Wampe entgegen. "Mir scheint, Sie wissen mehr, als Sie mir weismachen wollen!"
"Ich habe Ihnen alles gesagt."
"So?"
"Ja!"
"Wie kommen Sie dann darauf, dass sich Lammers eine Geliebte leisten konnte? Er ist arbeitslos und lebt von der Sozialhilfe. Wie sind Sie darauf gekommen, dass er trotzdem genug Geld hatte, um ..."
Ich hob die Schultern und machte ein Gesicht, das möglichst unschuldig wirken sollte. "Es war einfach nur ein Gedanke!"
"Allerdings einer, der genau ins Schwarze trifft!"
"Ich verstehe nur Bahnhof!"
"Lammers verfügte über ein Nummernkonto in der Schweiz. Schon merkwürdig, nicht? Aber, dass Sie davon wussten, Hellmer, das ist noch merkwürdiger!"
Jetzt schlug es aber dreizehn! Eine ganze Sekunde brauchte ich, um diesen Verbalschlag zu verdauen. "Ich wusste nichts davon!", behauptete ich und fand mich selbst nicht so recht überzeugend dabei.
Rehfeld rollte genervt mit den Augen. "Ach, kommen Sie, Hellmer, Sie haben sich verplappert!"
Ich lächelte dünn. "Irgendwie scheinen Sie was gegen mich zu haben. Mögen Sie keine Western-Romane?"
Rehfeld grinste schief. "Nein, mag ich nicht. Ist das ein Fehler?"
"Das ist eine Sache des Standpunktes!"
"Ich weiß, dass der Trend zum Zweitbuch geht, aber man muss ja nicht jede Mode mitmachen, oder?" Rehfeld machte eine hilflose Geste und ging dann ein paar Schritte auf und ab.
Schließlich wirbelte er wieder zu mir herum und hielt mir beschwörend seinen dicken, fleischigen Zeigefinger unter die Nase.
Mir fiel auf, dass er abgekaute Nägel hatte. Aber womit sollte er sich auch in seinen vielen Überstunden beschäftigen, die er hier, zwischen seinen Akten verbrachte, der Arme!
"Ich habe mich bei den anderen Hausbewohnern über Sie erkundigt, Hellmer!"
"Herr Hellmer für Sie. Soviel Zeit muss sein!"
"Sie hatten noch am Tag vor Lammers Tod einen heftigen Streit im Treppenhaus mit ihm, Herr Hellmer. Nicht wahr? Einen Streit, der so laut war, dass man ihn ..."
"... bei Meyers noch hören konnte, obwohl sie Fernseher und Stereoanlage gleichzeitig eingeschaltet hatten!", schnitt ich ihm das Wort ab.
Er nickte. "So ähnlich, ja."
"Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?", fragte ich.
"Ich glaube, dass Sie uns einiges verschweigen, Herr Hellmer."
"Und was zum Beispiel?"
"Ich hätte zum Beispiel gerne gewusst, worum es bei Ihrem Streit am Tag vor dem Mord ging."
"Haben Ihnen das die Meyers nicht gesagt?"
"Ich möchte es von Ihnen hören."
"So gute Ohren haben die beiden dann wohl doch nicht, was?"
"Also ..."
"Es ging um den kaputten Föhn von Lammers. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm einen Neuen kaufen würde. Das wäre für mich am Ende billiger, als wenn er mit seinem alten Ding laufend Stromausfälle provoziert."
"Ich glaube, es ging um etwas Wichtigeres."
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Um was zum Beispiel? Ich bin wirklich gespannt. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich derjenige von uns beiden bin, der dabeigewesen ist."
Rehfeld atmete tief durch. "Diese Frau stand in irgendeinem Zusammenhang mit Lammers. Aber ich vermute, auch mit Ihnen. Schließlich ist sie in ihre Wohnung geflüchtet, wie Sie mir am Telefon erzählt haben!"
"Was soll das denn für ein Zusammenhang gewesen sein?"
"Sagen Sie es mir!"
"Sie sind auf dem Holzweg!"
"Vielleicht. Aber genauso gut ist das Gegenteil möglich! Es ist besser, wenn Sie uns alles sagen, was Sie wissen, Herr Hellmer."
