A. F. Morland

Das Krimi All Star Jahrbuch 2020: 7 Romane


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war mindestens einen Meter neunzig groß, und seine hellblonden Haare waren kurz geschoren wie bei einem Fremdenlegionär. Aber seine hellblauen Augen leuchteten lange nicht so hellwach wie die von Flash Gordon. Sie waren trübe und wirkten stumpfsinnig. Sein Gesicht war rot angelaufen, und er keuchte wie ein belgisches Kaltblutpferd.

      Durch den verzogenen Mund konnte man seine blitzenden Zähne sehen. Sie schienen noch alle da zu sein, zumindest die vordere Reihe, was bei einem wie ihm wohl nur bedeuten konnte, dass er stets als Erster zugeschlagen hatte.

      Vielleicht trug er auch ein Gebiss.

      Der Zweite war etwa ein Dutzend Stufen im Rückstand, und dieser Rückstand würde sich wohl eher noch vergrößern. Er hatte einfach nicht die Kondition, um mit der Dampfwalze, die ihm vorauseilte, mitzuhalten. Und das, obwohl Flash Gordon ja schließlich noch seine gesammelten Muskelpakete mit sich herumtragen musste.

      Der zweite Mann war vom Äußeren her so etwas wie ein exaktes Gegenstück zu seinem Partner.

      Er war klein und drahtig und hatte dunkles Haar. Er wirkte fast wie ein südländischer Typ, wozu aber die verhältnismäßig bleiche Haut nicht passte.

      Seine Wangen wurden von einem ungepflegten, dünnen Bart bedeckt, von dem man nicht sagen konnte, ob er absichtlich als Eine-Woche-Bart stehengelassen worden war oder einfach nicht üppiger sprießen wollte.

      Flash Gordon würdigte mich nur eines kurzen, dumpfen Blickes, und ich musste einen Schritt zur Seite springen, um von ihm nicht umgerannt zu werden.

      Er blieb zwei Sekunden auf dem Treppenabsatz vor meiner Tür stehen und warf einen Blick an mir vorbei in meine Wohnung.

      Ich widerstand der Versuchung, mich auch dorthin umzublicken. Ich hoffte nur, dass dort niemand zu sehen sei − aber was immer man auch über die junge Frau sagen konnte, dämlich schien sie nicht zu sein.

      Der Kerl hetzte weiter nach oben, und ich ging in meine Wohnung und schloss die Tür hinter mir.

      Sicherheitshalber schob ich sogar den Riegel vor. Man konnte ja nie wissen.

      Wenn die beiden Wölfe ihre Beute oben bei Lammers nicht vorfanden, kamen sie möglicherweise auf die Idee, woanders nachzusuchen.

      Ich ging ins Wohnzimmer und sah sie am Fenster stehen. Sie hatte sich noch nicht so recht beruhigt, das war ihr deutlich anzumerken.

      Eine sanfte Röte überzog ihr fein geschnittenes Gesicht, das ich jetzt im Profil zu sehen bekam.

      Ich musterte sie, und zwar in diesem Moment wohl erstmalig mit Verstand. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Das lindgrüne Kleid, das sie trug, war schlicht, wirkte aber elegant. Und der dezente Schmuck, den sie angelegt hatte, schien echt zu sein.

      Im Ganzen machte sie den Eindruck einer Frau, für die Geld kein allzugroßes Problem darstellte. Ich konnte mich täuschen, aber ich glaubte, da richtig zu liegen. Natürlich mochte alles nur Maske sein, aber wenn dem so war, dann war es eine sehr gute. Sie trug ihre Sachen mit großer Selbstverständlichkeit, die darauf hindeutete, dass sie daran gewöhnt war.

      Ihre Brust hob sich, als sie tief durchatmete. Langsam schien sie sich wieder zu fassen. Sie wandte sich zu mir um. "Wo sind sie?"

      "Deine ... äh ... Bekannten?"

      "Für Sarkasmus ist jetzt wohl nicht der richtige Zeitpunkt!"

      Eins zu null für sie!, dachte ich. Wo sie Recht hatte, hatte sie sicher auch Recht. Aber ich für meinen Teil hatte wenig Lust, in etwas hineingezogen zu werden, bei dem ich nicht abschätzen konnte, worum es sich handelte. Ich dachte, ich hätte ein Recht auf etwas mehr Information. Es schien allerdings ganz so, als stünde ich mit dieser Auffassung allein da.

