dann gleich zum berühmten Strand von Waikiki.
Glücklich streckte sie sich auf ihrem Badetuch aus und schaute blinzelnd um sich. Ganz links konnte sie den Diamond Head sehen, den großen Vulkan, zu dem sie unbedingt fahren musste. Rechts musste Pearl Harbor liegen, doch diesen geschichtsträchtigen Ort konnte sie von ihrem Platz aus nicht sehen.
„Wenn Sie sich nicht bald eincremen, werden Sie morgen garantiert rot wie eine Tomate sein.“
Mit einem Ruck richtete sich Sibylle auf. Wer riss sie da aus ihren Urlaubsplanungen?
„Sie sind heute erst angekommen, nicht wahr?“ Der Mann ließ sich einfach neben sie in den Sand fallen.
„Stimmt. Aber woher wissen Sie das?“
„Ich lebe schon so lange hier, dass ich einen Blick dafür habe.“ Er lachte leise. „Ich heiße Fabian Hersfeld.“
„Und wie lange sind Sie schon auf Hawaii?“ Sibylle musterte ihn eingehender. Gut sah er aus mit seinem von der Sonne gebleichten Haar, dem gebräunten Gesicht und den klugen Augen, die sie jetzt, da er die Sonnenbrille abgenommen hatte, deutlich erkennen konnte.
„Seit dreieinhalb Jahren. Ich bin hier hängen geblieben. Irgendwie...“ Er sprach nicht weiter, doch sein Gesichtsausdruck war auf einmal unendlich traurig. Der Mann schien sich in der Weite des Meeres zu verlieren. „Wie lange machen Sie denn Urlaub auf Hawaii?“, fragte er ablenkend.
„Eine Woche hier auf Oahu, dann ist Inselhopping angesagt.“ Sibylles Augen leuchteten auf. „Ich bin wahnsinnig gespannt auf die Garteninsel Kauai. Das ist mein Traumziel, wenn ich mich hier am Strand ein bisschen ausgeruht habe.“
„Ich bin mir sicher, Sie werden begeistert wein. Hawaii ist wirklich noch ein Paradies. Wenn auch mit ein paar gravierenden Schönheitsfehlern.“ Er wies mit der Hand hinüber zu den Hotelburgen, die sich gerade hier in Waikiki den ganzen Strand entlang zogen. „Doch wenn man sich den Blick fürs Ursprüngliche bewahrt, dann kann man über den Massentourismus besser hinwegsehen“, fuhr Fabian Hersfeld fort.
„Wenn’s den nicht gäbe, wäre ich ja auch nicht hier“, fuhr Sibylle fort.
„Und das wäre traurig.“ In Fabians Blick las sie vorsichtiges Werben. „Darf ich Ihnen ein bisschen von der Insel hier zeigen?“
Sibylle zögerte einen Moment, dann nickte sie zustimmend.
„Fein! Wenn Sie wollen, fangen wir gleich morgen an. Heute muss ich leider noch mal in meine Praxis. Ich bin Arzt und praktiziere in Pearl Harbor.“ Er erhob sich. „So, es ist Zeit für mich, aufzubrechen.“
Sie verabredeten sich für den kommenden Tag, elf Uhr früh, in der Hotelbar. Dann ging Fabian mit einem letzten Winken davon.
Sibylle sah ihm nachdenklich hinterher. So sehr er sie auch beeindruckt hatte - ein Geheimnis schien ihn zu umgeben. Er wirkte trotz seiner Offenheit traurig. Und auch ein bisschen rätselhaft. Ob er sie ins Vertrauen ziehen würde, wenn sie sich ein wenig besser kannten?
*
Fabian war ein wundervoller Fremdenführer. Die Stunden in seiner Begleitung vergingen viel zu schnell. Er zeigte Sibylle Honolulu und entführte sie anschließen zur Hanauma Bay. Dort erlebten sie den Sonnenuntergang. Ganz ruhig lag der Ozean da, als der glutrote Ball sich immer tiefer senkte... und endlich als goldroter Schimmer am Horizont verlosch.
„Traumhaft schön ist das.“ Sibylle lehnte sich an eine Palme. Die meisten Touristen blieben in Waikiki, und so hatte sie in diesem Moment das Gefühl, wirklich im Paradies zu sein.
Allein mit einem geheimnisvollen Adam...
„Mein Lieblingsplatz“, gestand Fabian. „Ich komme immer hierher, wenn ich abschalten und den Tagesstress vergessen will.“
„Danke, dass Sie mich mitgenommen haben.“
Wie von selbst näherten sich ihre Gesichter einander. Fabian streckte die Hand aus, legte sie sanft um Sibylles Wange und zog ihren Kopf noch ein wenig näher. Ihr erster Kuss... süß, zärtlich und von einer Innigkeit, die Sibylle Tränen in die Augen trieb.
