Bernd Urlaub

Liebe fragt nicht


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fest und kam erst 1919 in die Heimat zurück. Zur Zeit war er im Kriegsgefangenenlager Hammelburg als Dolmetscher beschäftigt, da er die englische und französische Sprache recht gut beherrschte. Es blieb nicht aus, dass er mit englischen und neuerdings auch mit amerikanischen Offizieren Unterhaltungen führte, die sich außerhalb seines offiziellen Dienstauftrages bewegten. Aus diesen Gesprächen konnte er ersehen, dass die angloamerikanischen Offiziere hundertprozentig überzeugt waren, dass der Krieg für Hitlerdeutschland so gut wie verloren war und dass nur eine bedingungslose Kapitulation ihn beenden könne. Dem würde Hitler wohl nie zustimmen. Also würden das Morden und Sterben wohl bis zum bitteren Ende weiter gehen. Lauk hatte sich vorgenommen, sollte seine Heimatgemeinde in das Kampfgeschehen einbezogen werden, er alles in seiner Macht Stehende tun würde, damit Thüngersheim möglichst verschont bleiben sollte. Noch waren die Fronten relativ weit von den deutschen Grenzen entfernt. Aber bei dem schnellen Vormarschtempo der alliierten Truppen konnte sich das schnell ändern. Einig war sich Lauk mit seiner Einstellung mit seinem Freund, dem Weingutsbesitzer Hans Geiger. Der hasste die Nazis aus ganzem Herzen, obwohl er Parteimitglied war. Er war der Einzige, dem er vorbehaltlos vertraute. Ansonsten musste man sehr vorsichtig mit seinen Äußerungen sein. Denn Denunziantentum war allgegenwärtig und machten es Gestapo und SD leicht, Gegner des Regimes zu eliminieren. Nun, morgen bei ihrem wöchentlichen Schachabend, würde er sich mit Hans austauschen. Er löschte das Licht und ging zu Bett. Seine Frau hatte von alledem nichts mitbekommen und schlief bereits. Er selbst konnte lange keinen Schlaf finden. Mit seiner Einschätzung, dass das Regime hart und rücksichtslos zurückschlagen würde, sollte er recht behalten. Noch in der Nacht vom 20. zum 21.Juli wurden General Olbricht, Oberst Mertz von Quirnheim, Oberleutnant Werner von Haeften und Oberst Claus Schenk von Stauffenberg im Hof des Bendlerblocks standrechtlich erschossen. Stauffenberg starb mit dem Ruf „Es lebe das heilige Deutschland." Es sollten noch viele Prozesse und Hinrichtungen folgen.

      Franziska Geiger, von ihren Freunden nur Franzi genannt sang aus voller Brust den Text des Schlagers mit, der aus dem Radio ertönte. Es klang aber auch zu verlockende was Zarah Leander mit ihrer erotischen Stimme von sich gab.

      „Davon geht die Welt nicht unter, sieht man sie manchmal auch grau. Einmal wird sie wieder bunter, einmal wird sie wieder himmelblauer Geht's mal drüber, geht's mal drunter, wenn uns der Schädel auch raucht. Davon geht die Welt nicht unter, sie wird ja noch gebraucht."

      Franziska vergaß für einen Moment, dass Deutschland sich im fünften Kriegsjahr befand. Sie vergaß, dass heute zum wiederholten Male der Unterricht ausgefallen war und sie vergaß beinahe das Bügeleisen, dass sie auf der Bluse ihrer Mutter abgestellt hatte. Gerade noch rechtzeitig nahm sie es herunter. Franziska besuchte das Röntgengymnasium in Würzburg und wenn alles glatt lief, dann würde sie im nächsten Jahr ihr Abitur machen. Doch wer konnte schon sagen, was noch alles kam. Im Moment sah es schlecht aus für das Deutsche Reich. Immer näher an die Reichsgrenzen rückten die Fronten. Heute hatte man die Schüler nach der ersten Stunde nach Hause geschickt. Es fehlte an Lehrern, so dass ein geordneter Schulbetrieb schon lange nicht mehr möglich war. Die Jungs wurden zu Flakhelfern ausgebildet und fehlten teilweise längere Zeit im Unterricht oder wurden in Unterkünften nah der Flakstellungen unterrichtet. Wenn alle Stricke reißen würden, schickte man sie, versehen mit dem Notabitur nach Hause, damit sie noch rechtzeitig zum Sterben an die Front kamen.

      Nachdem Franzi schon am Vormittag wieder zu Hause war, hatte sie ihre Mutter gleich für die Hausarbeit vereinnahmt. Bügeln war nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Viel lieber würde sie mit ihrem Vater und den Fremdarbeitern im Weinberg mithelfen. Vor allen Dingen schon deswegen, weil sie dann mit Rene Macron zusammen sein konnte. Der charmante und selbstbewusste Elsässer hatte es ihr angetan. Rene war 1940 bei Dünkirchen in deutsche Gefangenschaft geraten. Um dem Aufenthalt in einem Kriegsgefangenenlager zu entgehen, hatte er sich verpflichtet, in Deutschland zu arbeiten. Nun, er hatte es nicht schlecht getroffen, denn Hans Geiger behandelte seine Arbeiter so, wie er auch Landsleute behandelt hätte. Seine Leute aßen mit der Familie am Tisch, was Hans Geiger öfter Ermahnungen des Ortsgruppenleiters Schell einbrachte. Aber Geiger war selbst Parteimitglied und da Schell einen guten Tropfen nicht verschmähte, beließ er es bei den mündlichen Ermahnungen. Man nahm es auf dem Lande sowieso nicht so genau, was die Behandlung der Fremdarbeiter anging. ln den Städten sah das allerdings etwas anders aus. Die Arbeiter, die in den Fabriken beschäftigt waren, hatten ein hartes Los. Franziskas Mutter kam aus der Küche, um den Tisch zu decken. Die Männer mussten jeden Augenblick heimkommen und erwarteten, dass das Essen auf dem Tisch stand. „Bist du nicht bald fertig, Franziska? Du trödelst heute aber herum. Du träumst wohl wieder von deinem Fähnrich. Der kommt nicht mehr. Glaub mir. Entweder hat er dich längst vergessen. Oder er ist tot, verwundet oder in Gefangenschaft."

