Alfred Bekker

Liebe und Schicksal im Adelshaus: 6 Romane Sammelband


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mit Personen, die es nicht gibt und lebt manchmal tagelang in ihrer eigenen Welt. Angesichts ihres schweren Schicksals kann man durchaus nachvollziehen, wie es dazu gekommen ist. Aber da ist auch noch etwas anderes..."

      "Was?", hakte Susanne nach.

      "Sie war eifersüchtig. Schon als ich mich mit Lisa verlobte, versuchte sie immer wieder einen Keil zwischen uns zu treiben. Ich glaube, insgeheim hat sie immer gehofft, dass ich mich eines Tages ihr zuwenden würde..."

      6

      In den folgenden Tagen begegneten sich Susanne und Christiane nicht mehr. Nur einmal, an einem späten Nachmittag, als Susanne sich in ihre Suite zurückgezogen hatte, um sich für das bevorstehende Abendessen umzuziehen, sah sie die Komtesse bei einem Blick durchs Fenster. Christiane stand gedankenverloren im Schlosshof, nahe der Kapelle. Sie wirkt beinahe wie eine Statue, dachte Susanne. So regungslos stand sie da.

      Susanne hatte versucht, zu vergessen, was sie gehört hatte.

      Und Wilfrieds Erklärungen, was seine erste Verlobte anging, klangen ja auch durchaus plausibel. Und doch... auch, wenn sie es sich nur schwer eingestehen mochte, so hatte es Christiane doch geschafft, den Keim des Misstrauens in ihr zu säen.

      Wenn wirklich Eifersucht die treibende Kraft bei ihr ist, dann ist das vielleicht genau ihre Absicht gewesen, ging es Susanne durch den Kopf. Ich darf nicht zulassen, dass sie damit Erfolg hat...

      Susanne seufzte, wandte sich vom Fenster ab und dem großen Himmelbett zu, auf das sie ein halbes Dutzend Kleider ausgebreitet hatte. Sie wusste einfach nicht, was sie anziehen sollte, geschweige denn, welchen Schmuck sie dazu anlegen würde.

      Sie hielt sich ein rotes Kleid vor den Körper, trat damit vor die Spiegelwand und betrachtete sich kritisch.

      Vielleicht ein bisschen zu aufgedonnert, ging es ihr durch den Kopf.

      Einerseits wollte sie ihre Garderobe variieren und nicht immer dasselbe anziehen. Andererseits fand sie es aber auch wichtig, Stilsicherheit und eine gewisse, wiedererkennbare Linie in der Auswahl ihrer Sachen zu zeigen.

      Die Spiegelwand wurde durch einen goldenen, mit zahlreichen Verzierungen versehenen Rahmen begrenzt, der dem Betrachter den Eindruck vermittelte, Teil eines gewaltigen Gemäldes zu sein.

      Susanne trat noch etwas näher an den Spiegel heran.

      Plötzlich schob sich mit einem brummenden Geräusch die Spiegelwand ein Stück zur Seite. Dahinter befand sich der Eingang zu einem dunklen Gewölbe.

      Susanne erschrak, dann begriff sie.

      Es musste sich hier um einen jener Geheimgänge handeln, die auf Schloss Eichenbach so zahlreich vorhanden waren.

      Wie erstarrt blieb die junge Frau stehen. Jetzt blickte sie an sich herab und stellte fest, dass die Parkettleiste, auf der sie stand, deutlich dunkler war, als die übrigen...

      Ihr war das zunächst nicht aufgefallen, weil sich dieser Unterschied im Rahmen ganz normaler Farbnuancen bewegte, wie man sie bei Holz immer vorfindet.

      Doch jetzt glaubte sie, vielleicht eine Absicht dahinter entdecken zu können.

      Sie trat von der Parkettplatte herunter.

      Nichts geschah.

      Rasch legte sie das rote Kleid zu den anderen und kehrte zurück zur Spiegelwand.

      Auf der rechten Seite befand sich am Rahmen des Spiegels ein Knauf, der die Form eines Löwenkopfs hatte. Sie ergriff ihn und war überrascht mit welcher Leichtigkeit sich die Geheimtür wieder schließen ließ. Ein Schloss schnappte ein und und danach war es unmöglich, sie durch Druck auf den Knauf wieder zu öffnen.

      Susanne trat erneut auf die dunkle Parkettplatte.

      Wieder öffnete sich die Geheimtür.

