A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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und ein menschenverachtender Schürzenjäger, der aber stets mächtig um seinen guten Ruf und seine saubere Weste besorgt ist.“

      Welchen heiklen Punk Lene mit ihrer aus der Luft gegriffenen Drohung getroffen hatte, blieb unbekannt, aber danach änderte Elmar Stumm seinen Ton.

      Marcello war sehr beunruhigt: „Sie sind so still heute, Signora. Stimmt was mit dem Essen oder dem Wein nicht?“

      „Nein, Marcello. Alles so perfekt wie immer. Habe ich Ihre neue Mitarbeiterin richtig verstanden? Heißt sie wirklich Despina? Passen Sie nur auf, dass Sie nicht krank werden.“ Marcello teilte mit Lene die Liebe für die Oper. Deswegen erwiderte er beruhigt: „Keine Sorge, ich gehe dann in eine Klinik und übernehme dort die Küche.“

      Zweites Kapitel

      Gegen elf Uhr rief die Pforte bei Lene Schelm an: „Eine Meike Stumm und ihre Tochter Vera möchten mit Ihnen sprechen.“

      „Danke. Bringen Sie Mutter und Tochter bitte hoch?“

      Mia Hollweg, ihre jüngste Kommissarsanwärterin, hatte bereits die Mikrofone und Aufzeichnungsgeräte vorbereitet und brachte nun Vera in die Präsidiums-Kita und organisierte für das Kind ein Mittagessen. Danach übernahm sie die Papiere und Urkunden, die Meike Stumm mitgebracht hatte, und verteilte sie an die Kollegen, die sie nun kopieren und prüfen sollten. Lene setzte sich mit Meike Stumm in das Vernehmungszimmer, Mia würde sie durch den Einweg-Spiegel aus dem Nebenraum beobachten können.

      „Na, wie war die erste Nacht im Elternhaus?“

      „Zu kurz, weil der Abend davor zu lang und zu feucht war. Wir hatten uns natürlich eine Menge zu erzählen.“

      „Klar.“

      „Und als Erstes sind Vera und ich heute Morgen zum Grab von Tante Rike gegangen.“

      „Sie wussten nichts von dem Tod Ihrer Tante Ulrike?“

      „Nein. Seit vierzehn Jahren hatte ich keinen Kontakt mit meiner Familie, habe nur einmal im Fernsehen mitbekommen, dass das alte Rathausviertel abgebrannt ist und auf dem Gelände der alten Feinmechanischen Fabrik Stumm & Söhne Wohnungen gebaut werden sollen.“

      „Ja. Würden Sie mir bitte einmal erzählen, wie Sie und wo Sie entführt worden sind?“

      „Ich wollte vom Reiterhof mit dem Fahrrad nach Hause fahren, und über eine Steigung zum Steg habe ich das Rad geschoben. Drüben stand ein Mann, der eigentlich ganz freundlich aussah: ‚Wenn du willst, bringe ich dich nach Hause? Du wohnst doch im Lendersweg, nicht wahr? Wir haben ein Haus in der Winkelgasse gemietet, sind also jetzt Nachbarn.‘“

      „Hatten Sie den Mann schon früher mal gesehen?“

      „Ja, glaube ich wenigstens. Auf dem Lendersweg.“

      „Können Sie ihn beschreiben?“

      „Ja, so etwa. Ich würde denken um die dreißig, ein Meter achtzig bis fünfundachtzig groß, schlank, helle Haare, braune Augen.“

      „Er sprach Deutsch?“

      „Ja, ohne Akzent oder Fehler.“

      „Wir werden uns später Fotos ansehen müssen. Trauen Sie sich zu, nach der langen Zeit ein Phantombild anzufertigen?“

      „Doch ja.“

      „Wunderbar. Wie ging’s weiter?“

      „Er hat mein Fahrrad in den Kofferraum gelegt, und ich bin eingestiegen.“

      „Haben Sie Autotyp, Farbe und Kennzeichen behalten?“

      „Leider nein, Autos haben mich nie interessiert. Ein hellbrauner Kombi mit einem Kennzeichen aus Lörrach.“

      „Das haben Sie behalten?“

      „Ja, ich habe mir noch gedacht: Da muss er den Karren aber bald ummelden, sonst gibt’s Ärger.“

      „Bis Sie losfuhren hatte er Sie aber noch nicht bedroht oder zu etwas gezwungen oder sexuell belästigt?“

