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OH LORD, WON’T YOU BUY ME: A MERGEDES-BENZ
Unzählige Dimensionen existieren, auch wenn wir sie nicht wahrnehmen. Das Quadrat denkt, der Würfel sei nur ein Quadrat.
1 Buch der Wyld Rose, 35
„Angst ist eine Spielkarte, lieber Oliver.“
„Danke, Dïona. Aber was bedeutet das?“
„Schau sie an, die Spielkarte mit dem bösen Monster der Angst. Wiefurchtbar böse es schaut, die Krallen und spitzen Zähne.“
„Sie macht mir Angst, die Spielkarte, Dïona.“
„Ich weiß, Oliver. Aber sie ist nur ein Spielkarte.“
„Schön. Aber was jetzt?“
„Dreh sie um, Oliver.“
„Wozu?“
„Dreh sie bitte um, Oliver.“
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„Und? Was steht auf ihrer Rückseite?“
Ich (kleinlaut): „Vertrauen“.
(Lektion von Dïona, Großmutier Tabak. Bogotá, Kolumbien. März 2019)
Telegraph Road von den Dire Straits war mein Lieblingslied. Es brachte etwas in mir zum Schwingen, das ich nicht zuordnen konnte. Der Verstand zog sich zurück und überließ den Gefühlen das Feld. Der Song veränderte mich und verändert mich noch heute. Zwölf Minuten woanders sein, halb bewusst einer Welt, die jenseits meiner Erfahrung existiert.
Nach Stuttgart würden sie kommen, die Dire Straits. Ich war Mitte Dreißig und hatte zusammen mit zwei Partnern erfolgreich eine Film- und Werbeagentur aufgebaut.
Schwarzer Mercedes, schicke Agenturräume, am Wochenende mit Freunden in die angesagten Restaurants und Clubs.
Allabendliche Gespräche über Business, Kundenstrukturen und„ warst du schon bei dem neuen ltaliener in der Weststadt?!“ Alles prima, oder?
Und endlich würde ich also diese zwölf Minuten Magie live hören, erfahren, in mich hinein vibrieren lassen. Am selben Tag noch einen Industriefilm über Schlagbohrmaschinen drehen (ja, lieber Pegasus, die Ironie ist mir durchaus bewusst). Dann hinüberwechseln in den lang ersehnten Traum! So geht Leben, dachte ich, so muss das sein.
Aber das Leben ist eine Perlenkette, und die Perlen sind deine Entscheidungen…
Als der Kunde spätabends anrief – wir packten gerade zusammen – und auf weiteren Aufnahmen bestand, brach mein Herz und heulte meine Seele. Kunde oder Dire Straits? Hirn oder Herz? Und dann brach etwas in mir entzwei. Denn ich entschied, der finanziellen Autorität zu gehorchen und meinen Traum zu begraben. Die schwarze Linie zog mich weiter, und ich filmte einen Akkuschrauber (die Szene wurde übrigens später gar nicht gebraucht, auch dieser Ironie bin ich mir sehr bewusst).
Bis nachts um elf bohrten wir in Beton und filmten den hero, das Elektrowerkzeug. Die eigentlichen heroes spielten in Stuttgart auf, und Oliver war nicht dabei.
Unsere Agentur gewann Preise und hoch dotierte Pitches.
Wir filmten in St. Tropez und schlürften Champagner auf einer Yacht nach der offiziellen Vorstellung des neuen Maybach vor dem Jet Set. Wir drehten in Südafrika, Nordschweden, auf dem Genfer Autosalon und quer durch die USA. Ich machte – mal wieder – „alles richtig“.
Ach, Dïona, abuelita tabaco: warum habe ich dich damals nicht um Rat gefragt? Aber ich kannte dich ja noch gar nicht. Die Magneten Geld, Sicherheit und soziale Anerkennung zogen die kleine Blechmaus ratternd voran. Und wer war ich schon, die schwarze Linie zu hinterfragen, geschweige denn: aufzugeben?
Ein Hautarzt in Stuttgart bot mir eines Tages an, meinem Heuschnupfen, meiner Allergie gegen das Blühende, mit Spritzen ein Ende zu setzen. Ich willigte freudig ein, und drei Jahre lang kämpfte das Serum gegen die Botschaft, die ich nicht verstehen konnte.
Das Serum gewann, ich konnte im Mai wieder in den Biergarten gehen. Aber der Preis war hoch: Mein Körper tauschte den Heuschnupfen gegen eine Allergie gegen fast alle Obstsorten und alle Nüsse ein.
Hätte mir damals jemand gesagt, dass ein Duteend Jahre später eine Pflanze in einer einzigen Nacht alle diese Allergien aus mir herauslöschen werde, hätte ich unwillig geschnaubt ob der haltlosen, realitätsfernen Behauptung.
Wenn dich etwas stört oder belastet, kämpfst du es nieder, die moderne Medizin und unsere Technologien sind ja dafür da. Und hätte die kleine Maus mit den roten Pfötchen gemuckt, hätte ich sie erfolgreich in Rotwein und spätnächtlichem TV ertränkt.
Ich höre hier in Kolumbien wieder oft das Album The Wall von Pink Floyd. Und verstehe, dass ich in der erfolgreichen Agenturzeit – immerhin über ein Dutzend Jahre - vor allem eins war: comfortably numb.
Betäubt von den Giften, die die schwarze Linie säumen, komfortabel geschütet vor der Wildnis, die das Leben bereithält.
Foto: Nationalpark von Cahuita, Costa Rica
Im Rückblick verteufele ich diese Zeit meines Lebens nicht. Ich tat es anfangs, als ich wieder bei Null angefangen hatte (auch das eine Illusion). „Meine verschwendeten Jahre“ und so. Heute weiß ich, es war wichtig, mich von meinem Herzens-Weg zu entfernen. Der Arm holt, um den Ball möglichst weit zu werfen, zunächst in die „falsche“ Richtung aus, um Schwung zu holen.
Und so holte auch mein Leben aus. Doch als es werfen wollte, klammerte ich mich ans Bekannte und verweigerte die Richtungsänderung. Nagelte den nach hinten ausgestreckten Arm ans Kreuz des Erfolgs und vergaß den kleinen Ball, den ich fest in meiner Hand hielt.
Das kann man tun.
Doch für wie lange?
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