      "Die beiden sind oben bei Lammers", sagte ich.

      Sie fragte: "Was glaubst du? Haben die mich gesehen?"

      "Ich hoffe nicht."

      "Wieso?"

      "Weil es dann wohl Ärger gibt, oder liege ich da falsch?"

      "Nein ..."

      Wieso − das schien eines ihrer Lieblingswörter zu sein, soviel hatte ich schon begriffen. Wieso, weshalb, warum? − Wer nicht fragt, bleibt dumm! Aber dumm war sie bestimmt nicht. Ob sie allerdings ausgebufft genug war, um es mit denjenigen aufnehmen zu können, deren Ärger sie sich da auf irgendeine Art und Weise zugezogen hatte, das musste einstweilen offen bleiben.

      "Wer sind die beiden?", fragte ich.

      "Keine Ahnung."

      Sie brachte das viel zu prompt und zu schnell heraus, um die Wahrheit sagen zu können. Sie hatte mir schon halb geantwortet, als ich meine Frage noch gar nicht vollständig über die Lippen gebracht hatte. So etwas war einfach verdächtig. Um da stutzig zu werden, brauchte man weder Schimanski zu heißen, noch einen Lügendetektor zu haben!

      Ich ging zum Telefon.

      "Was hast du vor?", fragte sie.

      Da war sie, die berühmt-berüchtigte Daumenschraube. Und ich wollte sie jetzt ein bisschen andrehen.

      "Die Polizei interessiert sich für dich. Ich werde sie anrufen."

      "Nein, nicht!"

      "Warum nicht?"

      Ich begann schon einmal zu wählen. Sie musste mir etwas wirklich Einleuchtendes anbieten, um mich zum Aufhören zu bewegen.

      "Ich habe Lammers nicht umgebracht!", behauptete sie.

      Ich zuckte die Schultern. "Mag schon sein, aber das solltest du nicht mir, sondern der Polizei erzählen!"

      "Würde mir dort irgendjemand glauben?"

      Ich blickte sie offen an. "Bisher hast du nicht allzuviel zu deiner Glaubwürdigkeit beigetragen!"

      "Na, und? Was geht dich das an?"

      Das ließ ich abprallen.

      Ich sagte: "Du hast einen Wohnungsschlüssel, nicht wahr? Du kannst es ruhig zugeben. Wie hättest du sonst eben in die Wohnung kommen können?"

      Als sie antwortete, bekam ihre Stimme einen trotzigen Unterton. Sie klang wie ein ungezogenes Kind, das erwischt worden war. Man hätte darüber lachen können, wenn die Sache nicht so ernst gewesen wäre.

      "Ja, ich habe einen Wohnungsschlüssel!", gab sie zu.

      "Na, also! Und der Mörder von Lammers hatte wahrscheinlich auch einen!"

      "Aber ich bin doch nicht die Einzige, die einen Schlüssel zu seiner Wohnung hat!"

      "Nein?"

      "Außerdem gibt es andere Wege, eine Tür zu öffnen."

      "Richtig. Aber es gab keinerlei Spuren."

      "Auch ohne Spuren!"

      Ich pfiff durch die Zähne. "Na, du kennst dich ja aus!"

      "Ha, ha!", machte sie.

      "Wenn du wirklich verhindern willst, dass ich die Polizei anrufe, musst du mir schon Überzeugenderes auf den Tisch legen!"

      Sie atmete tief durch, verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte dann einen Moment so, als schlucke sie einen Kloß herunter, der ihr im Hals steckte.

      "Hör zu, ich bin in der Klemme", begann sie dann und trat an mich heran. Ihre Hand legte sich auf die meine und drückte sie sanft gemeinsam mit dem Hörer hinunter.

      "Das klingt ehrlich", sagte ich.

      "Was soll das heißen?"

      "Das soll heißen, dass du jetzt wahrscheinlich zum ersten Mal die Wahrheit sagst. Du sitzt in der Klemme. Aber das sieht ein Blinder mit Krückstock!"

      "Die beiden wollen mich umbringen!"

      "Haben die auch Lammers auf dem Gewissen?"

      "Vielleicht.