du wirst schon wiederkommen!«
»Hast du vielleicht vor, es mir schwerzumachen? Hast du vielleicht vor, mit deinem Geld andere zu erpressen, dass sie mich an die Luft setzen? Hast du das vor? Nun, du kannst es ja versuchen. Und das Eine sage ich dir hier und jetzt: Ich komme nicht mehr zurück, auch wenn ich die Stelle verlieren sollte. Lieber gehe ich als Putzfrau oder auch Steine klopfen. Ich komme nicht mehr! Verstehst du mich, Mutter! Ich habe es satt! Ich bin auch ein Mensch! Ich bin erwachsen, ich bin eine Frau, ich bin Ärztin! Ich habe einen Beruf - im Gegensatz zu dir. Du hast nur immer Geld gehabt und sonst gar nichts!«
»Wohin gehst du?«
Bettina drehte sich an der Tür noch einmal um.
»Das werde ich dir nicht sagen.«
Noch ein letzter Pfeil von der Mutter: »Du hast ja nicht mal Geld, um fortzufahren.«
Bettina blickte sie müde an.
»Ich habe ein Bankkonto aus meiner Assistentenzeit, liebe Mutter. Ich habe Geld, wie du siehst. Nicht viel, aber ich komme damit aus. Und jetzt werde ich auch wieder etwas verdienen. Adieu, Mutter! Ich glaube nämlich nicht, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden.«
»Du wirst!«, schrie die Mutter. »Du ...«
Doch sie hörte schon gar nicht mehr, welche Drohungen ihr folgten. Auf der Treppe traf sie das junge Dienstmädchen. Dieses blickte sie lächelnd an.
»Das haben Sie großartig gemacht. Wir alle haben uns schon gefragt: Wann wird sie endlich aufbegehren?«
Bettina drückte ihr dankbar die Hand.
»Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, dann muss man wohl kämpfen, wie?«
»Wenn Sie fortgehen, werde ich auch gehen.«
Bettina ging nun in ihr Zimmer, sie riss die Schranktüren auf und warf die Sachen in ihren Koffer. Ich bin frei, sagte sie sich immer wieder. Ich bin wieder Ärztin! Endlich darf ich wieder arbeiten! Sie nahm den Koffer mit ihren Kleidern, die Handtasche und den Arztkoffer, den ihr der Bruder geschenkt hatte. Erhobenen Hauptes verließ sie die Villa.
Ich werde sie nur noch betreten, wenn meine Mutter nicht mehr hier ist, dachte sie.
Zugleich erschrak sie über diesen Gedanken - als Ärztin sollte sie nicht so denken!
Die Mutter schaute ihr vom Fenster aus nach.
»Du wirst zurückkommen! Ich werde herausfinden, wo du bist, und dann ...«
Was sie nicht wusste, war, dass Bettina Losse sogar einen kleinen gebrauchten Wagen ihr eigen nannte. Den hatte sie untergestellt. Jetzt holte sie ihn und löste ihr Bankguthaben auf. Sie sah auf die wenigen Sachen und dachte: Das wird tatsächlich nicht lange reichen. Aber, was soll’s!
Dann fuhr sie davon.
4
Zu Dr. Bernstein hatte sie zwar gesagt: »Kann ich gleich beginnen?« Trotzdem wunderte er sich, als sie bereits am Nachmittag vor seiner Praxistür stand. Er forschte in ihrem Gesicht, konnte aber nichts Beunruhigendes finden. Sie war locker und sogar ein wenig fröhlich. Das war sie damals nicht gewesen, eher mehr linkisch und zurückhaltend.
»Setzen Sie sich! Ich bin froh, dass Sie sich so schnell entschließen konnten. Ich brauche Sie wirklich, denn ich habe jetzt meine eigene kleine Klinik.«
Bettina riss die Augen auf.
»Nein!«
»O doch! Lydia Winter, die ehemalige Sängerin, deren Freundin Johanna und noch eine Patientin von früher haben mir das ermöglicht.«
»Wie schön«, flüsterte sie.
»Nachher werden wir rübergehen, damit ich Ihnen alles zeigen kann. Aber ich sage Ihnen gleich: Im Augenblick habe ich nur zwei Patienten dort.«
»Oh, das ...«
Er lächelte.
