Centino Scrittori

Boccaccio reloaded


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verschlechtert. Ich habe mich noch nie so hilflos und erschöpft gefühlt. Die Zeit vergeht, vier Stunden schon. Ich hoffe, es geschieht ein Wunder und sie halten durch. Ihr Zustand ist im Moment ungefähr gleich schlecht.

      Doch dann kommt auf einmal ein Anruf. Hoffnungsvoll sehe ich auf mein Handy. Es ist Dr. Mathias Schröpt, Chefarzt der Station fünf. Er sagt, ich solle mich zur Intensivstation begeben, er hätte eine Maske für mich. Mir kommen die Tränen und ich bin unfassbar erleichtert. Ich lege auf und möchte mich auf den Weg machen. Doch dann schießen mir meine Gedanken wie spitze Pfeile durch den Kopf: Wem gebe ich die Maske? Beide Kinder sind in lebensbedrohlicher Lage, wen soll ich retten? Mir wird schlecht. Ich dachte, die Beatmungsmaschine sei meine Erlösung, aber nein. Wegen ihr werde ich eine Entscheidung treffen müssen, die mich mein Leben lang quälen wird, wie keine Frage jemals wieder in meinen Leben. Welches der beiden kleinen Kinder, die mich unter Tränen ansehen, werde ich töten müssen? Ich bin entsetzt und irritiert. Was soll ich nun tun? Mir kommen die Tränen, ich kann nicht mehr denken. Ich merke, wie mir schwindelig wird und alles anfängt sich zu drehen. Auf einmal spüre ich kalte Hände, die mich halten. Ich setze mich auf, und schaue verwirrt umher. Ich erkenne Dr. Schröpt. Ich drehe mich um, um sofort nach den kleinen Kindern zu sehen. Ich sehe, dass beide ein Beatmungsgerät aufhaben. Mir fällt ein riesiger Stein vom Herzen. Ich erfahre, dass der Vater vor etwa zehn Minuten reinstürmte, da er es schaffte, seiner Tochter eine Beatmungsmaschine zu besorgen. Als er sah, dass ich ohnmächtig wurde, holte er sofort Dr. Schröpt, welcher sich schon auf dem Weg befand, da er angefangen hatte, sich zu wundern, dass ich die Beatmungsmaschine nicht abholen kam. Wie ich erfuhr, setzte er den beiden Kindern die Beatmungsmaschinen in der letzten Minute auf. Ich fing an zu weinen, doch diesmal aus Freude. Trotz kompletter Verzweiflung und Angst habe ich es mit fremder Hilfe geschafft. Ich bin unfassbar erleichtert. Doch ich weiß, Morgen geht der Albtraum wieder los, denn diese Krise ist noch nicht überwunden.

      (Sophia Lisa Grub)

       Fünfte Geschichte

       Wir alle haben unglaublichen Respekt für ihre Schwester, vor allem in dieser schwierigen Zeit würdigt man die Arbeit von Ärzten und Krankenschwestern umso mehr. Wir sind gerade anscheinend vollkommen in der Stimmungfür Corona-Virus-Geschichten, deshalb erzählt sogleich ein Jugendlicher eine Geschichte, die er von einer Freundin gehört hat.

      Die Melodie meines Lieblingssongs für traurige Momente war das Letzte, was ich hörte, bevor eine wutentbrannte, ca. 65-jährige Frau mich fast umrannte und dabei störte, sorgfältig die Snacks für die nächsten Tage auszusuchen und mich dabei selbst zu bemitleiden, weil ich trotz des anbrechenden Frühlings die nächsten drei Wochen niemanden treffen durfte. Schuld war genau das, was die Frau mit den blond gefärbten Haaren wahrscheinlich dazu veranlasst hatte, sieben Packungen Klopapier zu kaufen; Corona, Covid-19 oder von den ganz Genervten, zu denen ich definitiv gehörte, denn allein schon bei dem Namen bekam ich schlechte Laune, auch gerne C. genannt. Sie gehörte wohl zu der Fraktion, die die Apokalypse vermutete oder Diarrhö bei dem Thema bekam, denn anders war so viel Klopapier definitiv nicht zu rechtfertigen. Es kotzte mich so an, dass die Leute alle nicht verstanden, dass die Supermärkte sicher nicht schließen würden, da nicht die Menschheit ausgerottet werden sollte, sondern lediglich die Verbreitung einer unberechenbaren Krankheit gestoppt werden musste. Die Frau hatte mittlerweile schon einen ganz roten Kopf, weil sie anscheinend mit jemandem stritt, der hinter mir stand. Das konnte ich jedoch nur vermuten, da immer noch irgendein trauriger Song über gebrochene Herzen lautstark in mein Ohr grölte.

