Nachbarländer eine eher restriktive Flüchtlingspolitik verfolgen, bemüht man sich in Deutschland, so hat es den Anschein, in besonderem Maße die Solidarität mit Flüchtlingen und die Bereitschaft, Flüchtlinge zu unterstützen, zur Schau zu stellen.
Der Begriff „Willkommenskultur“ wird weltberühmt.
Das Wort „Kultur“ ist eine Eindeutschung des lateinischen Worts cultura („Bebauung, Bearbeitung, Bestellung, Pflege“), das eine Ableitung vom lateinischen colere („bebauen, pflegen, urbar machen, ausbilden“) darstellt (30).
Unter Kultur versteht man die Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen, charakteristischen geistigen, künstlerischen, sowie gestaltenden Leistungen (31). Oft drückt sich in der Bezeichnung Kultur das jeweils lebendige Selbstverständnis und der Zeitgeist einer Epoche aus.
Das vorherrschende Selbstverständnis zu Beginn der Flüchtlingskrise repräsentiert zweifelsohne der Begriff der Willkommenskultur.
Er bezeichnet zum einen eine positive Einstellung von Bürgern, Politikern, Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Sportvereinen und anderen Institutionen zu Migranten. Zum anderen drückt der Begriff den Wunsch aus, dass Migranten allen Menschen, denen sie begegnen, willkommen sein mögen. Auch bezeichnet das Wort Willkommenskultur die Gesamtheit aller Maßnahmen, durch die eine positive Haltung gegenüber Migranten bei anderen gefördert und dem Gefühl von Migranten, willkommen zu sein, eine Grundlage in der Realität gegeben werden soll.
Neuerdings wird zum besseren Verständnis auch der Begriff Willkommens- und Anerkennungskultur verwendet, der eindeutig Menschen mit einer längeren Aufenthaltsdauer einbezieht (32).
Deutschland befindet sich anno 2015 in einem Gefühlsrausch, in einer Ausnahmesituation. Die vom Staat geforderte und von seinen Bürgern überdeutlich zur Schau gestellte Willkommenskultur führt zu einem regelrechten Hype, zu einem Trend, es ist 'in', Flüchtlinge willkommen zu heißen, man will dazugehören. Das Verhalten der deutschen Bevölkerung erinnert mich auffällig an zwei Ereignisse Anfang dieses Jahrtausends, an denen ich begeistert partizipierte.
„Wir sind Papst“ prangert es am 20.April 2005 auf der Titelseite der Bild-Zeitung. Der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger ist zum katholischen Kirchenoberhaupt gewählt worden und fortan wird aus der deutschen Bevölkerung ein Volk von Papstenthusiasten.
Als der frisch gewählte 'Pappa' im Rahmen des 20ten Weltjugendtages nach Köln kommt, platzt die Stadt aus allen Nähten.
Für viele Pilger und feiernde Papstbegeisterte beginnt der Weltjugendtag schon viel früher. Sie nutzen die Gelegenheit zu einer mehrtägigen Wallfahrt. So ist Köln in diesen Tagen voller 'Papsttouristen', allerorts herrscht eine beseelt-friedliche Stimmung, der man sich kaum entziehen kann.
Zehntausende Pilger strömen am Morgen in die Kölner Innenstadt, als 'Benedetto', wie ihn die Italiener liebevoll nennen, endlich in der Stadt weilt.
Die meist Gläubigen ziehen danach in Scharen zu den Rheinwiesen, wo Benedikt am Nachmittag vom Schiff aus eine Ansprache hält, später zum Dom, wo er am Abend erwartet wird.
Auch ich, vor unserem kollektiven 'Papst-sein' nicht sonderlich interessiert an Vatikan und Kirche, stehe knöcheltief im Rhein, als das Schiff mit Benedikt XVI meinen heutigen Wohnort Köln-Poll passiert und ziehe danach mit nassen Schuhen weiter in die Altstadt, wo der Gottesdienst aus dem Kölner Dom auf riesigen Leinwänden live übertragen wird.
Sogar auf den sogenannten 'Papsthügel' auf dem Marienfeld in Kerpen bei Köln, wo -man fühlt sich an das legendäre Woodstock-Festival erinnert- Zigtausende rund um die kleine Erhebung ihre Zelte aufgeschlagen haben, um den Abschlussgottesdienst anlässlich des Papst-Besuches zu verfolgen, pilgere ich.
Das Medieninteresse deckt sich mit der „Papstmania“ der Bevölkerung in diesen Tagen.
Der WDR berichtet sowohl im Fernsehen als auch im Radio (Weltjugendtagsradio von WDR 5) intensiv vom Geschehen rund um den Weltjugendtag. Die wichtigsten Veranstaltungen werden live in der ARD, im ZDF und bei Phoenix gezeigt, insgesamt beläuft sich die Dauer der Ausstrahlungen auf ca. 120 Stunden. Die Fernsehbilder werden von den internationalen Medien übernommen. Den feierlichen Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld sehen weltweit ca. 250 Millionen Menschen.
