Bastian Bielendorfer

Die große Pause


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      ZUMBA FÜR DIE WELT

      Das Wetter kühlt merklich ab. Nachdem tagelang fast sommerliche Temperaturen herrschten, schiebt jetzt ein kalter Nordwind die Passanten durch die Straßen.

      Es ist der erste Tag der Kontaktsperre, die nun auch für Köln ausgerufen wurde. Die Regierung hat angekündigt, am Wochenende ein „Auge“ auf die Aktivitäten der Bürger zu haben. Man wird zu „Social Distancing“ aufgerufen.

      Allein der Begriff „Social Distancing“. Klingt wie ein Tanzkursangebot neben Zumba und Jazzdance.

       Now a jump to the left, put the hand on your hips and stay away from all other dancers.

      Wie das Auge, das die Regierung auf uns werfen will, aussieht, ist nicht klar. Vielleicht fliegt Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Ein-Frau-Gyrocopter Stadtgebiete ab und wirft Verwarnungen über Menschenansammlungen ab. Vielleicht drehen sie das Hubble-Teleskop vom All zum Globus.

      Letztlich ist der Hausarrest bereits so spürbar, als wäre er bereits verhängt.

      Meine Schwiegermutter faltet Wäsche, weil sie das beruhigt, sagt sie.

      Eine bewundernswerte Eigenschaft, wie ich finde. Würden mich Haushaltstätigkeiten beruhigen, sähe unsere Wohnung nicht aus wie moderne Kunst.

      Bei mir herrscht immer Chaos. Mein Schreibtisch sieht aus, als hätte man mit einer Bazooka in einen Schreibwarenladen gefeuert: Der Kleiderschrank hat ein Eigenleben und frisst täglich T-Shirts und Socken, und im Mülleimer liegt seit gefühlt einem Jahrzehnt ein Stapel AOL-CDs. Marie Kondo würde nicht mal ein Seil finden, um sich damit aufzuhängen.

      Ich bin mit Otto draußen, und es ist merklich ruhiger auf den Straßen als an einem normalen Samstag. Aus den Fenstern beobachten uns die Nachbarn, ein Juristenpaar mit Mundschutz. Sie werfen mir Blicke zu, als hätte ich mit diesem Spaziergang den Untergang der Menschheit selbstständig in Gang gesetzt.

      Auch der sonst sehr nette Nachbar mit dem grazilen Windhund schaut mit zusammengekniffenen Augen unter der Schiebermütze hervor und grüßt schmallippig.

      Ich fühle mich wie Bruce Willis in „12 Monkeys“, wo er eingepackt in einen Gummianzug durch eine ausgestorbene, leere Welt stapft.

      Die News verkünden, die Restaurantkette Vapiano sei pleite.

      Das klingt fast etwas höhnisch. Als wäre diese Mischung aus Mensa und Billigitaliener nicht vorher schon einer gastronomischen Bankrotterklärung gleichgekommen. Letztlich dient eine Krise so manchen Unternehmen als Anlass, klammheimlich das Mobiliar anzuzünden. Die Mitarbeiter, die in dieser mehr als ungünstigen Zeit auf der Straße stehen, können einem leidtun. Die Verantwortlichen, die alles dafür getan haben, dass man sich lieber einen Bahnhofsdöner holt, als ihr Restaurant zu besuchen, nicht. Wer wollte nicht schon immer mal mit einem Metalltablett für eine sahnige Pampe aus verkochten Nudeln anstehen, während die Freunde noch auf das Piepen ihres Pizzaweckers warten wie auf das Zwinkern eines gütigen Gottes.

      Vapiano war wirklich nur für eines gut. Die Läden waren so unpersönlich und anonym, dass man sich in ihrem WLAN bei einem Latte Macchiato während der drei Stunden Wartezeit auf den zweiten ausgefallenen ICE festsaugen konnte, ohne dass man irgendwann als Umsatzleiche hinauskomplementiert wurde, wie einem das bei Starbucks irgendwann passiert.

      Na ja, einen weiteren Vorteil hatte Vapiano im Gegensatz zu Starbucks noch: Die Mitarbeiter haben einem nicht den eigenen Namen in Nudelsoße auf den Teller gemalt. Immerhin etwas.

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      HAMSTER IM KÄFIG

      Heute habe ich das erste Mal in meinem Leben gehamstert. Der Flaschenpost-Bote schaut mich prüfend an, als er die acht Kisten Wein auf einer Sackkarre aus dem Fahrstuhl wuchtet. Könnte an meinem Outfit liegen, das so mancher Modekenner wohl als „gewagt“ einstufen würde (Ducktales-T-Shirt, kurze Hosen und Chewbacca-Pantoffeln). Oder an der Vermutung, dass er gerade einen schweren Alkoholiker beliefern muss.

