mit den Exponaten bereichern.« Nun wirkt es schon befremdlich, wenn Parzinger und auch Viola König, die damalige Leiterin des Ethnologischen Museums in Berlin, im Kulturausschuss 2013 fortwährend von »Indianern« sprechen. Die Bezeichnung »Indianer« ist ja keine Selbstbezeichnung, sondern eine der Europäer, und dazu noch eine absurde, denn der Begriff leitet sich von jenem Indien an, zu dem Kolumbus sich aufgemacht hatte. In den USA hat sich der Begriff »Native Americans« durchgesetzt. Und warum sollten die »Indianer« eigentlich damit zufrieden sein, »uns« zu bereichern, obwohl die Objekte von ihren Vorfahren geschaffen wurden? Und wie kommen »sie« nach Berlin, wenn sie die kulturellen Hervorbringungen der Vorfahren betrachten möchten?
Große Entdecker im Humboldt-Forum
Kann überhaupt ein Dialog stattfinden, wenn die zutiefst antidialogische Geschichte von »Entdeckung«, Sklaverei, Kolonialismus, also die Geschichte des Rassismus nicht reflektiert wird? Und wer ist eigentlich heute in Deutschland dieses »wir«, dem Alexander von Humboldt angeblich etwas nahegebracht hat? In einem Malbuch mit dem Titel »Komm mit in die Wunderwelten. Eine Entdeckungsreise zum zukünftigen Humboldt-Forum« aus dem Jahr 2009 wird den lesenden Kindern unverhohlen die Position der europäischen (männlichen) Besitzergreifung angeboten: »In diesem Buch kannst Du auf den Spuren großer Naturforscher, Entdecker und Sammler um die ganze Welt reisen und viele interessante Orte und Dinge erkunden. In der Vergangenheit haben wissbegierige, mutige Menschen gefährliche Reisen in ferne Länder unternommen, um andere Menschen und ihre Kultur kennenzulernen. Sie haben auf diesen Reisen beeindruckende Objekte und Kunstwerke gesammelt und diese mit nach Berlin gebracht.«
Die »Naturforscher, Entdecker und Sammler« erscheinen vollkommen unschuldig – sie bleiben »groß«, »mutig«, Identifikationsfiguren, es gibt weder ein Problem mit der Legitimität der »Reisen in ferne Länder« noch mit der Anwesenheit der Objekte in Berlin. Die Kritik entzündete sich vor allem am afrikanischen Teil der ethnologischen Sammlung, der fast ausschließlich in der Kolonialperiode erworben wurde. Dazu hatten sich die erwähnten Nachfahren zu Wort gemeldet, schwarze Menschen in Deutschland, und ihren eigenen »Perspektivwechsel« organisiert. Der fiel nicht positiv aus. Nachdem die Initiative »No Humboldt 21!« mit namhaften Forschenden viele Aspekten des Forums untersucht hatte, forderte sie zu Recht ein Moratorium für das Projekt. Die Frage, wie Dinge, die in Berliner Museen gehortet werden, eigentlich in eine deutsche Metropole gekommen sind, liegt an vielen Orten regelrecht auf der Hand. Kurz nachdem 2015 viele Geflüchtete aus Syrien nach Deutschland eingewandert waren, hatte das »Museum für islamische Kunst« auf der Museumsinsel ein Projekt namens »Multaka« ins Leben gerufen, in dem Geflüchtete anderen Geflüchteten das Museum erklärten. Im Rahmen dieser Führung, so war in der Berliner Zeitung zu lesen, hätten viele gefragt, warum und seit wann all diese Dinge in Berlin wären. Muss diese Frage nicht absolut ernst genommen werden? War es immer noch möglich, sich auf einen Unterschied zwischen imperialer oder kolonialer Aneignung auf der einen Seite und Entdeckung, Reisen, Forschung auf der anderen zu berufen?
Heute muss die Legitimität von Aufbewahrungsorten zweifellos begründet werden, wenn dort Objekte aus »fremden« Ländern residieren. Überall in den europäischen Ländern sind in den letzten Jahren erneut Forderungen nach Rückgabe von Objekten an die ehemals kolonisierten Länder laut geworden – diese Debatte existiert aber schon seit Jahrzehnten. Noch 2013 prallten alle Probleme an den Verantwortlichen des Humboldt-Forums ab. Was Hermann Parzinger zu diesem Zeitpunkt im Kulturausschuss zur Herkunft und zum Kontext der Akquise von Objekten äußerte, erwies sich als Mischung aus Ahnungslosigkeit, Behauptungen und Formen von wohlwollender Kolonialität. Quittungen habe man natürlich nicht immer, meinte der Präsident des »Preußischen Kulturbesitzes«, aber »da gibt es Einträge im Inventarbuch, so stelle ich es mir vor«. Wissen tat er es offenbar nicht. Er dekretierte einfach, »dass die Dinge wirklich rechtmäßig nach Berlin gekommen« seien.
