ja alle im Moment echt sauer auf ihn", meinte sie, während sie sich streckte, so als sei sie gerade aus dem Bett gestiegen.
"Wieso?"
"Weil er seit zwei Monaten nicht mehr seinen Anteil zur Miete gezahlt hat. Und dann hat er sich einfach verdrückt und vorher unsere Haushaltskasse geplündert. Es hat uns echt betroffen gemacht, wie jemand so fies sein kann ... Wir haben ihm ja schließlich vertraut."
"Seit wann ist er weg?"
"Drei Tage."
"Du hast keine Ahnung, wohin?"
"Nein. Meinst du, ihm ist was passiert? Ich meine, ab und zu bleibt er schon mal 'ne Nacht weg, und ich bin ja keine Anstandsoma, die hinter ihm her spioniert."
"Könnte sein, dass ihm was passiert ist."
"Echt?"
"Ich sagte doch, dass er Schwierigkeiten hat."
Sie runzelte ein wenig ihre bleiche Stirn. "Wer bist du?", fragte sie.
"Ich heiße Michael."
"Ich bin die Nele. Kennst du Hartmut vom Studium?"
"Ja", log ich.
Ich hatte einige Semester Germanistik hinter mir, und das reichte immerhin, um meinem Gegenüber die Mensa von innen beschreiben zu können.
"Dann weißt du ja sicher, dass es schon eine Ewigkeit her ist, seit Hartmut in einer Vorlesung war", erklärte sie. "Aber Diplompädagogik ist ja auch ein Studiengang für Bescheuerte."
"Ach, ja?"
"Echt. Ein Studium ohne Job. Entweder man studiert Lehramtsstudiengänge, dann wird man logischerweise Lehrer; oder Sozialpädagogik, dann wird man Sozialarbeiter. Aber wenn man ein Diplom in Pädagogik macht, wird man buchstäblich gar nichts." Sie zuckte die schmalen Schultern und stellte endlich ihre Tasse ab. "Als man den Studiengang erfunden hat, hat man einfach vergessen, einen Job dazu zu erfinden."
"Hartmut hat das nicht gestört."
"Ich glaube, er will das gar nicht."
"Was will er nicht?"
"Einen Abschluss machen, einen Job bekommen." Sie zögerte ein wenig, bevor sie weiter sprach. Ihr Blick war in sich gekehrt, als sie den Kopf drehte und hinzufügte: "... und erwachsen werden. Das hängt wohl auch mit seinem Alten zusammen."
"Unserem OB."
"Ja." Sie nickte, aber leider sprach sie nicht weiter und verriet mir nicht, wie sie das meinte. Immerhin schien sie die Tatsache, dass ich wusste, wer Hartmuts Vater war, als eine Art Bestätigung dafür zu akzeptieren, dass ich ihn wirklich kannte, sein Freund war und ihm helfen wollte.
Für den Roman, den ich da erfand, wurde ich noch nicht einmal bezahlt.
"Vor ein paar Tagen habe ich die beiden noch zusammen gesehen", sagte ich, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
"Echt?"
"Ja."
"Er hasst seinen Alten wie die Pest. Er konnte noch nicht einmal ertragen, ein Bild von ihm in der Zeitung zu sehen."
"Ich weiß. Aber sie haben sich getroffen, ich habe sie zufällig gesehen."
"Hat wahrscheinlich einen ziemlichen Zank gegeben, was?"
"Und fünftausend Euro."
"Was?"
Das hatte sie wohl betroffen gemacht. Echt betroffen, um genau zu sein. Jedenfalls stierte sie mich ziemlich ungläubig an. "Du meinst, sein Alter hat ihm einfach so fünftausend Eier gegeben, und hier zahlt er nich mal seinen Anteil?"
"Hast du eine Ahnung, wozu er das Geld gebraucht hat?"
"Was weiß ich! Um zu kiffen, vielleicht."
"Hat er denn?"
"Sicher hat er."