      „Sie haben aber einen Durst“, kommentiert er unser merkwürdiges Kennenlernen. Auch ich ahne beim Anblick der Kisten, die sich nun in meinem Hausflur stapeln, dass das eventuell nicht meine klügste kaufmännische Entscheidung der letzten Jahre war.

      „Der war im Angebot“, versuche ich mich zu rechtfertigen, muss mich aber geschlagen geben, als meine Frau auf der Fußmatte neben mir auftaucht und mich ebenso irritiert anschaut wie der Flaschen-Postbote.

      „Der war im Angebot“, wiederhole ich mich.

      „Sind wir jetzt bei Loriot?“, sagt Nadja und spielt auf unsere liebste Szene aus „Papa ante Portas“ an, in der Loriot als Pensionär Hunderte Gläser Senf kauft, weil diese preisreduziert waren.

      „Das ist kein Senf, das ist Wein“, antworte ich überflüssigerweise, und der Flaschenpost-Bote schaut mich fragend an und nickt vorsichtshalber.

      Andere hamstern Klopapier und Hefe, wir dagegen sehen der Apokalypse mit einem Glas Riesling in der Hand entgegen. Immerhin besser als mit einer Klopapierrolle und einem selbstgebackenen Paderborner unter dem Arm. Der Wein war wirklich im Angebot, und da die zwei Flaschen letztens so gut geschmeckt hatten, hielt ich es für sinnvoll, daheim einen Vorrat anzulegen. Für den Weinkeller. Das Problem ist nur: Wir haben gar keinen Weinkeller. Noch nicht mal ein Weinregal. Aber unnormale Zeiten erfordern unnormale Maßnahmen.

      Ich versuche den Getränkelieferanten loszuwerden und krame einen Fünf-Euro-Schein aus der Hosentasche. „Trinkgeld passt ja bei Ihrem Job“, sage ich und lache meinen eigenen schlechten Scherz weg, während der Mann mich anschaut wie fünf Meter Teerpappe und wortlos die Aufzugstür aufschiebt.

      „Was ist das denn?“, fragt meine Schwiegermutter, die plötzlich auch noch auf der Fußmatte steht, um die vorwurfsvollen Blicke meiner Frau zu verstärken.

      Sie trinkt kaum Alkohol. Wenn überhaupt, dann eine Weißweinschorle, in der Wein in homöopathischer Verdünnung von 1:100.000 vorhanden ist.

      „Hast du etwa ein Alhololproblem“, lallt sie und kichert über ihre sprachliche Varianz. Wäre der Flaschenpost-Bote noch da, würde er wahrscheinlich mit seinem Registriergerät nach uns werfen.

      Unser Zusammenleben in der Wohngemeinschaft nimmt mittlerweile mehr als seltsame Züge an. Meine Schwiegermutter ist zwar herzensgut, aber es gibt einen Grund, warum die meisten Beziehungen in kurzer Zeit zerbrechen, wenn die Schwiegereltern bei einem einziehen. Lebensentwürfe lassen sich schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen, bei dreißig Jahren Altersdifferenz umso weniger. Wenn ich morgens um 10 Uhr schlaftrunken in den Wohnungsflur schlappe, um auf einer Zahnbürste herumzukauen, steht meine Schwiegermutter bereits seit vier Stunden in der Wohnung und räumt auf. Mittlerweile müsste unser Zuhause geordneter sein als ein japanischer Zen-Garten.

      „Tu so, als wäre ich gar nicht da!“, sagt sie und reißt die Arme in die Höhe, um mit den Händen eine seltsame Wackelbewegung zu machen, die ein bisschen an einen Handmixer erinnert. Diese soll wohl eine Art Verwirbelung der Luft herbeiführen, die sie unsichtbar macht.

      Dieses Spiel machen wir jetzt mehrmals täglich. Ich schleiche nachts ins Bad zum Pinkeln, plötzlich kommt mir ein Schatten im Schlafhemd mit in die Höhe gerissenen Armen entgegen und sagt: „Tu so, als wäre ich gar nicht da!“

      Ich komme mit dem Hund vom Gassi gehen, und aus der Küche kommt mir meine Schwiegermutter mit einer Banane in der einen Hand entgegen und brüllt: „Tu so, als wäre ich gar nicht da!“

      Natürlich ist das ein absurder Wunsch, denn die Anwesenheit meiner Schwiegermutter in unserer Corona-WG ist omnipräsent – sogar wenn ich den Kühlschrank aufmache.

      Das komplette Innenleben unseres Kühlschranks sieht aus, als hätte es Christo verhüllt.