Kathi Albrecht

Italiener-Wochenende


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keine Sorge, Juli. Ich würde nur mal gerne ganz kurz … “

      Dr. Russo amüsierte sich köstlich. „Ja, ja, ich führe sie da kurz hin, dann können Sie alle sehen, dass es ihm ganz gut geht. Der hat ja keinen Horrortrip. Und eine Krankenschwester ist auch in der Nähe.“

      „Andiamo sopra.“ Dr. Russo legte Enzo eine Hand auf die Schulter und ging mit ihm voran.

      Vero sah Jule an, riss die Augen auf und flüsterte: „Oooh, der ist aber süß, der Onkel Doktor!“

      „Unsere Omi in Wuppertal würde jetzt sagen: Määdsche, wat enne Plüschauge!“

      „Na und? Plüsch kann etwas sehr schön Kuscheliges sein … “

      Nun, er sah nicht schlecht aus, aber Jules Typ war er definitiv nicht. Offenbar allerdings Veros.

      Während Enzo schon hineinlugte, blieb Dr. Russo vor einem Krankenzimmer stehen. „Egal, wie das jetzt da aussieht, es ist okay. Ich habe ihm meinen iPod gegeben und eine entspannte Playlist aufgerufen. Der hört Musik und randaliert hoffentlich nicht herum. Die Polizei wird später noch von ihm wissen wollen, wo er das Zeug gekauft hat. Morgen darf er nach Hause und dann kann er auch schon wieder fast alles essen. Mit dem Autofahren wäre ich bis Sonntag ein bisschen vorsichtig, weil: solange wir die Substanz nicht genau kennen, wissen wir auch nicht wie lange das Zeug wirkt. Aber Enzo kann ihn ja abholen.“

      „Mit der S-Bahn, ja.“

      Dr. Russo guckte skeptisch. „Wieso?“

      „Enzos Auto ist in der Werkstatt.“

      „Seine Kinder?“

      „Alle nicht in München im Moment.“

      Kaum hatte Vero geantwortet, schwante Jule Übles. Nein, nein, nein. Nicht auch noch morgen früh hierher!

      „Also ich habe Dienst bis sechs, aber ich weiß nicht, was an diesem Wochenende alles auf uns zukommt. Wenn da eine Not-OP ist, dann dauert das länger. Könnten Sie wohl …“

      Ja, wir könnten wohl. Ein Taxi rufen, nämlich!

      Aber ein intensiver Blick aus dunklen Augen und Vero nickte willenlos. Und Jule köchelte.

      „Gut, dann wollen wir mal sehen.“ Er öffnete die Tür weiter und ließ sie eintreten.

      Enzo saß auf einem Stuhl direkt neben der Tür, mit Tränen in den Augen. „Arme Junge! Was ich habe gemachte! Ich musste aufpasse besser! Ah!“ Und dann ein Schwall auf Italienisch, vermutlich das gleiche noch mal mit anderen Worten. Jule folgte seinem Blick.

      „Ach du Scheiße!“, entfuhr es ihr.

      Dr. Russo rollte die Augen und kommentierte trocken: „Ja super, Lorenzo. Ganze Arbeit …“

      Lorenzo lag nämlich nicht brav im Bett wie Jule angenommen hatte, sondern er hatte sich bis auf Boxershorts und Kopfhörer ausgezogen, seine Kleider im Raum verteilt wie ein Teenager, dazu Kissen und Decke vom Bett geräumt. Er saß nun im Schneidersitz auf dem am Boden ausgebreiteten Bettlaken und wippte im Takt irgendeiner Musik wild mit dem Kopf.

      „Sieht aus wie ein Yogi in Trance“, befand Veronika.

      „Oder wie auf einem fliegenden Teppich …“, schlug Jule kopfschüttelnd vor.

      „Kommt dem wohl auch ziemlich nahe, wenn es das ist, was ich denke“, orakelte Dr. Russo.

      „Magic-mushroom-Symptom, oder?“, fragte Vero.

      Der Arzt wiegte den Kopf hin und her. Er schien mehr zu wissen als er sagen wollte. „Möglich. Sowas in der Art jedenfalls … Wir haben Blut abgenommen und die Kollegin im Labor schaut sich das gerade genauer an.“

      „Mal ganz ehrlich“, murmelte Jule. „Dieses hyperaktive Gehampel und das Gerenne vorhin, das ist doch typisch Lorenzo. Dafür braucht der doch keine Drogen …“

      Sie bemerkte ein amüsiertes Zucken um Dr. Russos Mund. Er war sichtlich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen und studierte eingehend das Krankenblatt, das er selbst mitgebracht hatte. Dann richtete er sich auf, legte Jule die Hand auf den Arm und sagte lächelnd: „Keine Sorge, er wird ja wieder! Morgen in der Früh, wenn Sie ihn abholen, ist er wieder ganz der Alte und“, er grinste, „dann sind die Pupillen immer noch so schön groß und schwarz …“

      Jule war verwirrt. Was sollte das jetzt?

