Manfred Höhne

Meine irdischen und himmlischen Wege


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Stapel Papier mit seinem Griffel immer in Reichweite. Er liebte diese altfränkischen Bezeichnungen und belegte damit alle ihm wichtigen Dinge seiner kleiner werdenden Welt. Sein Griffel war natürlich kein Griffel, wie er ihn in den ersten beiden Schuljahren in einem Holzkästchen immer im Ranzen parat haben musste.

      Das Anspitzen der Griffel war ihm ein Gräuel, aber es gehörte, wie das Auswaschen des Schwammes zu den Grundpflichten eines ABC Schützen, dem die Übungen auf der Schiefertafel als Quelle künftiger Erkenntnisse und Fertigkeiten nicht nur Mühsal, sondern Freude bereiten sollten. Wenn es ihm gelang, Buchstaben in etwa der gleichen Länge und Breite und dem vorgeschriebenen Neigungswinkel auf die Tafel zu bringen, bereitete ihm dies eine Spur von Befriedigung, wie heute, wenn er glaubte, den richtigen Abschluss für ein Kapitel gefunden zu haben.

      Sein Griffel heute, war ein handlicher Kugelschreiber, dessen Mine dreimal solange reichte, wie die schmalen Wegwerfschreiber, die bei Aldi am Zeitschriftenständer zum Verkauf ausliegen. Die Minen zu beziehen, gestaltete sich zunehmend schwierig aber er hatte zwei Dutzend über eBay ersteigern können und schätzte ein, dass dies für die ihm noch verbleibende Lebenszeit ausreichen würde.

      Seine Mutter, eine Hugenottin, sprach auf dem Bahnhof stets von Perron und auf der Straße von Trottoir, und da wir diese Namen nur von ihr verwendet hörten, personifizierten wir sie. Wie er heute seinen Griffel, der ihm nicht nur Objekt sondern Subjekt war.

      Natürlich musste er bei der Verwendung mancher Begriffe aufpassen, dass seine Frau Almuth sie nicht als die zeitgemäß üblichen verwendete. Es hatte einmal im Freundeskreis für große Heiterkeit gesorgt, als sie von ‚Base‘ und ‚Muhme‘ sprach - Begriffe, die man für gewöhnlich nicht im Grundkurs der deutsche Sprache lernt, sondern als Cousine und Tante für den späteren allgemeinen Sprachgebrauch.

      Sie war in Hongkong geboren, hatte dort 6 Jahre die englische Schule besucht und das Deutsche nur von der Mutter gelernt. Mit der deutschen Sprache hatte sie sich erst wieder intensiv beschäftigt, als Gunther sie vor 30 Jahren als seine Frau mit nach Deutschland nahm.

      An diesem Nachmittag hatte er eine Besichtigung geplant. Eine gute Stunde hin, in Thüringen. Für ein zur Versteigerung stehendes Wasserschloss war ein Besichtigungstermin eingeräumt. Einen Lebenstraum würde er sich mit dem Erwerb erfüllen. Schon das Hinschauen war ihm wichtig. Nur sprechen durfte er nicht darüber, das hätte eine Lawine von Vernunft - und Gegenargumenten ausgelöst, die ihm schon die Freude an diesem Hinschauen genommen hätte.

      Nach dem Mittagessen fuhr er los mit der Vorgabe eines Zieles, von dem er sicher sein konnte, dass Almuth kein Interesse daran haben würde, ihn begleiten zu wollen.

      Er war fast eine halbe Stunde eher am Ziel, als der Besichtigungstermin angesetzt war.

      So hatte er Zeit, das gewaltige Bauwerk von außen zu inspizieren. Es war in der Tat ein gewaltiger Komplex, viel größer, als er aus der Internetbeschreibung entnommen hatte. Es war ein richtiges Wasserschloss, nicht von einem Algen bedeckten Rinnsal umflossen, sondern mitten in einem See stehend, rechts und links von Wasser umgeben, mit einem Abstand von 50 bis 100 m vom Ufer entfernt. Nur die Zufahrt vom Nord-Osten lag näher zum Land.

      Eine - mit seinem Schrittmaß von 80 cm ermittelte -etwa 40 m lange, in den See hinein gebaute Brücke auf sechs Bögen verband das trutzige Tor mit dem felsigen Ufer.

      Zwei gewaltige Rundtürme begrenzten die Bastionen, die zu keinem Schloss, sondern zu einer Burg gehörten. Jeder der Türme hatte wohl einen Durchmesser von 10 m, dazwischen ein Mittelteil von circa 25 m ohne Fenster, nur mit Schießscharten und mit Zinnen auf der umlaufenden Wehrmauer.

      Gunther-Hagen lief den schmalen Fuß- und Radweg, der nach Osten um den See führte, ein Stück entlang, bis er einen Blick auf die Ostseite des Komplexes werfen konnte. Wie im Angebot beschrieben, waren die Dächer neu eingedeckt, was ein Vermögen gekostet haben mochte. Den Abschluss zum See im Südosten bildeten wieder zwei Rundtürme, die die gleichen Maße, wie die landseitig gelegenen zu haben schienen.

