A. F. Morland

Das Krimi All Star Jahrbuch 2020: 7 Romane


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Tag", säuselte eine helle Frauenstimme mit einer solchen Schnelligkeit, dass es schon einigermaßen erstaunlich war, wie sie ihren Text so fehlerfrei herunterleierte und nicht irgendwo auf halber Strecke hängenblieb.

      "Ist bei Ihnen jemand namens Oswald beschäftigt?", fragte ich.

      "Herr Oswald ist im Moment nicht im Hause. Kann ich etwas ausrichten?", säuselte die Stimme.

      "Nein, können Sie nicht."

      "Wie war noch mal Ihr Name? Dann könnte ich eine Notiz hinterlassen?"

      Ich hatte meinen Namen gar nicht genannt, aber meine Gesprächspartnerin schien ihn unbedingt wissen zu wollen. Auf dieselbe Tour versuchen es die Sachbearbeiter der Sozialversicherungen immer, wenn man anruft, um einfach mal unverbindlich eine Auskunft zu bekommen.

      "Kann ich Herrn Schmidt sprechen?", fragte ich.

      Die Antwort war so reserviert, wie ich befürchtet hatte. "Was wollen Sie denn von Herrn Schmidt?"

      "Das muss ich ihm schon selbst sagen."

      "Hören Sie, guter Mann: Herr Schmidt ist sehr beschäftigt und ..."

      "Ist ja schon gut!", meinte ich und legte einfach auf. Die Geschichte von dem stiernackigen Blondschopf schien zu stimmen. Er war wohl wirklich Angestellter einer Privatdetektei. Nur hätte ich zu gern gewusst, in wessen Auftrag er hinter mir her gewesen war.

      Ich nahm mir vor, dem Laden mal einen Besuch abzustatten. Vielleicht gelang es mir ja sogar, Mister Raimund Schmidt himself zu erwischen, wobei ich nur hoffen konnte, dass er umgänglicher war als seine Handlanger.

      Und noch ein anderer Besuch stand auf meiner Liste. Ich wollte mich mit der Freundin unterhalten, bei der Annette zuletzt gewohnt hatte. Vielleicht hatte die das Telefonat zwischen Annette und mir mitgekriegt, doch daran glaubte ich schon deswegen nicht, weil Annette mich nie Mike genannt hatte.

      Aber es gab ja schließlich Leute, die wirklich Mike hießen und sich nicht nur so nannten, wie ich.

      Die Story, die Rehfeld mir unter die Nase gerieben hatte, war gar nicht so dumm, wurde mir bei weiterem Nachdenken klar. Er machte nur den schwerwiegenden Fehler, mir darin die falsche Rolle zuzuweisen. Aber zumindest etwas konnte dran sein.

      Einen kurzen Gedanken verschwendete ich noch an Jake McCord und die Probleme, die er mit ein paar gnadenlosen Wölfen hatte, die natürlich allesamt Zweibeiner waren. Aber der Gedanke war wirklich nur ganz kurz und auch nicht besonders ergiebig.

      Ich musste mit dem Roman fertig werden, sagte die eine Hälfte von mir. Aber die andere wusste, dass ich im Moment keine vernünftige Zeile zustande bringen würde. Ich brauchte es gar nicht erst zu versuchen.

      Ich musste diese Sache wohl schon deswegen möglichst schnell aufklären, damit ich mich bald wieder auf meinen Job konzentrieren und Geld verdienen konnte!

      Wenn es sich um eine Erpressergeschichte handelte, dann war es bislang eine ohne Opfer, und so etwas gibt es nicht einmal in MEGAschlechten Romanen ...

      Wenn das Opfer gefunden war, löste sich der ganze Knäuel vielleicht von selbst auf.

      Ich rieb mir die Schläfen. Logisch vorgehen, Cowboy!, hämmerte ich mir ein. Was muss ein Erpressungsopfer an Eigenschaften mitbringen? Erstens: eine Sünde, von der niemand etwas wissen darf.

      Und zweitens?

      Geld ...

      Arme Leute werden nicht erpresst, je ärmer, desto seltener. Lohnt sich einfach nicht.

      Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

      Ich dachte an den filzlockigen Hartmut Werneck, den Sohn unseres OB, der nach dem Mord in der Nähe des Tatorts herumgelungert und sich so merkwürdig benommen hatte ...

      Hartmut brachte alle Eigenschaften mit. Er hatte zwar selbst kein Geld, dafür aber unbegrenzten Zugang zur Geldbörse seines Vaters, und das war genauso gut.