»Nein, Sie müssen mich nicht bedauern. Ich sehe das alles ganz anders. Aber jetzt erst einmal zu Ihnen. Wo waren Sie denn zuletzt?«
Bettina starrte ihn gedankenverloren an, dann gab sie sich einen Ruck und sagte mit leiser Stimme: »Es wird das Beste sein, wenn ich Ihnen gleich die ganze Wahrheit sage, dann können Sie mir später keinen Vorwurf machen. Ich habe nicht als Ärztin arbeiten können, das heißt ...« Dann erzählte sie dem jungen Arzt die ganze Tragik ihres jungen Lebens.
Dr. Bernstein lächelte sie fröhlich an.
»Und jetzt sind Sie hier?«, fragte er ein wenig ungläubig.
»Und werde bleiben, das heißt, wenn Sie mich wirklich wollen, jetzt, da Sie wissen, wie wenig ich dazugelernt habe. Aber ich werde arbeiten, das können Sie mir glauben. Ich will auch kein großes Gehalt. Ich will nur arbeiten, will alles tun ...«
»Halt, halt, nicht so schnell, Kollegin! Ich bin ja sehr froh, dass alles so ist und nicht anders.«
Und jetzt erzählte er ihr, dass seine Vermutungen in eine ganz andere Richtung gegangen waren.
Bettina lächelte befreit.
»Eigentlich bin ich jetzt erst so richtig normal. Und ich werde mich auch auf Ihre Seite schlagen. Das habe ich ja damals schon getan.«
»Wunderbar! Frau Losse, ich glaube, wir werden ein ausgezeichnetes Gespann.«
Sie reichten sich die Hände.
»Darf ich mein altes Zimmer wieder beziehen?«
Dr. Bernstein sagte: »Sie meinen jenes hier im Haus?«
»Ja.«
»Nun, ich hätte da einen anderen Vorschlag. In der Villa Botanica, so heißt meine kleine Klinik - vielmehr ist es eine Unterkunft für Patienten und keine Klinik - befinden sich zwei Räume, ineinanderliegend, mit Bad und kleiner Küche. Sie sind vorgesehen für einen Arzt. Damit immer jemand anwesend ist. Sie können es sich gern anschauen.«
Bettina atmete tief durch. Nein, sie wollte nicht zeigen, wie enttäuscht sie war, dass sie nicht hier im Haus wohnen durfte. Sie durfte nicht zu viel verlangen.
Dr. Bernstein erhob sich.
»Kommen Sie, gehen wir hinüber! Dann können Sie mir sagen, wie es Ihnen gefällt.«
Da es nicht weit außerhalb des Dorfes war, gingen sie zu Fuß. Achim Bernstein erklärte ihr natürlich, dass man nur zu Fuß ginge, um sich fit und munter zu halten.
Bettina erinnerte sich noch gut an die Villa der reichen Sängerin. Als sie das Tor mit dem hübschen Schild sah, dachte sie unwillkürlich: Hier möchte ich auch Patientin sein.
Aber es sollte ganz anders kommen.
Entzückt stellte sie fest, dass Lydia sie noch kannte und mit herzlicher Freude auf sie zukam.
»Frau Dr. Losse, dass Sie wiedergekommen sind! Das ist wirklich nett.« Sie sah Achim Bernstein an. »Und das haben Sie mir natürlich mal wieder verschwiegen, wie?«
»Ich habe es selbst erst heute erfahren«, rechtfertigte er sich.
Lydia hakte sich gleich bei Bettina unter. Die fühlte sich sofort geborgen und unendlich wohl bei Lydia Winter. Erinnerungen stiegen in ihr hoch. Damals, als sie gemeinsam einen jungen Menschen bis zu dessen Tod begleiteten. Wie sehr hatte Lydia sich für ihn aufgeopfert. Eigentlich alle. Jetzt kam auch Johanna um die Ecke. Ihr weißes Haar leuchtete über dem grünen Rasen.
»Wie hübsch!«, rief sie. »Werden Sie jetzt bei uns wohnen? Aber das ist ja ganz entzückend, Frau Doktor. Dann haben wir ja endlich wieder jemanden zum Verwöhnen.«
»He - und ich?«, rief Dr. Bernstein gespielt ärgerlich.
Lydia lächelte ihn an.
»Pah, Sie haben mich letztens im Schach geschlagen!«
Bettina hätte wieder in Tränen ausbrechen können. Aber diesmal