Suca Elles

Was geschah mit Marion?


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ersten Hunger stillte.

      In einer Ecke des Containers kramte er in einer fadenscheinigen Tasche nach ein wenig Bargeld und Tabak. Dabei fand er eine noch fast volle Flasche Wein.

      Im Gegensatz zu seinen beiden „Kumpels“ trank er keinen Schnaps. Und immer nur gerade so viel, dass es zum Vergessen reichte, nicht aber zu einem totalen blackout führte. Er wusste, dass er eines Tages die Kontrolle über den Alkohol verlieren würde, aber noch war es nicht so weit….

      Doc, dessen eigentlichen Namen niemand zu kennen schien, war vor mehr als einem Jahr in Hamburg gestrandet. Dort hatte er Otto gefunden, der in einer Hintergasse auf Sankt Pauli zusammengeschlagen worden war. Er hatte ihn versorgt und sehr schnell festgestellt, dass Ottos geistige Fähigkeiten begrenzt waren. Ohne eine Ausbildung und mit nur wenigen Jahren Schulbildung, hatte Otto eine Zeit lang für einen Hungerlohn im Hafen gearbeitet. Dann, als er lieber trank, als aß, verlor er auch diesen Job und war zum Stadtstreicher geworden. Irgendwann hatte er sich mit den falschen Leuten angelegt, und die hatten ihm eine ordentliche Abreibung verpasst.

      Da für Otto das Pflaster auf Sankt Pauli zu heiß wurde, und Doc vom Nachtleben, das geprägt war von Alkohol, Sex und Gewalt, die Nase voll hatte, zogen beide Richtung Wedel. Dort fanden Sie eines Tages an der Grenze zum Marschland zwei angeschwemmte Container, voll mit alten Kleidern. Auf Docs Initiative hin sortierten sie aus, was sie selbst brauchen oder verscherbeln konnten, säuberten die Container so gut es ging und richteten sich „wohnlich“ ein. Von einem seine Streifzüge nach Pfandflaschen brachte Otto Zorro mit, der als Straßenmusikant sein Dasein fristete. Er bewohnte eine schäbige Kammer in einem schäbigen Haus, in dem es nach altem Fett, ungewaschenen Körpern und noch Ekligerem roch. Er erkaufte sich ein gelegentliches Wohnrecht im Container durch den Fusel, den er Otto mitbrachte und vermietete seine Bleibe gegen Vorkasse stundenweise an Leute mit dem entsprechenden Bedarf. Über seine privaten Verhältnisse hatte Zorro nie gesprochen, genauso wenig wie Doc, doch jeder wusste vom anderen, dass er eine gewisse Bildung besaß. Sie vertrugen sich und lebten ihr eigenes Leben.

      Als wertvollsten Schatz besaßen die drei ein altes Fahrrad, das eines Tages angeschwemmt worden war. Sie richteten es so weit her, dass man darauf fahren konnte, und jeder nahm es, wenn er schnell nach Wedel oder zur Bahnlinie musste.

      Doc rief nach Otto, sah aber ein, dass er ihn nicht damit betrauen konnte, auf die Frau aufzupassen, da Ottos Alkoholpegel schon am oberen Rand dümpelte. Er verschloss den Container, schwang er sich aufs Rad und fuhr nach Wedel.

      Am äußeren jenseitigen Stadtrand, abseits von der Straße, stand ein kleines Häuschen. Davor stieg er ab, holte den Schlüssel aus einem Blumentopf, der unter dem Gesträuch vor dem Haus versteckt war, und betrat das Haus. In der Wohnstube lag Elisabeth auf dem Sofa und schlief. Doc beugte sich über sie und fühlte ihren Puls. Dann ging er in die Küche, blickte in den alten Kühlschrank, dessen Kühlung laut und deutlich schnurrte. Mit dem, was er sah, war er zufrieden. Auf der Spüle stand ein benutzter Teller. Gut so. Er lief die Treppe hoch, wo sich neben einem Schlafzimmer, das früher vom Sohn der alten Dame bewohnt worden war, noch ein weiterer Raum, in dem ein paar alte Möbel standen, befand. Unter der Kommode zog er eine Kiste hervor und öffnete sie. Aus dem Umschlag, der sich darin befand, nahm er ein paar Geldscheine. Dann verstaute er alles wieder und ging nach unten. Er verschloss die Tür sorgfältig und versteckte den Schlüssel an seinem Platz. Dann fuhr er zurück nach Wedel. Vor der Apotheke hielt er an und trat ein.

      Die Apothekerin lachte ihn an. „Na was brauchen wir denn heute?“ fragte sie.

