Schubladen der Kommode, auf der das Telefon stand, waren herausgerissen, der Inhalt auf dem Boden verstreut. Ich kam zur Wohnzimmertür und warf einen Blick hinein, der mir einen kalten Schauder über den Rücken jagte.
Jemand hatte sich mit einem Messer in der Hand an meiner Sitzgarnitur vergriffen und alles aufgeschlitzt. Ich atmete tief durch, ein Seufzer ohnmächtiger Verzweiflung sozusagen.
Hier hatte jemand gründlich nachgeschaut. Sehr gründlich.
Und vor allem wesentlich weniger rücksichtsvoll, als die Polizei das gemacht hatte. Ich hoffte nur, dass sich dieser unbekannte Irre nicht aus lauter Frust darüber, dass er nichts gefunden hatte − was hätte er bei mir auch finden sollen? − auch noch meinen PC vorgenommen hatte!
Ich machte zwei Schritte nach vorne, und jeder von ihnen war ein schwerer Fehler. Aber um so etwas im Voraus zu wissen, braucht man einen sechsten Sinn. Und den gibt‘s leider nur in Romanen und bei anderen Leuten. Ich konnte damit jedenfalls nicht dienen.
Von links sah ich aus dem Augenwinkel eine plötzliche Bewegung. In letzter Sekunde konnte ich noch etwas ausweichen, aber es reichte nicht, um dem Schlag vollends zu entgehen. Ich bekam immer noch genug ab, um zu Boden geschleudert zu werden und der Länge nach hinzufliegen.
Ich kam hart auf und stieß mit dem Kopf gegen irgendeine Kante. Für einen Sekundenbruchteil sah ich Sterne oder so etwas Ähnliches.
Ich blickte auf und erblickte die untere Hälfte eines Rückens, bekleidet mit Jeans und einer braunen Lederjacke, auf der jede Menge Embleme prangten.
Und eine Sekunde später war auch der Rücken auf und davon.
Ich hörte nur noch Schritte.
Jemand rannte den Flur entlang zu meiner Wohnungstür, stolperte über die Plastiktasche, die ich dort abgestellt hatte, und rannte dann nach unten. Ich hörte das Klappern von harten Sohlen, das aber schließlich verhallte.
Vorsichtig befühlte ich die Stelle an meinem Kopf, die etwas abbekommen hatte.
Ich fühlte die deutliche Wölbung. Eine Beule, aber mehr nicht, so schien es. Ich rappelte mich so schnell ich konnte hoch und taumelte zum Fenster. Mir war schwindelig und auch etwas benommen.
Dann blickte ich endlich hinunter auf die Straße. Aber natürlich viel zu spät.
Verdammt!
Ich ging in die Küche, nahm ein Tafelmesser und kühlte mit dem Metall meine Beule.
Mein Kopf brummte, ich musste mich hinsetzen.
Manchmal kommt alles zusammen!, dachte ich. Hatte ich vielleicht irgendjemandem etwas zu Leide getan?
Als ich meine Gedanken wieder etwas besser bei mir hatte, ging ich in den Flur zum Telefon. Zum Glück war es noch angeschlossen.
Ich rief die Polizei an, um Anzeige zu erstatten. Und da ein Zusammenhang mit dem Mord an Jürgen Lammers mehr als nahe lag, würde ich mit tödlicher Sicherheit wieder an Rehfeld und seine Bande geraten.
Es ließ sich leider nicht vermeiden. Ich hatte einfach keine andere Wahl. Denn wenn ich die Sache nicht meldete, stand ich noch schlechter da.
Die Polizei wollte jemanden zur Beweisaufnahme schicken. Ich hoffte, dass das nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, und rief vorsorglich auch gleich einen Schlüsseldienst an, denn das Schloss in meiner Wohnungstür konnte ich wohl vergessen. Da hatte jemand ganze Arbeit geleistet.
Einstweilen nahm ich dann den Inhalt meiner Plastiktüte und begann, mir etwas zu kochen.
Ich hatte einen Mordshunger. Und in der Küche schien mir die Gefahr noch am geringsten zu sein, dass ich irgendwelche Beweise oder Spuren vernichtete.
Ich schüttete den Inhalt einer Dose Nasi Goreng in die Pfanne und ließ ein Ei darüber zerlaufen.