      Auf der Westseite, mehr südwestlich - die Achse der Anlage lag in Nordwest-Südost, was er am Stand der Sonne ziemlich genau bestimmen konnte, - bot sich ihm fast das gleiche Bild. Nur fehlten hier die vorgebauten Bastionen, wohl deshalb, weil ein Angriff von dieser Seite mit mittelalterlicher Kriegstechnik nicht zu erwarten war. Der Abstand zum Ufer betrug hier mehr als 100 m; eine Invasion hätte also mit Schiffen erfolgen müssen.

      Gunther beschloss nun die Burg zu betreten und nach der avisierten Besichtigung zu fragen.

      Sie war ausgeschildert.

      Das Burgtor - aus der Nähe noch uriger wirkend als vom Brückenaufgang - führte durch wahre Zyklopenmauern auf einen Hof, der von einem zweigeschossigen Quergebäude abgeschlossen war. In der Mitte dieses Quergebäudes, über eine mehrstufige Freitreppe, kam er im Hochparterre zu dem offensichtlichen, herrschaftlichen Zentrum des hier in neugotischem Stil aufgeführten Schlossbaues, wo die Besichtigung beginnen sollte.

      Er hatte eine Vielzahl Interessierter erwartet, aber er traf nur auf ein Ehepaar, Mitte 40, dass er begrüßte und sich dann, wie dieses auch, mit der Inspektion des Foyers beschäftigte, seinen fernöstlichen Statuen und den imposanten Glasfenstern. Pünktlich um 15 Uhr kam ein etwa 50 jähriger Mann, der sie bat noch einige Minuten zu warten, da er das Hoftor abschließen wollte.

      Ihm war die Enttäuschung über die geringe Anzahl von Interessenten sichtlich anzumerken.

      Die Führung dauerte nur gut eine halbe Stunde. Sie führte vom Foyer des Festsaals, der die gesamte Ostseite des Querhauses einnahm und in den wir einen Blick werfen durften, über eine zweiläufige Mitteltreppe in das Obergeschoss. Von dem kleineren Foyer im Obergeschoss wurden wir rechtsseitig, entlang eines zweiten Innenhofes, zum westlichen Rund-Turm des Südflügels geführt.

      Der Petent auf der Ostseite blieb ausgespart, da er mit den angrenzenden Räumen von der Besitzerin, der Reichsgräfin von Grainau- Solms bewohnt wurde.

      Über eine breit ausgelegte Wendeltreppe gelangten wir in das Untergeschoss des Südflügels, das noch keine Renovierung erfahren hatte. Von dort, über den zweiten Innenhof, durch ein das mittlere Querhaus passierendes Tor, kamen wir wieder zum Haupttor an dem uns der Gide verabschiedete und zum Versteigerungstermin in vier Wochen, hier im Festsaal des Schlosses, einlud.

      Über die steinerne Bogenbrücke lief Gunther-Hagen wie in einem Trancezustand, wie in einem Traum, der ihn verzaubert hatte. Ihn überkam so etwas wie eine innere Überzeugung, er müsse dieses Domizil haben und auch, dass er darum kämpfen würde.

      Kap 5

      Zum Versteigerungstermin waren außer Gunther und dem Ehepaar, das er schon bei der ersten Besichtigung gesehen hatte, nur zwei Männer erschienen, die sich so gesetzt hatten, dass sie sich unauffällig beobachten konnten. Sie sahen aus wie Vertreter eines Pensionsfonds, die den Erwerb des Hauses nur unter dem Gesichtspunkt des Weiterverkaufs und einer Gewinnoptimierung sahen und nicht in Absicht, hier zu wohnen.

      In dem Festsaal, dessen Pracht der Spiegel und Lampen, Konsolen und dem Plafond aus römischer Götterwelt, mit Venus, Aeolus, Aurora und Amor, und den umlaufenden Säulen mit korinthischen Kapitellen, so frisch wirkte, als sei die Renovierung erst vor wenigen Tagen abgeschlossen worden, waren in Viererreihen Stühle gestellt, in denen sich die wenigen Interessenten verloren. Das Ehepaar hatte in der ersten Reihe Platz genommen, Gunther-Hagen in der letzten.

      Zur angekündigten Zeit eröffnete ein schon grauhaariger Auktionator sein Ritual, das Gunther immer wieder faszinierte. Er war von dem Gedanken besessen, das Haus zu erwerben, wenn es zu dem Limit, das er sich eisern gesetzt hatte, möglich war. Das Anfangsgebot lag bei 2,4 Millionen. Für Gunther utopisch! Obwohl er seit der Besichtigung wusste, dass dieses Haus bestimmt das Doppelte wert war. Die Hemmschwelle des Erwerbes lag zweifellos in der Grunderwerbsteuer, der jährlichen Steuer- und Versicherungslast und der laufenden Unterhaltung. Ohne Personal war ein solches Haus nicht zu führen.

      Es fand sich kein Bieter. Der Auktionator ermäßigte in Schritten von 100.000. Als sich bei zwei Millionen noch kein Bieter fand, brach er die Versteigerung ab und gab als zweiten Termin ein Wochenende im Mai bekannt. Dann würde das Anfangsgebot bei den Bankschulden