      Ich nahm die Kopfhörer raus und wollte der Frau gerade sagen, sie solle sich doch bitte entschuldigen, als mir die Worte im Hals stecken blieben, weil ich mitbekam, dass sie mit ihrem Mann stritt. Die Person hinter mir, die ich mittlerweile als einen Mitte 60 wirkenden Mann identifizieren konnte, sagte gerade: „Bettina, ich habe dir doch gesagt, wir brauchen kein Klopapier und schon gar nicht sieben Packungen. Stell es bitte zurück und nimm maximal eine mit, wenn dich das glücklich macht, aber keine sieben. Andere Leute wollen auch noch etwas. Und schau mal, du hast die junge Dame angerempelt. Entschuldigen Sie bitte meine Frau ist etwas durch den Wind seit… Naja, Sie wissen schon, das Virus.“

      Den letzten Satz hatte er, den ich nun definitiv zu meinem persönlichen Helden des Tages ernannte, mir gewidmet, doch bevor ich etwas erwidern konnte, schaltete sich Bettina wieder ein, die mittlerweile auch am Hals rote Flecken hatte. „Peter, du weißt doch gar nicht was noch alles passieren wird! Wir sind immerhin schon fast in der Risikogruppe und überhaupt, Klopapier kann man ja nie genug haben, wer weiß, wie lange wir noch raus dürfen.“ Diese Aussage war in so vielen Hinsichten nicht korrekt und ziemlich unüberlegt, dass sich meine Laune noch um einige Stockwerke weiter in den Keller bewegte.

      Nach diesen schrillen Worten von Bettina seufzte Peter und wollte gerade noch einmal beruhigend auf seine Frau einreden, als sich ein weiterer Herr in die Runde mischte. Er war ungefähr Mitte 40 und sah aus wie der klassische Familienvater. Er wandte sich an Bettina und sagte: „Gute Frau, ich möchte Ihnen ja nicht zu nahetreten, aber niemand kann so viel Klopapier gebrauchen. Außerdem finde ich es äußerst rücksichtslos, einfach alle der sieben letzten Packungen zu nehmen. Was denken Sie sich denn?“ Während er das sagte, wurde seine Miene immer finsterer und seine Stimme immer aggressiver. Er hatte jedoch trotzdem einen leicht sarkastischen Unterton. Bevor Peter oder Bettina etwas sagen konnten, schnappte der Mann sich zwei der sieben Packungen aus dem Einkaufswagen und rannte in Richtung Kasse. Schade eigentlich. Ich wollte mich gerade geistig mit ihm verbünden und als einen der zivilisierteren Menschen einstufen. Tja, falsch gedacht.

      Bettina stand der Mund offen und auch ich war geschockt über diese Dreistigkeit. Nur Peter war immer noch ziemlich ruhig und lächelte sogar etwas triumphierend, während er sagte: „Tja, das hast du jetzt davon. So, jetzt leg bitte die anderen überflüssigen vier Packungen weg, wir brauchen noch Eier.“ Bettina stand immer noch der Mund offen und sie sah ein bisschen aus wie ein Karpfen, als sie jetzt nach Worten rang und immer wieder den Mund auf und zu klappte. Am Ende entschied sie sich offensichtlich fürs Schweigen, klappte den Mund endgültig zu, legte das Klopapier wieder ins Regal und folgte ihrem Mann, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich sah wahrscheinlich nicht viel weniger aus wie ein Fisch auf dem Trockenen, klappte ebenfalls den Mund zu und machte statt meiner traurigen Playlist jetzt Heavy Metall an, nachdem ich mir die Kopfhörer wieder in die Ohren gesteckt hatte.

      In meinem Korb lagen nun ausreichend Chips, Schokolade und Gummibärchen für die nächsten Tage und außerdem die vergessene Milchflasche, wegen der mich meine Mutter überhaupt erst zum Supermarkt geschickt hatte. Böser Fehler, ihr diesen Gefallen zu tun. Nicht zu viel, um auszusehen als würde ich hamstern, aber auch nicht zu wenig, damit ich nicht am nächsten Tag schon wieder losrennen musste. Dank der ziemlich aggressiven Musik in meinen Ohren hörte ich nicht, warum genau sich die beiden Frauen vor mir an der Kasse stritten, aber ich schätzte Mal, es ging um zu viel oder zu wenig Abstand, und selbst die Frau hinter mir, die eine ganze Palette Mehl aufs Kassenband legte, konnte mich nicht mehr schocken. Das gesamte Dorf befand sich im Ausnahmezustand: Die eine Hälfte drehte komplett durch und die andere Hälfte wurde wahnsinnig, weil sie dauernd mit durchdrehenden Menschen konfrontiert wurden. Was für ein Einkauf. Was für ein Tag. Was für eine Situation.

      Ich entschied mich, noch nicht direkt nach Hause zu gehen, denn auf Grund dessen, dass meine Familie und ich bereits seit sieben Tagen alle aufeinander hockten, konnte ich mir in meinem momentanen Zustand nicht auch noch meine nervigen kleinen Brüder antun, die den gesamten Tag mit Laserschwertern kämpften und rumschrien. Ich hatte sie allerdings selten so laut schreien hören, wie als meine Mutter verkündet hatte, dass wir die nächsten Wochen niemanden treffen durften. Und die beiden schreien viel, oft und sehr laut. Aber ich konnte sie ausnahmsweise mal verstehen, denn nach dieser Nachricht war mir auch zum Schreien zumute gewesen, denn nicht einmal ich konnte mich dem widersetzen, obwohl ich bereits 19 war. Aber dieses Verbot gilt wohl momentan für jede Altersgruppe.

      Als ich so gedankenverloren durch die Straßen des Dorfes ging und regelmäßig entgegenkommenden Spaziergängern auswich, damit der Abstand von zwei Metern eingehalten wurde, kam ich am örtlichen Krankenhaus vorbei und wollte fast vor Freude in die Luft springen, als ich den roten Lockenschopf meiner besten Freundin zwischen den ganzen Pflegern und Pflegerinnen erkannte, die offensichtlich