Dewar Adair

Vom Körper zum Überselbst


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Ohne diese zwei wunderbaren Personen wäre dieses Buch nicht möglich gewesen.

      Lehrer zu sein ist für mich ein großes Privileg, beinhaltet aber gleichzeitig eine Pflicht. Dort sind die vielen Lehrer*innen, noch lebendig oder schon verstorben, die einen bislang mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung bereichert und beglückt haben. Und hier sind die eigenen Schüler*innen, denen man sich verpflichtet fühlt und denen man helfen möchte, ihren eigenen Erkenntnisweg zu gehen.

      Ohne Schüler*innen gibt es keine Lehrer, und ohne Lehrer gibt es keine Schüler*innen. Es ist sozusagen ein endloses Kontinuum. Richtig verstanden helfen sie sich gegenseitig.

      Aus diesem Gefühl der Dankbarkeit für die vielen inspirierenden Lehrer*innen einerseits und Schüler*innen andererseits biete ich nun dieses Buch an und wünsche allen viele neue, und vor allem erlebte Erkenntnisse auf ihrem Weg durch dieses Leben.

       EINLEITUNG

      Wie eingangs beschrieben, ist dieses Werk für jene gedacht, die gerade anfangen, sich nicht nur mit der Körperpraxis, sondern auch mit dem historischen und philosophischen Hintergrund des Hatha-Yoga intensiver auseinanderzusetzen.

      Manche, die tiefer in die indische spirituelle Philosophie einsteigen möchten, werden vielleicht ein wenig enttäuscht sein, weil ich diese hier ganz kurz skizziere. Wer sich mehr in diese Richtung informieren möchte, dem kann ich die ausgezeichneten Werke „Die kleine Yoga-Philosophie“, von Anna Trökes, und „The Deeper Dimension of Yoga“ von Georg Feuerstein empfehlen, um nur zwei zu erwähnen.

      Trotzdem ist meine Hoffnung, dass auch diese Leserinnen neue Impulse und Aspekte entdecken, die es ihnen ermöglichen, in ihre körperliche und meditative Praxis noch tiefer einzutauchen.

      Ich habe auch zum großen Teil auf viel Sanskrit bewusst verzichtet, da dies das Lesen unter Umständen erschwert hätte. Außerdem begreife ich Yoga als eine spirituelle Disziplin, die universell ist und sich auch durch Parallelen in unseren Traditionen im Westen beschreiben lässt. Wenn man die Schriften von Hildegard von Bingen oder Meister Eckhart liest, um nur zwei Selbstrealisierte aus unseren eigenen Breitengraden zu nennen, sieht man, dass die Essenz des Yoga sich nicht auf Indien alleine reduzieren lässt.

      Außerdem, wie gerade im Vorwort erwähnt, haben wir im Lebenswerk von Paul Brunton eine fast unerschöpfliche Quelle von spiritueller Weisheit, die das Beste aus Ost und West miteinander verbindet.

      In den kommenden Kapiteln möchte ich eine ungewöhnliche Reise vornehmen: vom Körper zum Überselbst. Wie mit allen Reisen gibt es die Gefahr, dass man unterwegs stehen bleibt. Eventuell ist es dort, wo man gerade ist, zu schön um weiterzureisen; oder die Hindernisse, die man überwinden muss, sind zu schwierig, und man gibt auf; oder man hat ganz einfach den eigenen Weg verloren und ist irgendwo angekommen, wo man gar nicht hinwollte.

      So oder so hat man das große Bild aus den Augen verloren. Damit uns das aber nicht passiert, werde ich immer wieder an den einzelnen Stationen unterwegs an den Grund für unsere Reise erinnern. Die Zitate von Paul Brunton werden uns außerdem begleiten und uns zur Orientierung dienen.

      Die Reise beginnt mit der Frage, was Hatha-Yoga genau ist und welcher Sinn sich für den Menschen des 21. Jahrhunderts dahinter verbergen könnte.

       YOGA ALS ERKENNTNISWEG

       Was genau ist Hatha-Yoga?

      Laut dem Philosophen und Yoga-Historiker Georg Feuerstein, gibt es mindestens 40 Formen des Yoga, 39 davon haben aber nichts mit Körperübungen zu tun. So stellt sich die Frage, was der eigentliche Sinn von der Yogaform, die hauptsächlich aus Körperübungen besteht, nämlich Hatha-Yoga, wirklich ist.

      In einem der klassischen Texte zu Hatha-Yoga, der Hathapradīpikā (manchmal auch Hathayoga Pradīpikā genannt), (datiert ca. 1350 -1550), schreibt der Autor und Yogi Svātmārāma, dass der Körper systematisch vorbereitet wird, indem er durch diverse Techniken (Pranayama, Kriyas, Mudras, Bandhas) gereinigt und vorbereitet wird. Dazu gehören auch Körperhaltungen (sogenannte Asanas). Ziel dieser Asanas ist aber nach Svātmārāma die Vorbereitung auf die Ausübung des Raja-Yoga (der Königsweg).