"Hat er an der Nadel gehangen?"
"Nicht, dass ich wüsste. Aber wenn du mich so fragst: So genau weiß ich das nicht. Das würde natürlich einiges erklären."
"Was, zum Beispiel?"
"Dass er nie Geld hatte. Dass er manchmal so komisch war. Er hat tagelang im Bett gelegen und niemanden in sein Zimmer gelassen."
"Kann es sein, dass er von jemandem erpresst wurde?"
"Wie kommst du darauf?"
"Ist doch egal, oder? Nur eine Vermutung!"
Nele atmete tief durch. "Wenn du sagst, dass er bei seinem Vater war, um ihn um Geld anzuhauen ... Das muss ihn eine ziemlich große Überwindung gekostet haben. Sein Alter hat hier oft angerufen. Hartmut ließ sich aber immer verleugnen. Er wollte einfach nichts mit ihm zu tun haben."
Jake McCord warf einen kühlen Blick auf die junge Frau.
Das Gespräch drehte sich im Kreis, und McCords untrüglicher Instinkt sagte ihm, dass er jetzt endlich zur Sache kommen musste.
"Kann ich mal sein Zimmer sehen?", fragte ich. "Vielleicht kommen wir so weiter."
Sie überlegte kurz und nickte. "Klar."
Sie ging voran und fragte dabei: "Warum sollte jemand Hartmut erpressen?"
"Weil er Geld hat!"
"Er hatte nie welches."
"Er kann aber jederzeit welches bekommen. Von seinem Daddy. Und das ist genauso gut."
Das schien sie zu kapieren.
Wir gingen an einer offen Tür vorbei. Ich warf einen Blick hinein und sah einen Mann ausgestreckt auf einer Couch liegen und vor sich hin schnarchen.
"Weiß der was über Hartmut?"
"Ich glaube, für die nächsten vierundzwanzig Stunden weiß der nich mal mehr seinen Namen. Echt!"
Was den Kerl so fertiggemacht hatte, verriet sie mir allerdings nicht.
Hartmuts Zimmer glich einer Räuberhöhle. Hätte es hier ein Klo gegeben, dann wäre der Eindruck einer Knastzelle, wie man sie aus schlechten Filmen kennt, komplett gewesen.
Es stand fast nichts im Raum. Nur eine Matratze und eine Stereoanlage. Und an der Stereoanlage fehlten die Boxen. Im ganzen Raum lagen Kleidungsstücke verstreut, die man ziemlich lange nicht gewaschen hatte.
In einer Ecke stand ein gutes Dutzend leerer Flaschen. Alles harte Sachen.
Kein Wunder, dass Hartmuts Teint zu wünschen übrig ließ.
"Ich mach mir doch jetzt echt Sorgen ..." hörte ich das bleiche Geschöpf namens Nele sagen.
Reichlich spät, dachte ich. Drei Tage waren eine lange Zeit.
Ich schaute ein bisschen herum. Hinter der Stereoanlage stand ein kleiner Stapel Bücher, alle mit der Signatur der Uni-Bibliothek. In eins schaute ich hinein. Vor einem halben Jahr hätte er sie abgeben müssen.
"Er war immer so depressiv", fuhr Nele indessen fort.
"Ja, war er", murmelte ich. "Richtig verzweifelt."
"Glaubst du, er könnte ..."
"Was?"
"Na, sich umgebracht haben!"
"Was weiß ich!"
"Er hat einen Selbstmordversuch hinter sich. Hat er jedenfalls erzählt. Aber das liegt schon länger zurück, und er war deswegen auch in Behandlung."
"Umso wichtiger, ihn zu finden", knurrte ich.
Es konnte nicht schaden, ihr Echt-betroffen-Sein noch ein bisschen anzuheizen. Umso bereitwilliger würde sie mir helfen.
Ich stöberte noch etwas in den Büchern herum. Es war Instinkt, keine Logik, die mich dazu veranlasste. Und dann fiel