen lächelt er trocken in die Kamera und nimmt einen tiefen Schluck aus der Desinfektionsflasche auf dem Pult. Erleichtert atme ich auf. Immerhin war die nicht für mich gedacht!
Corona. Seit ein paar Tagen ist dieses Wort mehr als ein lackes mexikanisches Bier und in all seiner Bedrohlichkeit wohl im Bewusstsein der meisten Menschen angekommen.
Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Rinderwahnsinn, Schweinepest, SARS, Vogelgrippe, alles Krankheiten, die mehr in den Schlagzeilen als in der Lebenswirklichkeit der meisten Mitteleuropäer vorkamen. Bis jetzt.
Irgendwas ist diesmal anders. Seit drei Tagen herrscht in Norditalien eine Ausgangssperre, und die Bilder aus den Krisengebieten in Italien, Spanien und China wirken immer drängender, die Stimmen der Moderatoren und Politiker enervierender, diesmal ist alles näher, drastischer.
Nach der Kameraprobe stehe ich nervös im Aufenthaltsraum hinter den Kulissen herum, wo sich die Künstler vor der Aufzeichnung einfinden. Dieter Nuhr nippt an einer Tasse Kaffee, eine andere Künstlerin läuft unruhig auf und ab und vergegenwärtigt sich noch mal die Zeilen, die sie gleich vor dreihundert Menschen im Saal und ungefähr drei Millionen Menschen vor den Fernsehgeräten sagen wird. Ich muss mich korrigieren. Dreihundert Menschen im Saal werden es wohl nicht heute, eher die Häfte.
Ein Techniker, der sich auch am Catering bedient hat, steht neben mir und schiebt sich ein Stück Braten in seinen Mund. „Hatten wir auch noch nie, dass so viele nicht gekommen sind. Normalerweise ist die Warteliste für die nächsten zwei Jahre voll“, sagt er und schiebt ein weiteres Stück Fleisch hinterher.
Irgendjemand hat den Fernseher eingeschaltet, und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sieht uns aus sorgenvollen Augen an. Irgendwie habe ich den Eindruck, das jüngste Regierungsmitglied ist in den letzten Tagen um Jahrzehnte gealtert. „… und ich ermuntere die Verantwortlichen ausdrücklich, Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern bis auf Weiteres abzusagen.“
So langsam weicht meine Angst vor dem Auftritt einer anderen Sorge. Was, wenn auch Veranstaltungen mit weniger Teilnehmern abgesagt werden? Nina scheint meine Gedanken lesen zu können. „Ruhig, Kleiner“, sagt sie und muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um meine Schulter tätscheln zu können. „So weit wird’s nicht kommen!“
Die wenigen Minuten bis zu meinem Auftritt wirken wie eine Ewigkeit, auf den Anzeigen des Tontechnikers blinkt eine rote Uhr, die zu meinem Countdown wird.
Ich muss mich ermahnen, dankbar dafür zu sein, dass ich hier sein darf und versuche, den Gedanken an die aufblinkende Uhr, die sich wie der Timer eines Sprengsatzes anfühlt, wegzuwischen. Das Bombenräumkommando ist nicht auf dem Weg, um die Bombe zu entschärfen. Ich muss das selbst tun.
Ich greife an meinen Hals, an dem ein Anhänger aus Bergkristall hängt, den ich als Glücksbringer von meiner Frau Nadja geschenkt bekommen habe, und küsse gedankenverloren den körperwarmen Stein.
Ich atme ein. Meine Lungen füllen sich mit kalter Luft, ich spüre meinen rasenden Puls, die Haare an meinem Arm stellen sich auf.
„… und hier ist er … Bastian Bielendorfer“, ruft Dieter Nuhr, und ich trete aus der Dunkelheit ins Licht der Scheinwerfer.
Applaus brandet auf. Ich bin da.
BERLIN BERLIN. LIEBES TAGEBUCH
In Berlin ist über Nacht die Covid-19-Angst eingezogen. Meine ganze Reise hierher fühlt sich an, als wäre ich die Hauptfigur in einem Roman aus der Zeit der Spanischen Grippe. Die Cafés sind leer, die Straßen sind leer, selbst die Augen der Rezeptionistin des Hotels, in dem ich schlafe, wirken leer, als sie mir stumm mit einer Hand den Weg Richtung Frühstücksbüfett zeigt.
Ich habe das Gefühl, dass eine Lawine bevorsteht, man hört bereits das Knacken des Eises oberhalb des Berges, aber der Schnee ist noch nicht in Bewegung geraten.
Ich muss diese seltsame Zeit irgendwie festhalten, um nicht den Bezug zur Realität zu verlieren, so unwirklich fühlt sich das alles an. Ich beginne mit meinem Corona-Tagebuch.
AUF