      Emma wusste von der Affäre ihrer Tochter. Für sie, der streng katholisch erzogenen Frau, galt immer noch, wenn man sich einmal mit einem Mann eingelassen hatte, dass man dan so gut wie verlobt war. Aber in diesen heutigen Zeiten war das alles ganz anders. Einerseits konnte sie mit der lockeren sexuellen Einstellung der Nazis nichts anfangen. Andererseits konnte sie aber schon verstehen, dass die Männer, die Fronturlaub hatten und nicht verheiratet waren, sich nahmen was sie bekamen. Aber ihrer Tochter hätte sie gerne diese Erfahrung erspart.

      „Mama, das ist lange vorbei. Ich wünsche mir nur, dass er den Krieg überlebt und heil nach Hause kommt." „Liebst du ihn denn nicht mehr?"

      „Nein, ich liebe ihn nicht mehr. Vielleicht habe ich ihn nie geliebt. Er sah halt so verdammt gut aus und hatte ein so vereinnahmendes Wesen."

      Ganz glaubte Franzi ihren eigenen Worten nicht. Es hatte ihr schon sehr weh getan, als Bernhard nach zwei Wochen wieder an die Front musste. Aber noch mehr weh hatte es ihr getan, dass sie nie mehr etwas von ihm hörte. Doch die Zeit heilt bekanntlich Wunden. Sie hatte allerdings auch keine Lust, das Thema zu wiederholtem Mal mit ihrer Mutter durchzukauen. Bernhard Krämer kam in ihrem Gefühlsleben nicht mehr vor. Schließlich reichte es, dass sie ihm ihre Unschuld geopfert hatte, wenngleich es nun auch wieder nicht ein so großes Opfer gewesen war.

      Ihre Gedanken wurden abgelenkt, denn ihr Vater betrat mit den drei Fremdarbeitern das Haus. Franziska gab sich große Mühe zu verbergen, wie sehr sie sich freute, Rene zu sehen. Nachdem man Platz genommen und ein kurzes Tischgebet gesprochen hatte, widmete man sich dem einfachen, aber schmackhaften Mittagessen.

      Birgit Schmadtke starrte missmutig auf den Teller mit den Kartoffeln und der Scheibe roten Presssack. Nicht, dass es ihr nicht geschmeckt hätte. Sie aß gerne deftig. Außerdem konnte man in diesen Zeiten nicht unbedingt wählerisch sein. Wobei man auf dem Land, den Gürtel nicht gar so eng schnallen musste. Irgendwo gab es immer noch Reserven, von denen Block- und Zellenwarte nichts wussten oder wissen wollten. Besonders dann, wenn für sie auch etwas abfiel. Noch schien es so, als würden die Deutschen noch voll hinter dem Regime stehen. Zumindest waren die Lippenbekenntnisse zur Partei allgegenwärtig. Noch größer war die Angst, in die Fänge der Gestapo zu gelangen. Denn man konnte niemandem trauen. Denunziationen waren allgegenwärtig. Aber allmählich kamen viele Menschen zu der Erkenntnis, dass es Zeit wurde, an sich selbst zu denken. Birgit war da keine Ausnahme. Sie nahm, was sie kriegen konnte, um sich selbst und ihrem Sohn Werner das Leben etwas erträglicher zu machen. Sie war froh, dass sie heil aus Dortmund herausgekommen waren. Dass es so schnell gegangen war, hatte sie ihrem Mann zu verdanken, der Ingenieur war und zurzeit in Peenemünde an einem äußerst geheimen Unternehmen mitarbeitete. Birgit wusste nur so viel, dass es sich wohl um die Entwicklung der in letzter Zeit so oft gepriesenen Wunderwaffen handelte, die trotz der Überlegenheit der Alliierten doch noch für den Endsieg sorgen sollten. Gustav hatte ihr einen Brief geschrieben, worin stand, dass er die nächsten Monate sie nicht besuchen könne. Die Arbeit an dem Projekt hätte größte Priorität. Das mochte stimmen. Aber Birgit wusste auch, dass ihr Mann kein Kind von Traurigkeit war und die Vorteile, die ihm seine exponierte Stellung bot, entsprechend nutzte. Er war ein notorischer Fremdgänger und ihre Ehe bestand ohnehin nur noch auf dem Papier. Damit hatte sie sich abgefunden. Ihr Mann hatte ihr auch geschrieben, dass sie von seiner Seite aus, alle Freiheiten habe und sie in erster Linie dafür sorgen möge, dass sie und Werner heil die Zeit bis zum Endsieg überstehen würden. Das Wort Endsieg hatte er zweimal unterstrichen, was so viel hieß, dass auch er nicht mehr daran glaubte, dass Deutschland den Krieg noch gewinnen könnte.

      Sorge