      Die Baumeister vergangener Epochen hatten ihr Handwerk schon verstanden. Wer immer in dieser Suite früher auch einmal residiert haben mochte - er hatte offenbar einen schnellen und sicheren Fluchtweg gebraucht. Susanne trat an den Eingang des dunklen Ganges heran. Eine schmale, gewundene Treppe führte in die Tiefe.

      Christianes Worte klangen in Susannes Innerem wider. Ihre düsteren Andeutungen, dass Beweise für Wilfrieds Schuld - wenn überhaupt - nur noch dort unten, in den finsteren Gängen zu finden wären.

      Susanne fühlte, wie die Neugier in ihr aufkeimte.

      Sei keine Närrin, schalt sie sich selbst. Du wirst doch wohl nicht auf Grund des Geredes einer Wahnsinnigen dort hinabsteigen?

      Sie überlegte einen Moment, schwankte innerlich hin und her. Aber dieser Gang übte auf sie eine starke Anziehungskraft aus, und sie war sich gar nicht sicher, ob das wirklich nur mit Christianes düsteren Andeutungen zu tun hatte. Susanne sah auf die Uhr. Bis zum Abendessen hatte sie noch Zeit genug. Und im Moment wusste sie ohnehin nicht, was sie anziehen sollte. Warum also nicht ein bisschen auf Entdeckungsreise gehen und sich umsehen?

      Ich brauche eine Lichtquelle, erkannte Susanne. Sie blickte sich um. Eine Taschenlampe besaß sie nicht. Aber auf einer antiken Kommode befand sich ein kostbarer silberner, dreiarmiger Kerzenleuchter. In einer der oberen Schubladen fand Susanne auch Streichhölzer. Sie entzündete die Kerzen und trat dann durch die Geheimtür. Vorsichtig schritt sie die rutschigen Stufen der Steintreppe hinab, die nach unten führte. Der Schein des Kerzenlichtes flackerte an den massiven Steinwänden.

      Schließlich erreichte sie einen Absatz, von wo eine weitere Treppe hinunterführte.

      Nachdem sie auch diese Stufen hinter sich gebracht hatte, befand sie sich in einem gewölbeartigen Raum. Kühl war es hier unten und eine leichte Gänsehaut überzog Susannes Unterarme.

      Vorsichtig schritt sie den dunklen Gang entlang, der von diesem Raum ausging und sich schließlich teilte.

      Susanne entschied sich für die rechte Abzweigung.

      Vorsichtig ging sie weiter voran.

      Dann spürte sie plötzlich einen kühlen Luftzug. Die Kerzen des Leuchters flackerten auf und erloschen.

      "Nein!", entfuhr es Susanne, und der Pulsschlag raste ihr bis zum Hals.

      Aber es war zu spät.

      Um sie herum war es vollkommen dunkel.

      Susanne tastete vorsichtig an den kalten Steinwänden entlang. Wie dumm ich war, hier hinabzusteigen, ging es ihr durch den Kopf. Jetzt würde es sehr schwer sein, aus diesem Labyrinth wieder zurückzufinden - ohne Licht!

      Susanne konnte nicht die Hand vor Augen sehen.

      Um Hilfe zu rufen hatte keinen Sinn, denn wer konnte sie hier schon hören? Und die Mauern waren so massiv, dass bestimmt kein Ton nach außen drang.

      Angst stieg in Susanne auf, je länger sie in der Dunkelheit umherirrte.

      Zunächst glaubte sie, sich am Verlauf der Wände orientieren zu können. Doch dann wurde sie unsicher. Lief sie überhaupt noch in die richtige Richtung? Hatte sie die richtige Abzweigung genommen oder verirrte sie sich in Wahrheit nur immer tiefer in diesem steinernen Labyrinth. Warum war da keine Treppe, die hinaufführte?

      Susanne zitterte leicht.

      Tränen rannen ihr über das Gesicht.

      Sie hatte inzwischen nicht einmal mehr die leiseste Ahnung, wo sie sich eigentlich befand. Irgendwo, tief unter den Mauern von Schloss Eichenbach, dachte sie. Aber das Schloss war so groß...

      Die Zeit verstrich quälend langsam.

      Was soll ich nur tun?, dachte Susanne. Verzweiflung hatte sie gepackt.

      Sie erreichte eine weitere Abzweigung und tastete sich um die Mauerecke herum.

      Dann sank sie schluchzend zu Boden.

      7

      Susanne