Im Zuge des Papstbesuches wird auch ein WebTV Sender eröffnet, der exklusiv über das Geschehen während des Weltjugendtages berichtet und der Verlag DuMont Schauberg verteilt täglich kostenlose Sonderausgaben seines Tabloid-Magazins Kölner Stadt-Anzeiger DIREKT (33).
Ein Jahr später ist Deutschland erneut im kollektiven Rauschzustand. Vier Wochen lang absolutes Hochsommerwetter, die Großstädte überbieten sich mit dem Aufstellen von Großleinwänden, die Häuserfassaden und Balkone unseres Landes zieren Deutschlandfahnen.
Die als „Sommermärchen“ in die Annalen eingegangene Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland ist ein gemeinschaftliches Euphorieerlebnis sondergleichen.
Die WM 2006 gilt als Initialzündung für das Phänomen des 'Public Viewing', welches uns seitdem alle zwei Jahre ereilt: Bei jeder Europa- oder Weltmeisterschaft schmücken wir unsere fahrbaren Untersätze mit Spiegelhussen oder kleinen Deutschlandfähnchen, notieren jedes Resultat auf dem Spielplan, der auf den Küchenschrank geklebt wird und schauen im Nationaltrikot beim Rudelgucken, wie zweiundzwanzig Herren ein Stück Leder mit den Füßen malträtieren.
Auch viele derjenigen machen mit, die sonst den TV-Kanal wechseln, wenn Fußball läuft – schließlich „ist E(W)M“!
Seien wir ehrlich: Haben wir nicht anno 2015 insgeheim alle tagtäglich damit gerechnet, dass irgendein Politiker oder Medienvertreter in Anlehnung an „wir sind Papst“ nunmehr „wir sind Willkommenskultur“ postuliert und im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise vom „Willkommensmärchen“ gesprochen wird?
Widmen wir uns nun der Frage, wie die Willkommenskultur vom Staat gelebt wird, wie die große Zahl der Flüchtlinge auch materiell willkommen geheißen wird.
Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, erhält, so liest man, im Falle der Bedürftigkeit gemäß seinem Anspruch aus dem Asylbewerberleistungsgesetz lediglich ein paar lebensnotwendige Grundleistungen: Nahrung, Unterkunft, Kleidung, ein paar Utensilien für die Körperpflege, und die allernötigsten Gebrauchs- und Verbrauchsgüter für den Haushalt. Hinzu kommt ein Taschengeld von 140 Euro im Monat.
Die Grundleistungen sind somit noch niedriger als die Hartz-IV-Leistungen. Erst nach fünfzehn Monaten erhalten Asylsuchende unter bestimmten Bedingungen Leistungen auf Hartz-IV-Niveau. Anerkannte Flüchtlinge haben bei Bedürftigkeit die gleichen Sozialleistungsansprüche wie deutsche Staatsangehörige. So weit, so gut.
Es kursieren allerdings Gerüchte, dass Flüchtlinge als 'Erstausstattung' auch Smartphones und elektronische Geräte von staatlichen Stellen erhalten, die aus Steuergeldern finanziert werden. Ein durchaus seriös wirkender Bekannter, seines Zeichens Beamter bei der Stadt Köln und alles andere als fremdenfeindlich, weiß zu berichten, dass in einigen Kölner Flüchtlingsheimen ein neues i-Phone, ein Flachbildfernseher und neue IKEA-Möbel durchaus zur „Willkommensausstattung“ gehören.
Über „drei Ecken“ habe ich gehört, dass im Frankfurter Raum ähnliche Praktiken an den Tag gelegt werden. Im Internet werden solche Behauptungen jedoch oft als haltlos tituliert. Ich weiß nicht, was der Wahrheit entspricht. Vielleicht erfindet der eine oder andere solche Geschichten auch nur, um sich interessant zu machen. Vielleicht aber auch nicht. Vom Bauchgefühl her und angesichts der Tatsache, wie Politik, Medien und Bevölkerung hierzulande die Willkommenskultur idealisieren, kann ich mir solche Praktiken jedenfalls durchaus vorstellen. Und sollte es sich wirklich so verhalten, dass Flüchtlinge in der beschriebenen Form bevorzugt werden, ist eine solche, dann falsch verstandene Willkommenskultur aus meiner Sicht absolut inakzeptabel. Würden doch solche Praktiken die sozial schwächeren deutschen Bürger, die Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger, deutlich benachteiligen und letztendlich dadurch nicht etwa gelebte Willkommenskultur, sondern eine Ungleichbehandlung darstellen, die verständlicherweise zu Missgunst und Ressentiments führt. Asyl ist nicht gleich Wohlstand