„Danke“, flüsterte Fabian dicht an ihren Lippen. „Danke, dass du hergekommen bist.“
Sie wollte fragen, was er damit meinte, wollte wissen, warum wieder diese unbestimmte Traurigkeit in seiner Stimme mitschwang, doch sein nächster Kuss löschte alle Fragen aus.
So blieb es die nächsten Tage über. Wann immer Fabian sich aus seiner Praxis loseisen konnte, fuhr er mit Sibylle über die Insel und zeigte ihr die verborgenen Schönheiten.
Sie besichtigten eine der vielen Ananasplantagen, flogen mit einem von Fabians vielen Freunden hinüber nach der Insel Hawaii, wo sie hoch zum Kilauea gebracht wurden, dem immer noch aktiven Vulkan, an dessen einer Seite auch heute noch glühende Lava ins Meer floss.
„Er ist eigentlich nur ein Nebenvulkan des Mauna Loa, und er gilt als der aktivste Vulkan der Welt“, erzählte Fabian. „Die Wissenschaftler haben errechnet, dass in den letzten Jahrzehnten alle elf Monate - im Durchschnitt gerechnet natürlich - eine Eruption stattfand.“
„Das ist beängstigend.“
„Die ganzen Inseln sind aus Lavaströmen geboren. Der größte hier, der Mauna Kea, ist 4205 Meter hoch. Aber man muss beachten, das er unterirdisch noch enorme Ausmaße hat. Ca. 5500 Meter - und somit ist er der höchste Berg der Welt.“
Sibylle war beeindruckt, doch sie gestand sich auch ein, dass ihr diese Vulkane Angst machten. Sie war froh, als sie zurück auf Oahu waren.
Schöner waren da der Tropical Botanical Garden mit seinen fast zweitausend verschiedenen Pflanzen. Und die mächtigen Banyan-Bäume entlang des Banyan-Drive. Sie bewunderte die riesigen aus Koa-Holz geschnitzten Idole am Strand, Zeugen der alten hawaiianischen Kultur.
Sie fuhren durch riesige Zuckerrohrfelder, besichtigten eine Ranch, und der Besitzer, der mit Fabian befreundet war, lud sie für den Abend zu einem traditionellen Fest ein.
Sibylle fühlte sich in eine andere Welt versetzt, und es kam in ihren Augen beinahe einem Kulturschock gleich, als sie nach Waikiki zurück fuhren. In diese von Touristen bevölkerte, laute und vollkommen amerikanische Stadt.
Ganz anders verlief der Besuch in Pearl Harbor, hier gedachten sie am USS Arizona Memorial in aller Stille der vielen Toten, die beim unerwarteten Angriff der japanischen Luftflotte gestorben waren. Sie schauten hinab zum Wrack der Arizona, die nach einer Magazinexplosion gesunken war und zum Grab für mehr als eintausend amerikanische Soldaten wurde.
„Ich wünschte, es gäbe nie wieder einen Krieg auf dieser Welt“, flüsterte Sibylle und lehnte für einen Moment den Kopf an Fabians Schulter.
„Das wäre wundervoll - aber es wird wohl eine Illusion bleiben. Ich glaube nicht mehr daran, dass wir Menschen jemals ganz friedlich miteinander leben können.“ Dabei presste er die Lippen fest zusammen, und für ein paar Minuten schien sich ein dunkler Schleier über den sonnigen Tag gelegt zu haben.
Aber schon bald gewann der Zauber der Insel die Oberhand, sie genossen die Sonne, den Strand, die versteckten Bars am Wasser, in die sich kaum ein Tourist verirrte und wo sie ungehindert Zärtlichkeiten austauschen konnten.
*
Eine Woche im Paradies. Eine Woche vollkommenen Glücks... Sibylle schmiegte sich an Fabian und blickte hinüber zum Hafen. Er hatte sie in sein Haus eingeladen, ein altes Holzgebäude, das sich wie schutzsuchend an den Berghang schmiegte. Es war Sibylles letzte Nacht auf Oahu - oder Big Island, wie viele sagten - und die erste, die sie und Fabian zusammen verbrachten.
Am nächsten Morgen begann ihr Ausflug, der sie von Insel zu Insel führen sollte. Ein kleines Flugzeug brachte sie nach Hawaii, der größten Insel des Archipels. Hier, im Reich der Vulkangöttin, wie die Ureinwohner dieses Stück Erde bezeichneten, brodelte der große Vulkan Kilauea Tag und Nacht. Diesmal durchquerte Sibylle den Nationalpark mit etlichen anderen Touristen, doch sie erfuhr nicht ganz so viel über dieses Gegend