      „Juli, das ist die Wirkung von dem Zeugs, das der geschluckt hat. Pupillenerweiterung, das hält sich ein bisschen. Kann übrigens ziemlich attraktiv aussehen!“

      Immer noch lächelnd wandte sie sich wieder Dr. Plüschauge zu: „So ein Wochenenddienst zur Wiesn-Zeit ist ja nicht besonders lustig. Hat man da noch Lust, selbst hinzugehen und ein Bier zu trinken?“.

      „Ach, das macht mir nichts aus, ich war schon auf der Wiesn dieses Jahr und wenn ich jetzt noch zwei Nächte Dienst mache, muss ich an Weihnachten nicht ran.“

      „Oh, morgen auch noch mal! Sie Ärmster!“ Vero zerfloss ja förmlich!

      Und Jule ergänzte im Geiste: Ich Ärmste, ich arme Veronika kann Sie morgen früh gar nicht wiedersehen … Was machen wir denn da?

      4

      „Wann bist du eigentlich aufgestanden?“ Jule war noch nicht einmal richtig wach, da stand Vero schon bei ihr in der Küche, war dabei die Kaffeemaschine anzuwerfen – und hatte sogar frische Brötchen mitgebracht! Sensationell. Nur die Aussicht auf Kaffee hatte dafür gesorgt, dass sie nicht direkt wieder ins Bett gestiegen war, nachdem sie ihrer Cousine die Tür geöffnet hatte, sondern sich ohne großen Umweg über das Badezimmer gleich an den Tisch setzte.

      Vero starrte sie an. „Willst du damit etwa sagen, dass du nicht wach geworden bist, als dein Telefon geklingelt hat?“

      „Welches Telefon?“ Jule fingerte nach ihrem Handy.

      „Lautlos?“ Vero zeigt auf den Apparat. „War meine Mutter, deine Tante. Sie hat dann auch noch bei mir angerufen … Schöne Grüße und wir haben die Dirndl-Kleider hängen lassen.“

      „Oh, Mann! Hab ich total vergessen in der Aufregung gestern … “

      „Hab ich ihr auch erzählt, und die Geschichte mit Lorenzo kannte sie noch gar nicht. Sie war einigermaßen verwirrt, hat panisch aufgelegt und wollte erstmal rüber zu Enzo.“

      „Kann dein Vater uns nicht vielleicht die Kleider bringen? Der steht doch immer so früh auf! Wenn wir da erst … Och nee!“

      „Juli, das war ja der Plan, aber der Papa hat die Tasche mit den Dirndln stehen lassen und dafür das Altpapier ins Auto geladen und ist zum Einkaufen gefahren und dann weiter zum Andi. So: Weil ich aber schon mal wach war, bin ich aufgestanden und zum Bäcker gegangen.“

      „Oh, das ist aber lieb.“ Jule setzte sich noch im Schlafanzug an den Tisch und goss Kaffee ein. Sie knabberte gerade genüsslich an einer dick mit Nutella bestrichenen Brötchenhälfte, als das Handy schon wieder klingelte. Wieder Tante Christine. Inzwischen hatte sie mit der halben Nachbarschaft telefoniert und war auf dem neuesten Stand. Das gesamte neu erworbene Wissen gab sie gleich an Jule weiter. Irgendwer hatte übrigens dann auch noch behauptet, ein gewisser Hubert, der im Mai einen Herzinfarkt erlitten hatte und daran gestorben war, der hätte vorher auch so einen Tanz aufgeführt wie Lorenzo gestern. Aber natürlich wollte sich da mal wieder jemand wichtigmachen, fand Christine, und Hubert sei ja schließlich Kettenraucher gewesen und war schon 78 gewesen und überhaupt.

      „Wie geht es Lorenzo eigentlich?“, unterbrach Jule ihre Tante.

      „Ach, Schatz, so genau weiß ich das gar nicht. Ganz gut, glaube ich. Mit Enzo habe ich nur kurz gesprochen. Aber soll ich euch nochmal Danke sagen und er will Lorenzo gerne abholen, aber Wolfgang ist doch jetzt mit dem Auto unterwegs zum Andi, weil unsere kleine Franzi doch … “

      „Enzo hat jetzt also ein Transportproblem?“ fragte sie – nur leicht genervt.