      Raja-Yoga ist laut Svātmārāma der Weg nach innen durch die Meditation und die Vereinigung mit dem Universellen Geist - aus yogischer Sicht unsere wahre Natur, unser Selbst.

      In den Worten von Svātmārāma:

      „Weder Hatha (Yoga) kann ohne Rajayoga vervollkommnet werden, noch kann Rajayoga erreicht werden, ohne Hatha (Yoga) zu praktizieren. Daher sollte man beide praktizieren, bis das Stadium von Nispatti (erreicht ist).“1

      Er geht noch weiter und sagt:

      „Diejenigen, die keinen Erfolg in Rajayoga anstreben, sind reine Hatha-Praktizierende. Ich halte die Arbeit dieser strebsamen Aspiranten für fruchtlos.“2

      Hatha-Yoga ist also ein spiritueller Weg und reiht sich in die abertausende spirituellen Wegen ein, die die Menschheit in ihrer langen Geschichte entwickelt hat, um sich wieder mit dem Universellen Geist zu vereinen. Er eignet sich insbesondere für Menschen, die Körperbewegung als eine Möglichkeit der Hingabe an den Universellen Geist begreifen und als solches praktizieren wollen.

       Wie zeitgemäß ist Hatha-Yoga?

      Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zwischen Hatha-Yoga als Ausgleichssport und Hatha-Yoga als spirituelle Disziplin unterscheiden.

      In unserer modernen, lauten und hektischen Welt eignet sich Hatha-Yoga ausgezeichnet als ein willkommener Ausgleich. Er hilft, müde Glieder zu straffen, das Herz-Kreislauf-System in Schwung zu bringen, sorgt für Entspannung und Erholung. Für fast jede Person ist inzwischen eine eigene Stilrichtung vorhanden, von Power-Yoga über Kundalini-Yoga bis hin zu Aerial-Yoga. Die Vielfalt des Angebots steigt beinahe täglich.

      Dies hat aber recht wenig mit Hatha-Yoga zu tun, wie es sich über die Jahrhunderte entwickelt hat. Dank neuester Recherchen durch Mark Singleton in seinem Buch, „Yoga Body - The Origins of Modern Posture Practice“, wissen wir, dass es keine ununterbrochene Tradition von den mythischen Anfängen des Hatha-Yoga mit Gorakṣa Nātha und seinem Lehrer Matsyendra Nātha (9. oder 10. Jahrhundert) bis zum heutigen Tag gibt. Ganz im Gegenteil. Hatha-Yoga wurde über die Jahrhunderte immer wieder neuen Einflüssen ausgesetzt und hat sich ständig verändert. Vor allem im 19. und 20. Jahrhundert wurde es sehr stark von der aus den USA und Deutschland nach Indien importierten Fitnesskultur, vom Bodybuilding und von europäischen militärischen Programmen der Körperertüchtigung beeinflusst.

      In den beiden klassischen Texten des Hatha-Yoga, Hathayoga Pradīpikā und Gheraṇḍa Saṁhitā, werden nur 16 bzw. 32 Asanas erwähnt. Die Idee, dass Hatha-Yoga Hunderte, wenn nicht gar Tausende Asanas hatte, ist genauso unschlüssig wie die absurde Behauptung, dass der Sonnengruß (sūryanamaskār) vor Tausenden von Jahren in den vedischen Schriften erwähnt wird. Der Sonnengruß ist laut den Recherchen von Mark Singleton3 eine Erfindung um den Anfang des 20. Jahrhunderts herum durch den Rajah von Aundh, Pratinidhi Pant, der selber passionierter Bodybuilder war. Die allermeisten Asanas, die heutzutage praktiziert werden, sind höchstwahrscheinlich 100 bis 150 Jahre alt und stammen weitest gehend aus einer Verschmelzung mit den oben erwähnten Systemen der Fitness und der Körperertüchtigung.

      Auch wenn der moderne körperorientierte Hatha-Yoga eher eine eklektische Ansammlung von diversen Quellen darstellt, ist er als entspannender und wohltuender Ausgleich zu unserer leistungsorientierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts eindeutig sehr hilfreich.

      Wenn man aber im Hatha-Yoga eine spirituelle Disziplin sucht, steht man vor vielen Fragen. Wie wurde Hatha-Yoga zum Beispiel früher praktiziert? Was genau ist Kundalini, und wie wird sie genau aktiviert? Wieso unterscheiden sich die Schulen in der Anzahl und Ortung der Chakren? Wie wird Pranayama richtig ausgeführt? Diese und ähnlichen Fragen werden wir wahrscheinlich nie richtig beantworten können, da die überlieferten Hatha-yogischen Schriften in einer sehr verschlüsselten und teilweise rätselhaften Sprache verfasst wurden. Sie lassen unzählige Interpretationsmöglichkeiten zu. Außerdem, wie schon erwähnt,