A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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Elternhaus auch nicht so prickelnd gewesen war. Dann stellte ich eines Tages fest, dass ich schwanger war und habe mir ausgerechnet, dass ich bei Malte irgendwo auf dem Lande wohl besser aufgehoben war als im Lendersweg in Tellheim.“

      „Wo haben Sie mit Malte gelebt?“

      „Zuerst in einem Wochenendhaus am Lantener See, das seinem Bruder Uwe gehörte. Dann begann Malte als Makler gut zu verdienen, und hat uns ein Haus am Schlichsee gekauft. Dort fühlten wir uns wohl und glücklich.“

      „Und? Waren Sie das?“

      „Die ersten Jahre ganz sicher. Ein hübsches Haus, nette Nachbarn, Vera lernte schwimmen. Also auch eine Sorge weniger.“

      „Okay, ich verstehe. Wo ist Vera geboren worden?“

      „In der Lumerusklinik in Braakenfeld.“

      „Dort auch beim Standesamt registriert?“

      „Ja.“

      „Haben Sie die Geburtsurkunde zufällig dabei?“

      „Nein, die habe ich heute Morgen mit allen anderen Papieren Ihrer Kollegin Hollweg gegeben. Sie wollten die Papiere doch prüfen lassen.“

      „Richtig.“

      „Ihrer Kollegin habe ich meine und Veras Geburtsurkunde gegeben.“

      „Warum sind Sie dann doch von Malte Sobiok fortgelaufen?“

      „Maltes heiße Liebe zu mir und seiner Tochter Vera hat nicht lange genug gehalten. Nach drei Jahren Ehe begann er fremdzugehen auf seinen vielen Geschäfts- und Besichtigungsreisen. Ich hatte Vera und wusste nicht, wohin sonst.“

      „Zu Ihren Eltern wollten Sie nicht zurück?“

      „Eigentlich nicht. Übrigens wusste ich nicht, dass mein Vater inzwischen gestorben war. Aber wohin sonst? Mit einem kleinen Kind ohne Schulabschluss, ohne Beruf und ohne Geld. Also habe ich eines Tages alles Wichtige in einen Rucksack gepackt, mich von meiner Stute verabschiedet, Vera genommen und wir sind querfeldein losgelaufen. Ein Lieferwagen hat uns schließlich nach Tellheim mitgenommen und im Quellenviertel abgesetzt.“

      „Sind Sie eigentlich vom Reiterhof immer über den Lonsesteg in den Lendersweg geradelt?“

      „Meistens, aber nicht immer.“

      Lene bemerkte, dass Meike langsamer und müde wurde.

      „Ich würde sagen, wir machen für heute Schluss. Unser Phantombildner wartet. Wenn Sie Zeit haben, wäre es schön, wenn Sie morgen noch einmal hereinkommen könnten. Bis dahin habe ich einiges erledigt.

      Jetzt schaute Lene diskret auf die Uhr. Es wurde Zeit.

      Laut sagte sie in den Raum: „Haben die Kollegen alles kopiert und untersucht?“

      Mia antwortete prompt über Lautsprecher: „Liegt alles bereit, Chefin.“

      „Dann besuchen wir jetzt noch den schönen Tom.“

      KK Thomas Heilmann war von Meike Stumm so beeindruckt, wie Lene das erhofft hatte. Sie machten sich auch sofort an die Arbeit. Lene ging an ihren Schreibtisch und räumte auf. Schon wenig später rief Tom Heilmann an: „Chefin, es hat keinen Zweck mehr, sie schläft mir gleich vor dem Gerät ein.“

      „Trotz Ihres Charmes?“

      „Sie hat Sehnsucht nach einem Bett, groß und alleine für sich, ich würde da nur stören.“

      „Okay, machen wir Schluss für heute.“

      Meike Stumm rief gegen elf Uhr im Präsidium an und hörte sich ziemlich verschlafen an.

      „Wie war der Abend mit Opa Elmar?“, wollte Lene wissen.

