erstaunlich skrupellos. Als es während des Ersten Weltkriegs die Gelegenheit gab, anthropologische Messungen an Kriegsgefangenen vorzunehmen, zögerte Luschan als Professor keine Sekunde und sandte seine Mitarbeiter aus. Es bleibt unklar, ob er an diesen Forschungen aktiv beteiligt war, doch seine Untergebenen vermaßen ohne Skrupel die außereuropäischen Personen, die als Soldaten für Frankreich und England kämpften.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die »Völkerkundler« immer extremer. Otto Kümmel, der ab 1923 das Museum für Ostasiatische Kunst (heutiger Martin-Gropius-Bau) leitete und ab 1934 den Preußischen Museen insgesamt vorstand, war glühender Anhänger des Nationalsozialismus. 1940 erstellte er im Auftrag des Reichskanzleichefs, des SS-Manns Hans-Heinrich Lammers, und des Propagandaministers Joseph Goebbels ein über dreihundert Seiten langes Gutachten über »Kunstwerke und geschichtlich bedeutsame Gegenstände, die seit 1500 ohne unseren Willen oder auf Grund zweifelhafter Rechtsgeschäfte in ausländischen Besitz gelangt sind«. Bei dieser Liste von angeblich entwendetem »arischem« Kulturgut handelte es sich de facto um eine Liste von zu plündernden Gegenständen.
Und selbstverständlich hatten die Auffassungen und Tätigkeiten solcher Personen einen Einfluss auf die Sammlung. 1935 gründete der Afrikanist Hermann Bauman als Kurator des »Museums für Völkerkunde« eine Abteilung »Eurasien« (im Übrigen trotz seiner ganz anders gelagerten Expertise). Diese Abteilung stand in Verbindung mit dem deutschen »Drang nach Osten«, also mit den Kolonialansprüchen des Deutschen Reiches etwa in Bezug auf Polen, das Baltikum und Teile der damaligen Sowjetunion – darum wird es im dritten Kapitel gehen. Baumann war bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten Parteimitglied geworden und Mitglied im »Kampfbund für deutsche Kultur«, einer Organisation, die vom NS-Chefideologen und späteren »Reichsminister für die besetzten Ostgebiete« Alfred Rosenberg geführt wurde.
Diese eurasische Sammlung wurde in den 1990er Jahren ins »Museum Europäischer Kulturen« integriert. Dessen Sammlung basiert zudem auf dem ebenfalls 1935 gegründeten »Museum für deutsche Volkskunde«, das in die NS-Ideologie eingelassen war. Im Führer des »Ethnologischen Museums« von 2003 wird der Name Hermann Baumann völlig neutral erwähnt, und ebenso neutral wirkt auf der Homepage zur »Geschichte des Museums Europäischer Kulturen« der Gründungskontext der Sammlung. Wer mehr erfahren will, muss auf die recht kostspielige Publikation Zwischen Politik und Kunst: Die Staatlichen Museen zu Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus von 2013 zurückgreifen. Baumann wechselte im Übrigen 1939 an die Universität Wien und beteiligte sich 1943 an der Arbeitsgruppe »Koloniale Völkerkunde« der »Kolonialwissenschaftlichen Abteilung« des Reichsforschungsrates. Wie so viele andere Ethnologen überlebte er die Entnazifizierung schadlos. 1951 lehrte er wieder, zunächst in Mainz und dann in München. Die ersten beiden Nachkriegsdirektoren des »Museums für Völkerkunde« stammten ebenfalls aus dem Umfeld einer ethnologischen Forschung, die dem Nationalsozialismus zugearbeitet hat.
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