      Außerdem steckte Hartmut offenbar in Schwierigkeiten, wenn man danach ging, was ich aus dem Gespräch mit Dr. Werneck aufgeschnappt hatte.

      Vielleicht nahm er Drogen oder daddelte zuviel an den Automaten in den Spielhallen herum und hatte sich dafür bei Leuten Geld geliehen, die beim Eintreiben ihrer Schulden nicht sehr zimperlich waren.

      Und wie passten Annette Friedrichs und Lammers da hinein?

      Hartmuts merkwürdigem Auftritt am Tatort nach musste es da irgendeine Verbindung geben, zumindest was Jürgen Lammers anbetraf, nur hatte ich noch keine Ahnung, welche.

      Für die Schritte, die ich zwei Stunden vor dem Stromausfall im Treppenhaus gehört hatte, konnte auch Hartmut verantwortlich gewesen sein − eventuell zusammen mit einem Komplizen. Er wäre nicht der erste Mörder gewesen, den es kurz nach der Tat zum Tatort zurückgetrieben hatte. Zumindest hatte ihn das Ganze sichtlich aufgewühlt. Er war in einer Ausnahmesituation gewesen. Einen Versuch war diese Spur in meiner verzwickten Lage jedenfalls wert, fand ich. Ich musste jetzt allem nachgehen. Nur so ein bisschen in der Sache herumzustochern genügte nicht, um zu verhindern, dass Rehfeld mir seelenruhig nach und nach eine Indizienschlinge um den Hals legte.

      Ich schaute ins Telefonbuch, aber Hartmut Werneck stand nicht drin.

      Irgendwie hatte ich kaum etwas anderes erwartet.

      Nur die Nummer seines Vaters stand dort, und so wählte ich nach kurzem Zögern erst einmal die.

      "Hier bei Dr. Werneck", meldete sich eine ziemlich junge Frauenstimme. Eine Haushaltshilfe wahrscheinlich. Der Chef des Hauses war wohl noch nicht zu Hause. Und wenn er nicht auf irgendeiner wichtigen Sitzung seinen Stuhl wärmte, gab es mit Sicherheit irgendwo in Münster einen 75. oder 90. oder 102. Geburtstag, auf dem er pflichtgemäß sein Schnapsglas zu heben hatte.

      "Herr Dr. Werneck ist leider nicht da, kann ich etwas ausrichten?", fragte die Frauenstimme.

      "Ich hätte gerne den jungen Herrn Werneck gesprochen", sagte ich. "Hartmut."

      "Der? Der wohnt aber nicht hier."

      Ich holte tief Luft und steigerte mich in eine Rolle als Lügenbaron hinein.

      "Tja, ich dachte, er wohnt vielleicht noch zu Hause oder dass man mir dort wenigstens weiterhelfen könnte. Sie müssen wissen, ich bin nämlich ein alter Freund von ihm. Aber ich bin drei Jahre in den USA gewesen, und da haben wir uns ein bisschen aus den Augen verloren."

      "Nee, der Hartmut ist hier ausgezogen, kurz nachdem ich die Stelle als Haushaltshilfe hier angenommen habe. Da ist schon ein paar Jahre her."

      "Sie wissen nicht, wo er wohnt?"

      "Ich? Nein. Tut mir Leid."

      "Vielleicht könnten Sie mal nachschauen, ob Sie nicht Hartmuts Adresse finden können. Es wäre sehr wichtig."

      "Hören Sie, vielleicht rufen Sie später noch mal an, Herr ..."

      "Später? Ich bin nur kurz hier und fliege dann wieder weiter. Und da würde ich Hartmut halt gerne Guten Tag sagen. Naja, schön wär's gewesen!" Und in die letzten paar Worte legte ich soviel Mitleid erregendes Bedauern, wie ich nur konnte. "Wissen Sie, Hartmut und ich, wir haben uns immer sehr nahe gestanden."

      "Ich verstehe schon", murmelte die Frauenstimme auf der anderen Seite der Leitung, und ich konnte förmlich spüren, wie die gute Frau mit sich rang. Sollte sie nun im Telefonregister ihres Herrn und Meisters nachsehen oder nicht?

      Ich hörte sie blättern. Innerlich jubelte ich. Tor! Eins zu null für mich!

      "Eine Adresse habe ich hier nicht", erklärte sie mir. "Aber eine Telefonnummer."

      "Na, das ist doch schon etwas!"

      Sie gab sie mir durch, und ich bedankte mich.

      Es war eine Münsteraner Nummer.

      Ich wählte sie.

      Auf der anderen Seite meldete sich eine verschlafene