      „Anstrengend.“

      „Wie das?“

      „Großvater hat die wieder auferstandene Enkelin vielen seiner Freunde und Bekannten vorgestellt, und mit jedem musste ich ein Schlückchen auf die glückliche Heimkehr trinken. Ich war noch nie so betrunken wie gestern Abend. Vor allem, alles durcheinander: Champagner, Cognac, Wein und Calvados. Liane musste mich wie ein Kleinkind ins Bett bringen.“

      „Und jetzt brummt der Kopf?“

      „Wie eine große Glocke. Brauchen Sie mich heute noch einmal?“

      „Ja, wir haben doch noch einige Fragen und mindestens zwei Phantombilder vor uns. Könnten Sie so gegen achtzehn Uhr im Präsidium sein? Und ein, zwei Stunden Zeit für meinen Kollegen und mich mitbringen?“

      „Wenn’s denn sein muss – okay. Vielleicht wirken bis dahin ja auch die Tabletten.“

      Auch Tom Heilmann würde Überstunden machen müssen, wenn seine „Kundin“ wirklich wacher war als gestern.

      Am Nachmittag war Lene – wie Sandig es nannte – zu Kaffee und Kuchen in die Staatsanwaltschaft eingeladen. Der Staatsanwalt hörte aufmerksam zu und meinte zum Schluss: „Eine verrückte Geschichte.“

      Lene zuckte hilflos die Achseln.

      „Schicken Sie die junge Dame mit alle Papieren zu mir. Amtlich ist sie in kürzester Frist wieder unter den Lebenden.“

      „Vorsicht, Herr Staatsanwalt, es sind zwei junge Damen: eine dreißig, die andere sieben oder acht.“

      „Das heißt, ich muss mein Zimmer aufräumen und alles wegschließen, wenn ich hinterher noch was wiederfinden will.“

      „Wäre zu empfehlen, ja. Die Kleine ist lebhaft, intelligent und sehr selbstbewusst.“

      „Oh je.“

      „Ich hätte noch eine Bitte. Könnten wir die amtliche Wiederauferstehung einer Toten vorerst unter der Decke halten, damit ich in Ruhe, ohne Presse und Neugierige an den Hacken, noch einiges recherchieren kann?“

      „Einverstanden, Frau Schelm, Sie geben Laut wenn Sie so weit sind?“

      „Mach ich.“

      Sandig grinste, war aber von einer Sekunde auf die andere wieder ernst: „Wem wollen Sie eigentlich ans Leder?“

      „Eigentlich dem Großvater Elmar Stumm.“

      „Alte Blutrache? Gekränkte Eitelkeit oder nicht zu verzeihende Beleidigung?“

      „Hauptsächlich Letzteres!“

      „Dann lassen Sie mal hören.“ Er war ein Kaffeesäufer wie Lene, und die Thermoskanne war zum Glück sehr groß. „Amtlich und juristisch sehe ich keine Möglichkeit, dem alten Stumm was ans Zeug zu flicken.“

      „Ich auch nicht“, stimmte sie zu. „Aber ich verlasse mich oft auf mein Bauchgefühl. Und das sagt mir: Da ist noch was vergraben, das ich den Stumms zu gerne an die Backe kleben möchte.“

      „Der deutsche Kriminalbeamte verachtet private Rachefeldzüge.“

      „Und der deutsche Staatsanwalt unterstützt ihn dabei.“

      „So ist es, Frau Schelm.“ Sandig sah ihr etwas besorgt nach. Man hatte ihn gewarnt: Eine Lene Schelm sei immer für eine Überraschung gut. Und simple Fälle kenne sie gar nicht, sie zöge Komplikationen an wie ein Magnet die Eisenspäne.

      Drittes Kapitel

      Mia Hollweg war tüchtig, zäh und ausdauernd. Bis tief in die Nacht und seit heute Morgen ab Dämmerung hatte sie die Tonbänder abgetippt, korrigiert und ausgedruckt.

      Lene war begeistert: „Toll, Mia! Und wenn Sie von diesem Marathon ausgeschlafen sind, versuchen Sie doch bitte herauszufinden, wo dieses Haus liegt, in dem Meike Stumm untergebracht war und später gelebt hat – und die Kennzeichen zu identifizieren. Eine Bedingung: Es soll nicht bekannt werden, dass die entführte Meike Stumm lebendig wieder aufgetaucht ist.“

      „Alles klar, Chefin.“

      Hoffentlich hatten sie diesmal Glück mit ihrer