"Habe ich bereits!"
Er zuckte die Achseln. "Wie Sie wollen. Wir kriegen es am Ende doch heraus. Verlassen Sie sich darauf!"
"Dann strengen Sie sich mal schön an und tun Sie was für Ihr Geld! Ich wünsche Ihnen viel Glück dabei!"
Unsere Unterhaltung endete grußlos und ziemlich unerfreulich. Rehfeld hatte einen Narren an mir gefressen. Er hatte nichts außer einem Namen. Annette Friedrichs, die aus ihrem Nest wohl schon seit geraumer Zeit ausgeflogen war − ob aus Furcht vor der Polizei oder aus Angst vor anderem ungebetenen Besuch.
Und er hatte mich. Und irgendwie bastelte er sich daraus jetzt in seinem Beamtenhirn eine Story zusammen, die so an den Haaren herbeigezogen war, dass jemand, der einen Roman daraus gemacht hätte, vermutlich in einer Flut von empörten Leserbriefen ertrunken wäre.
Das war eben der Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit!
Ein Roman muss stimmig sein, in der Wirklichkeit schert sich niemand um irgendeine Logik. Alles Zufall, alles Chaos, alles ausgewürfelt. Eine schreckliche Erkenntnis, nicht wahr?
Zu schrecklich für viele.
Aber es gibt ja Auswege.
Religion zum Beispiel. Was ist Religion im Kern anderes, als die Vorstellung, dass da doch irgendwo ein Autor im Himmel sitzt, ein übergroßer Dramaturg des Universums, von dem man hofft, dass er alles zu einem Happy End führt?
Jake McCord würde von mir aus jedem Schlamassel herausgeholt werden.
Jürgen Lammers war von niemandem gerettet worden.
11
Rehfeld warf mir noch einen bösen Blick zu. Kurze Zeit später tauchte Müller-Sowieso auf und zeigte mir ein paar Bilder. Aber die Kerle, die hinter Annette Friedrichs hergewesen waren, befanden sich leider nicht unter den Abgebildeten.
Doch das musste ja nichts heißen.
Schließlich wurde ich entlassen, wahrscheinlich deswegen, weil Müller-Sowiesos Schicht zu Ende war und er einfach keine Lust mehr hatte, sich mit mir noch weitere Fotos anzuschauen.
Jedenfalls sah ich ihn in einen Privatwagen steigen, als ich das Gebäude verließ und über den Parkplatz ging.
Später, als ich nach Hause kam, ging ich zunächst einmal hinauf zu Lammers Wohnung. Ich hätte gerne noch einmal hineingeschaut, einfach so aus Neugier. Vielleicht konnte ich irgendeinen Hinweis finden.
Ich hatte eigentlich keinen guten Grund, das zu tun. Ich tat es trotzdem. Es war einfach eine spontane Regung. Aber die Wohnung von Lammers war bereits wieder versiegelt. Wie es schien, hatte Rehfeld einen seiner Leute vorbeigeschickt.
War also nichts mit dem Detektivspielen.
Als ich dann wieder die Treppe hinabgestiegen war und schon fast vor meiner Wohnungstür stand, hörte ich von unten Schritte.
Ich beugte mich über das Treppengeländer.
Es war Frau Meyer − die dicke Mutter. Mit ihren Schweinsäuglein konnte sie gerade noch über die aufgetürmten Schachteln blicken, die sie mit einem ihrer kurzen, wabbeligen Arme balancierte, während ihre andere Hand den Schlüssel aus der Manteltasche zu fingern versuchte, was sich ganz offensichtlich als ziemlich schwieriges Unterfangen gestaltete.
Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass sie die Schachteln mit rechts hielt, ihr Schlüssel in der rechten Manteltasche klimperte und sie nun versuchen musste, mit ihrer kurzen Linken um ihren eigenen, massigen Körper herumzulangen.
Sie hatte es fast geschafft, eine Handbreit fehlte noch. Dann blickte sie zu mir herauf und sah mich. Fast wäre ihr der Schachtelberg eingestürzt, aber das konnte sie