Juli Summer

Diamond Legacy


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schlimm?“, interpretiert Lara mein Schweigen.

      „Ja … nein … keine Ahnung.“ Ich schließe die Augen, sammele mich und beginne mit dem wirren Gerede von Evelyn, Mums Feindseligkeit ihr gegenüber, dem Typen im Central Park und ende mit dem Ring.

      „Ich habe ihn anprobiert und …“

      „Und was?“, drängt sie weiter.

      „Kurz hatte ich das Gefühl, mich sticht etwas. Also wollte ich ihn wieder vom Finger ziehen, aber dann …“

      „O Mann, Greta. Könntest du die Sätze mir zuliebe bitte beenden und mich nicht so auf die Folter spannen?“

      Ich muss lachen, während ihre Augen sich vor Neugier weiten.

      „Er hat sich verfärbt. Rötlich. Als würde er sich mit meinem Blut vollsaugen. Es war faszinierend und gleichzeitig voll unheimlich. Und dann, ganz plötzlich, war alles vorbei.“ Gespannt sehe ich sie an.

      „Du glaubst also, der Ring hat dich gestochen?“ Ihre Worte sind ein Flüstern. In ihrem Ton schwingt Aufregung mit. Selbst im matten Licht des Tages können ihre Augen das Funkeln nicht verbergen.

      „Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Es hat danach ausgesehen, ja. Aber klingt das nicht total dämlich in deinen Ohren?“

      „Nein, das ist überhaupt nicht dämlich. Deine Großmutter hat dir den Ring aus einem bestimmten Grund gegeben. Sollte es tatsächlich mehr damit auf sich haben, wird sie es wissen.“

      „Ja, du hast recht. Ich sollte Evelyn anrufen und fragen.“

      „Gleich nachdem du mir den Ring gezeigt hast. Hast du ihn dabei?“

      „Klar.“ Ich greife in die Hosentasche, lege den Ring in die hohle Hand und präsentiere ihn Lara.

      „Aber hallo, wenn der nicht funkelt, weiß ich auch nicht.“ Mit dem Zeigefinger fährt sie vorsichtig über den Diamanten. „Nur, spooky sieht er nicht aus.“ Sie hält ihn ein Stück von sich weg.

      „Ich weiß und deswegen glaube ich ja, ich habe mich von Evelyns wirrem Gerede bloß anstecken lassen.“

      „Bestimmt sehnt sich die Musterschülerin in dir nach einem kleinen Abenteuer“, zieht Lara mich auf und ich knuffe sie in die Hüfte.

      „Du bist ja nur neidisch.“

      „Auf jeden Fall.“

      Wir lachen beide. Es tut gut, mit Lara zu reden. Sie ist immer herrlich positiv. Aber nicht nur von innen strahlt sie wie die Sonne. Sie trägt den Sommer praktisch auf der Haut. Heute hat sie sich für pinke Turnschuhe und bunte Ringelleggins entschieden. Darüber einen schwarz-weiß gepunkteten Rock. Unter ihrem geblümten Wintermantel blitzt ein Stück ihres lila Pullis durch. Ich drücke sie an mich, bevor wir das Dach über eine Eisentreppe verlassen, die sich an der Außenfassade des Gebäudes befindet.

      An der nächsten Haltestelle verabschiede ich mich von Lara und tauche kurz darauf in eine der Unterführungen zur U-Bahn ein. Mit der Masse der Menschen ströme ich tiefer Richtung Bahnsteig. Meine Nackenhaare stellen sich auf, als ein leichtes Kribbeln am Hinterkopf meine Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Ich schaue kurz von meinem Handy auf, sehe mein Spiegelbild in den Fenstern eines U-Bahn-Abteils vor mir. Plötzlich stockt mir der Atem und ich bin wie gelähmt. Hinter mir, nicht weit entfernt, steht ein Mann mit dunklem Mantel und Hut. Ich fühle mich in den Central Park zurückversetzt. Die aufkommende Panik lässt sich nur schwer fernhalten. Die Bahn im Gleis vor mir fährt an. Die vorbeigleitenden Scheiben geben die Sicht nur noch schemenhaft frei. Ich zähle bis drei, dann drehe ich mich um. Mein Blick huscht hin und her. Keine Spur eines Mannes mit Hut. Blöde Kuh, schelte ich mich. Jetzt leidest du schon unter Verfolgungswahn.

      Auch wenn ich weiß, dass ich mich albern benehme, zittern meine Hände leicht, als ich endlich die Wohnungstür aufschließe. Ein ungutes Gefühl hat sich in meiner Magengegend eingenistet. Nur langsam fällt die Anspannung von mir ab und das unangenehme Kribbeln ist nur noch eine vage Erinnerung.

      Draußen hat es zu regnen begonnen. Der Wind hat aufgefrischt. Mit jeder Böe schiebt er Regenmassen vor sich her, die gegen die Fensterscheiben prasseln. Ich kuschele mich mit einer Decke auf die Couch und warte auf Mum. Zwischendurch versuche ich ein weiteres Mal, Evelyn zu erreichen. Ohne Erfolg.