      „Nein. Dann fiel mir auf, dass er nicht die kürzeste Strecke zum Lendersweg fuhr. Ich habe ihm gesagt: ‚Wir hätten eben nach links abbiegen müssen.“‘Er hat nur geknurrt: ‚Wir nehmen noch jemanden mit. Sie will uns helfen, Gardinen aufzuhängen.‘“

      „Sie?“, vergewisserte sich Lene

      „Ja, in der Pelkerstraße stand eine junge Frau auf dem Bürgersteig und wartete auf uns. ‚Das ist Sylvia‘ hat er gesagt, ‚rutsch mal rüber.‘ Ich saß hinten rechts und bin dann auf den Sitz hinter ihm gerutscht. Die junge Frau hat die Tür aufgemacht und ist eingestiegen. ‚Du bist also die Meike.‘“

      „Ich habe mich etwas gewundert, dass sie meinen Namen kannte.“

      „Freut mich, dich kennenzulernen. Ich heiße Sylvia und wir machen jetzt eine kleine Spazierfahrt.“

      „Ich wollte nicht durch die Gegend kutschieren, ich wollte nach Hause. Und diese Sylvia gefiel mir nicht. Rötlichbraune Haare mit vielen kleinen Locken. Sie roch und benahm sich wie eine billige Hure. Ich wollte aussteigen und habe ihm auf die Schulter getippt, er hat nicht reagiert und sie hat mich an den Haaren zurückgezogen und mir etwas feuchtes, ekelhaft süßlich Riechendes auf Mund und Nase gedrückt. Und dann wurde es ganz schnell dunkel um mich herum. Ich bin erst wieder zu mir gekommen, als die beiden mich auf einer Liege aus einer Garage ins Haus geschleppt haben. Die Treppe in den ersten Stock musste ich rauflaufen. Mir war schwindelig und kotzübel. Oben habe ich es gerade noch ins Bad geschafft und gereihert wie ein Weltmeister. Gemeinsam haben sie mich in ein Schlafzimmer gebracht und auf ein Bett gelegt. Geschlafen habe ich wie eine Tote. Und wissen Sie, was mich geweckt hat?“

      Lene schüttelten den Kopf.

      „Das Krähen eines Hahnes. Wie auf einem Bauernhof. Mich haben schon manche Geräusche aus dem Schlaf gerissen, aber noch nie ein Hahn. Wie im Märchen oder im Kino!“

      „Also waren Sie auf einem Bauernhof gelandet.“

      „Das glaube ich eigentlich nicht. Es war ein modernes Haus, mit Zentralheizung und fließend warmem Wasser. Aber die Bewohner hielten Tiere, Hühner und Schafe als Rasenmäher-Ersatz und zwei Pferde.

      Auf der Stute durfte ich später sogar reiten.“

      „Hat diese Sylvia fest in dem Haus gelebt?“

      „In den ersten Tagen – ja.“

      „Wissen Sie auch, wie der Mann hieß, der den Wagen gefahren hat?“

      „Sie hat ihn mit Malte angeredet. Seinen Nachnamen habe ich nie erfahren.“

      „Was haben die beiden beruflich gemacht?“

      „Sie war Helferin in einer Arztpraxis in Tellheim, ist morgens pünktlich um neun Uhr weggefahren und abends meist zwischen achtzehn und neunzehn Uhr zurückgekommen.“

      „Sylvia hatte ein Auto?“

      „Ja, einen blauen VW-Polo.“

      „Haben Sie sich das Kennzeichen gemerkt?“

      „Ja. T-SK 555. Ganz stolz hat sie mir erzählt, dass sie für diese Kombination richtig gekämpft hat. SK wie Sylvia Köhler.“

      „Und die 555?“, fragte Lene amüsiert?

      „Die Zahlen waren ihr egal, so alt würde sie auf keinen Fall werden.“

      „Und wie war das mit Malte?“

      „Der ist auch jeden Tag wenigstens einmal weggefahren und nachmittags zurückgekommen, aber nicht so regelmäßig wie Sylvia. Was er in der Zeit gemacht hat, weiß ich nicht.“

      „Aber das Kennzeichen seines Wagens haben Sie sich gemerkt?“

      „Das hat häufiger gewechselt!“

      „An dem hellbraunen Kombi?“, staunte Lene ungläubig.

      „Ja,