Dann aß ich in aller Ruhe, ohne mich dabei mehr als gewöhnlich zu beeilen, und wunderte mich nur, dass noch immer niemand eingetroffen war. Als ich fertig war, klingelte schließlich jemand an meiner Tür.
Wer immer es auch sein mochte, er war zumindest in dieser Beziehung höflicher als der vorhergehende Gast.
Ich hatte mit einem Polizisten gerechnet, aber es war der Mann vom Schlüsseldienst.
"Na, da sieht man ja gleich, was zu tun ist!", meinte er, wollte schon seinen Koffer mit dem Werkzeug öffnen, da versuchte ich ihm vorsichtig klarzumachen, dass er noch nicht dran war, sondern auf die Polizei warten müsse.
Er war sauer. Stocksauer.
Und ich konnte ihn nur zu gut verstehen, schließlich war für Leute wie ihn Zeit Geld.
"Wissen Sie, dass ich eigentlich schon seit einer halben Stunde Feierabend habe?", schnaubte er verdrossen und fuhr sich mit der Hand über die braungebrannte Meister-Proper-Glatze, in der sich das Licht spiegelte, so als habe er sie frisch poliert.
"Das tut mir Leid, die Polizei sollte eigentlich schon längst hier gewesen sein!"
"Diese Brüder sind ja auch Beamte!", zischte er dann und verzog dabei den Mund, als sei das etwas sehr Unanständiges. "Für die ist es völlig gleichgültig, wie viele Einbrüche die am Tag bearbeiten, aber ich bin selbstständig! Ich kann auf meinem Girokonto sehen, wie viele Schlösser ich ausgewechselt habe!"
Ich bot ihm eine Tasse Kaffee an, die ich allerdings erst noch aufbrühen musste.
Er nahm knurrend an.
22
Es dauerte noch eine Weile, bis sich jemand von der Polizei zeigte. Schließlich konnte der völlig genervte Schlüsselmann dann aber doch noch sein Werk in Angriff nehmen und mir ein schönes, neues Schloss anbringen.
Ich schlug ihm vor, er solle mir die zusätzliche Zeit auf die Rechnung schreiben.
"Das hätte ich sowieso getan!", grunzte er mich daraufhin unfreundlich an.
Der Schlüsselmann war gerade fertig, da tauchte dann sogar noch Rehfeld persönlich auf.
Ich schenkte ihm ein müdes Lächeln. "Sie haben mir heute zu meinem Glück gerade noch gefehlt!"
Aber heute schien Rehfeld einen schlechten Tag zu haben. Jedenfalls verstand er keinen Spaß. Sein Gesicht war eine einzige Leichenbittermine, und ich fragte mich, welche Laus ihm wohl über die Leber gelaufen sein mochte.
Seine Nasenflügel bebten etwas, als er sich vor mir aufbaute und seine Hose hochzog. Sie würde bald wieder hinuntergerutscht sein. An der strammen, runden Kugel, die er vor sich her trug, konnte sie einfach nicht den rechten Halt finden. Wahrscheinlich wären Hosenträger für ihn eine Lösung gewesen.
Er blickte mir finster ins Gesicht, und ich ahnte schon, dass jetzt irgendetwas folgen werde, das mir nicht gefallen würde.
"Wo waren Sie heute Nachmittag?"
"Was soll das?"
Ich war wirklich völlig perplex. Mit allem hatte ich gerechnet, aber ...
"Beantworten Sie meine Frage!" Er grinste höhnisch. "Oder wollen Sie vorher vielleicht lieber einen Anwalt sprechen?"
"Ich verstehe nicht ..."
"Gut, Sie wollen auf meine Frage nicht antworten, Hellmer. Nehme ich zur Kenntnis. Einverstanden. Dann stelle ich Ihnen eine neue. Wann haben Sie Annette Friedrichs zum letzten Mal gesehen?"
"Vor ..." Ich schaute auf die Uhr. "Vor etwa anderthalb Stunden. Wir hatten uns in der Stadt getroffen."
"Warum?"
"Sie wollte ihre Handtasche wiederhaben. Sie werden ja sicher inzwischen herausgefunden haben, dass es wirklich ihre Handtasche war!"
Er nickte. "Haben wir."
Ich atmete auf. Wenigstens etwas. Aber ich hatte in Wahrheit keinen Anlass zum Aufatmen,