      Ich höre die Haustür ins Schloss fallen.

      „Bin zu Hause“, ruft Mum.

      Es fühlt sich gut an, nicht mehr allein zu sein. Gemütlich sitzen wir nebeneinander vor dem Fernseher. Seit wir wieder in Deutschland sind, ist Mum wie ausgewechselt und zwischen uns herrscht Waffenstillstand. Gegen zehn beobachte ich, wie ihr Kopf in immer kürzer werdenden Abständen zur Seite kippt. Ich stupse sie amüsiert an.

      „Ich sollte mich schlafen legen. Wird wieder ein langer Tag.“

      Mum arbeitet Vollzeit in einem Restaurant. Einige Monate nachdem wir damals aus Amerika hergezogen sind, hat sie die Stelle bekommen. Zuvor hatte sie sich von Job zu Job gehangelt. Ihr Talent und ihre Begeisterung fürs Kochen blieben vom Chefkoch nicht lange unentdeckt. Und auch ihre mandelförmigen Augen fanden seinen Zuspruch. Mum und Mario verliebten sich ineinander. Er ist ein lieber Kerl und tut ihr gut. Und zusammen versorgen mich die beiden mit köstlichem Essen.

      Kurz nachdem Mum in ihrem Schlafzimmer verschwunden ist, gehe ich ebenfalls ins Bett. Achtlos werfe ich Jeans und Pulli auf meinen Schreibtischstuhl. Ich schlüpfe unter die Decke und ziehe sie bis zum Kinn. Lange liege ich wach, der Jetlag und die Ereignisse der vergangenen Tage machen mir zu schaffen. In der Stille und Dunkelheit meines Zimmers kommen auch die Bilder zurück. Der fremde Mann im Central Park. Hat er mich wirklich verfolgt? Und was war heute in der U-Bahn? Alles nur Einbildung? Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich da in etwas hineingeraten bin. Oh Mann Greta, das macht doch alles keinen Sinn. Entschlossen schiebe ich meine Gedanken auf die Seite. Irgendwann kämpft sich die Müdigkeit bis in meinen Kopf durch. Dankbar gebe ich mich ihr hin.

      Der Wecker reißt mich aus dem Schlaf. Hinter den Vorhängen hat die Nacht den Himmel noch nicht freigegeben. Erschöpft von einem unruhigen Schlaf tapse ich ins Badezimmer. Das kühle Wasser der Dusche weckt meine Lebensgeister nur im Ansatz. Ich hatte gehofft, mit dem Beginn eines neuen Tages Klarheit in meine Gedanken zu bringen. Doch die Fragezeichen sind nicht weniger geworden. Ohne Evelyn wird sich daran auch so schnell nichts ändern.

      Wüsste ich mehr über unsere Familiengeheimisse, wenn mein Leben in New York stattgefunden hätte?

      Nur vier Wochen nachdem Dad und mein Bruder Aaron bei dem Autounfall starben, brach Mum alle Zelte hinter sich ab und kehrte mit mir nach Deutschland zurück. Damals war ich vier. Ich erinnere mich nicht mehr an diese Zeit. Genauso wenig wie an meine Großeltern. Immer wenn dieses Thema auf den Tisch kam, hat Mum dasselbe erzählt. Schon als Dad noch lebte, haben sie sich von ihnen distanziert. Als fanatisch und realitätsfremd hat Mum sie bezeichnet. Naja, wenn man lang genug nur Schlechtes von Menschen hört, verliert man irgendwann das Interesse. Bis Evelyns Brief eintraf.

      Ich nehme ein Glas aus dem Badezimmerschrank, fülle es mit Wasser und werfe eine Aspirin hinein. Während die Tablette sich zischend auflöst, überlege ich, was mit dem Ring geschehen soll. Auf keinen Fall lasse ich ihn aus den Augen. Nicht, solange ich nicht weiß, was genau es mit ihm auf sich hat. Warum hat Evelyn ihn mir gegeben? Was meinte sie damit, als sie sagte, es sei mein Schicksal? Ich bin durcheinander. Einmal mehr wird mir klar, wie wenig ich sie kenne. Doch trotz allem habe ich ihr gegenüber eine gewisse Sympathie empfunden. Aber wenn der Ring tatsächlich etwas Besonderes ist, warum meldet sie sich nicht und erklärt mir seine Bedeutung? War es am Ende nicht Intelligenz, sondern vielleicht Kälte, die das Blau in ihren Augen so klar hat aussehen lassen? Daran will ich nicht glauben und nehme mir vor, sie am Nachmittag erneut anzurufen. Irgendwann muss doch mal jemand ans Telefon gehen.

      Ich krame in meinem Schmuckkästchen nach einer etwas längeren Gliederkette. So kann ich den Ring am Körper tragen, ohne dass er für jeden gleich sichtbar ist. Ich binde mir die blonden Haare zum Pferdeschwanz. Ein letzter Blick in den Spiegel. Sollte gehen.