      Doc sagte es ihr und sie stutzte. „Betreuen Sie noch mehr Leute? Für die alte Elisabeth ist das doch wohl nicht?“

      Er schüttelte mit dem Kopf. „Richtig, ich kümmere mich noch um ein paar Leute mehr.“

      Die Frau packte die gewünschten Sachen in eine Tüte und sagte: „Ich habe ihnen noch ein Paket Monatsbinden mit hinein getan. Die sind heute so gut wie gar nicht mehr gefragt.“ Doc bedankte sich und fragte: „Kann ich die Sachen noch kurz bei Ihnen lassen, ich muss noch in den Supermarkt.“

      „Klar, kaufen Sie in Ruhe ein, ich bin noch bis halb Eins hier.“

      Im Supermarkt wählte Doc bedächtig einige Lebensmittel aus und blieb vor dem Weinregal stehen. Seine bevorzugte Marke stand ganz unten. Er überlegte. Dann drehte er sich um, ohne eine Flasche genommen zu haben, und ging zur Kasse.

      In der „Villa“ war bei seiner Rückkehr alles unverändert. Er verstaute seine Einkäufe und sah nach Otto, der eingerollt wie eine Katze vor dem anderen Container schlief, aus dem laute Schnarchlaute drangen.

      Er kochte wieder Wasser ab und tat in einen Blechbecher, dessen Emailschicht abgeblättert war, und der jede Menge Beulen aufwies, etwas von dem Pulverkaffee, den er gekauft hatte. Dann setzte er sich auf die Schwelle seines Containers und dachte nach.

      Gut 10 km weiter saßen zu diesem Zeitpunkt drei Männer auf einer Terrasse, und die Gläser vor ihnen konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich um alles andere als eine fröhliche Gesellschaft handelte.

      Der schwarzhaarige Ralf sagte soeben. „Sie haben sie gefunden, steht heute in der Zeitung!“ Gregor fragte: „Welche jetzt?“

      „Lisa“.

      „Und die Marion?“

      „Nichts. Weder im Netz noch in der Zeitung.“

      Bernie mischte sich ein: „Kann uns nur recht sein. Wir haben damit doch nichts zu tun.“

      Ralf warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Wenn du Marion nicht einen über den Schädel gezogen hättest, hatten wir ein Problem weniger. Lisas Sturz war schließlich ein Unfall. Marion hätte das sicher bestätigt, sobald sie wieder nüchtern gewesen wäre. Wenn wir jetzt aber durch irgendeine Unvorsichtigkeit auffallen, haben wir zwei Mordanklagen am Hals. Denk mal darüber nach, bevor du so einen Blödsinn redest.“

      Gregor hob beruhigend die Hände: „Seid friedlich“ sagte er „und ich glaube nicht, dass sich eine Spur zu uns zurückverfolgen lässt. Lisa hatte jede Menge Bekanntschaften, und Marion habe ich von einem öffentlichen Telefon aus angerufen. Und mein Name ist nicht gerade selten, falls sie ihn – entgegen meiner Bitte – an irgendjemand weitergegeben haben sollte.

      „Hast du wieder die Show mit „meine Frau braucht davon ja nichts zu wissen“ abgezogen?“ fragte Bernie.

      „Na und? Funktioniert großartig. Damit ist gleich klar, wohin der Hase läuft, ohne dass man viel Persönliches preisgeben muss.“

      „Großartig! Ich krieg gleich Brechdurchfall“, sagte Ralf. „Was ist denn an der Situation großartig? Wir sitzen hier und warten auf die Katastrophe. Bei jedem Geräusch denke ich, die Bullen stehen vor der Tür, weil es eben doch eine undichte Stelle gegeben hat. Schließlich hat ja keiner von uns damit gerechnet, dass unsere kleine Sex-Kreuzfahrt mit zwei Leichen enden würde.“

      Gregor sah von einem zum anderen: „Ich schlage vor, wir gehen jetzt alle wieder unseren üblichen Beschäftigungen nach, so wie wir es immer tun. Ralf fährt in seine Galerie, Bernie nervt die Angestellten seines Vaters im Reinigungsbetrieb, und ich begebe mich ins Hotel und kümmere mich um die Abrechnungen.“

      Sie tranken lustlos aus und brachen auf.

      Der Mann stand blass aber gefasst in der Gerichtsmedizin und nickte mit Blick auf die tote Frau.

      „Ja“, sagte er leise, „das ist meine Frau, Lisa Neumann. Kann ich jetzt gehen?“

      Jan Köller nickte. „Mein herzliches Beileid. Ich muss Sie aber bitten, mit in mein Büro zu kommen. Ich habe noch ein paar Fragen an Sie.“

      Er nickte dem Pathologen zu und verließ mit dem Mann den Raum.

      In seinem Büro, nachdem Herr Neumann Platz genommen hatte, sagte Jan: „Es verwundert mich, dass Sie Ihre Frau nicht als vermisst gemeldet haben. Wie der Pathologe festgestellt hat, kam sie am Samstagnachmittag zu Tode. Heute ist Dienstag! Können Sie mir das erklären?“

      Nach kurzem Zögern sagte der Mann: „Unsere Ehe besteht praktisch