Ansonsten bemühte er – ohne es zu bemerken – ein eingeübtes Argument in Sachen Restitution. Er sei in Vanuatu gewesen, einer Inselrepublik im Pazifik, erklärte er, deren Sammlungen gerade mal ein paar Jahrzehnte alt seien. »Die haben gesagt: Gott sei Dank habt ihr in Europa das gesammelt! – Und dann hat er mir erklärt, wie das bei denen eigentlich läuft. Die stellen die Kunstwerke her. Das sind ja keine Kunstwerke, das sind sie nur für uns, sondern das sind Ritualobjekte. Die stehen da irgendwo im Regenwald, fangen von unten – feuchtes Biotop – zu faulen an, und wenn sie umkippen, werden die wirklich entsorgt, und man macht sich neue.« Die Aufbewahrung von Objekten in Europa gewinnt also ihre Rechtmäßigkeit daraus, dass »die« offenbar nicht in der Lage sind, für die Objekte entsprechend Sorge zu tragen, was »die« sogar selbst zugeben.
Das könnte als verspäteter »Elginismus« bezeichnet werden, aber auch mit Lord Elgin und seiner Geschichte schien der Archäologe Parzinger nicht vertraut zu sein.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte der Philhellene Thomas Bruce, 7. Earl of Elgin durch Fürsprechen, Druck und Bestechung die Erlaubnis erhalten, auf der Akropolis in Athen Ausgrabungen vorzunehmen, einer Akropolis, die damals als Heerlager der Osmanischen Armee diente. Zehn Jahre lang lösten die Mitarbeiter Elgins die wertvollsten Verzierungen und Skulpturen des Phidias aus dem Parthenon und schickten sie nach England – mit höchster Wahrscheinlichkeit unrechtmäßig, denn Elgin konnte die Erlaubnis zum Abtransport (den »Firman« des Sultans) nie im Original beibringen. Auf der Insel angekommen, gelangten sie durch Verkauf ins Britische Museum. Die Ansprüche auf Rückgabe durch das unabhängig gewordene Griechenland werden bis heute mit Argumenten abgewiegelt, die selbst moderate Forscher wie der Anglist William St. Clair als imperialistisch bezeichnen: »Wir« hatten das Recht, »wir« mussten das Erbe retten vor Chaos und Barbarentum, »wir« können das Erbe besser betreuen.
Eigentlich handelt es sich ohnehin um »unser« Erbe, um »unsere« Vorgeschichte, egal an welchem Ort diese Objekte geschaffen wurden. Im 19. Jahrhundert waren Thesen verbreitet, die besagten, die antiken Griechen seien blond und blauäugig gewesen und daher seien die Nordeuropäer die eigentlichen Nachfolger der antiken Kultur. Dieses Denken illustriert etwa die Eingangsszene von Leni Riefenstahls Film Olympia. Da tauchen die weißen Ruinen der Akropolis aus dem Nebel auf, worauf die Statuen der Athleten quasi aufwachen und lebendig werden. Diese Sequenz führt direkt ins Berliner Olympiastadion, wo die Sportler 1936 am Führer vorbeidefilieren. In dieser Erzählung wirken die Neugriechen regelrecht störend. Im Höchstfall könnte es ein »geteiltes Erbe« geben, aber warum sollte man etwas »zurückgeben«?
Stören tat im Übrigen manchmal auch die reale Antike. Die Funde wurden in den Museen der imperialen Hauptstädte Westeuropas manchmal regelrecht »entfärbt«. Zum Zeitpunkt ihrer Errichtung waren die Gebäude der Akropolis nicht etwa weiß, sondern sie leuchteten in mannigfaltigen Farben. Doch obwohl diese Farbigkeit bereits seit dem späten 18. Jahrhundert bekannt war, hielten die Archäologen und Kunsthistoriker, wie William St. Clair betont, einen »Kult des Weißseins« aufrecht. Waren die Stücke nicht weiß genug, so griffen die Restauratoren auch zu härteren Mitteln, um das entsprechende Weiß herzustellen. Als sich in England ein privater Investor anbot, dem British Museum für die von Elgin geraubten Marmorgegenstände eine neue Galerie zu finanzieren, durften seine Mitarbeiter 1937 und 1938 den Objekten mit Meißeln und Scheuermitteln zu Leibe rücken, um sie weißer erscheinen zu lassen, als sie eigentlich waren. Diese »Restaurierung« in einer der zivilisierten Metropolen der westlichen Welt hat mehr Schaden an den Objekten angerichtet als die jahrhundertelange Vernachlässigung.
Vergangenheitsbewältigung im Museum
Der Besitz von bestimmten Objekten ist also zweifellos problematisch. Noch problematischer wird es, wenn es sich um menschliche Überreste handelt, um Schädel oder Gebeine. Doch Viola König, damalige Leiterin der Ethnologischen Sammlungen, fand, dass selbst diese in Berlin besser aufgehoben seien: »Ich habe mich mal mit einer Gruppe australischer Aborigines unterhalten, wie sinnvoll es ist, Human Remains zurückzugeben, und ich habe gesagt: Ihr müsst uns wirklich konkret sagen, was ihr eigentlich mit den Human Remains dann macht. Wenn die nur im Nationalmuseum in Sidney in Kisten liegen bleiben, kann es das nicht sein.« Warum sollten die Überreste von Menschen nicht in Kisten liegen? 2014 nahm eine namibische Delegation, die sich im Auftrag des »National Council of Heritage« in Berlin aufhielt, 21 Schädel in Empfang, die