A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


Скачать книгу

Minuten zu Fuß.

      Das Zoo-Viertel war noch vor wenigen Jahren eine sogenannte „Gute Adresse“ gewesen, und die Löbelstraße so etwas wie die Paradestraße oder wie die Tellheimer spotteten, unser Boulevard „unter den Linden“. Die Linden gab es immer noch, gesunde Bäume mit reichlich Tröpfchen, zum Ärger der Parker. Nummer 55 war ein gut erhaltenes vierstöckiges Haus, in dem nicht nur Wohnungen lagen, sondern auch, wie die Messingschilder neben dem Eingang verrieten, Büros und Arztpraxen.

      Auf der anderen Straßenseite lag ein kleines Restaurant, das mutig ein Menü aus Gazpacho und Zwiebelkuchen mit Speck und Kapern anbot. Lene beschloss, es zu riskieren, es würde auf jeden Fall besser und einfallsreicher schmecken als die Präsidiumskantine.

      Dazu gab es einen einjährigen Müller-Thurgau Leininger Burgberg, der es nie unter die deutschen Spitzenweißweine bringen würde, aber frisch und leicht säuerlich gut zum Zwiebelkuchen passte. Lene beschloss, sich eine kurze Auszeit zu gönnen und nachher eine Tortur zu wagen: Sie brauchte neue Sommersandalen und bedauerte jetzt schon sich und die arme Verkäuferin. Dass sie zwischendurch immer mal wieder einen Blick auf den Hauseingang Löbelstraße 55 warf, war schlicht eine dienstliche Angewohnheit. Irgendwann fielen ihr die vielen jungen Frauen und Mädchen auf, alle in luftigen Kleidchen, die an der Tür 55 klingelten und sich nur wenige Minuten im Haus aufhielten. Lene zahlte und rief im Büro an: „Liebe Mia, schau doch mal im Computer nach oder in der alten Akte Meike Stumm, woher mir die Anschrift Karanderstraße so bekannt vorkommt.“

      Mia beeilte sich: „Vor vierzehn Jahren wohnte in der Karanderstraße 24 Erwin Grote, Meike Stumms Großvater mütterlicherseits.“

      „Großartig. Ich ziehe jetzt los, um mir das Haus noch einmal anzuschauen.“

      Mia schnaufte, sagte aber nichts.

      Neben der Haustür Löbelstraße entdeckte Lene zwei Firmenschilder, Messing, blankpoliert, die sie interessierten: Fotostudio K. Venna und eine Castingagentur S. Köhler GmbH. Sie notierte sich die Namen und Telefonnummern. Auch eine Landesbeamtin mit Pensionsanspruch konnte in die Lage kommen, sich einen neuen Job suchen zu müssen. Sie wusste, dass eine Castingcouch kein Beichtstuhl war.

      Der Sandaleneinkauf verlief wider Erwarten schnell und für beide Seiten fast stressfrei.

      Danach nahm Lene ein Taxi vom Kaiserplatz zur Karanderstraße, um wenigstens vor sich selbst zu rechtfertigen, dass sie den ganzen Tag nicht verbummelt, sondern zwischendurch auch gearbeitet hatte. Das Schicksal belohnte diese positive Einstellung umgehend. Als sie zahlte und vor der Nummer 24 hielt, sprang vor ihnen ein bärtiger Mann aus einem teuer aussehenden Coupé, sauste zur Haustür Nummer 24 und klingelte Sturm. Die Tür wurde sofort aufgerissen, als habe der Bewohner im Windfang schon auf seinen bärtigen Besucher gewartet. Der brüllte auch sofort los: „Jetzt haben wir die Scheiße.“

      „Was soll das heißen?“

      „Ich hatte Besuch von einer Bullin.“

      „Meint der Sie?“, erkundigte sich der Taxifahrer empört, der auf seiner Seite die Scheibe heruntergelassen hatte und so eifrig lauschte, wie Lene durch die halb geöffnete Hintertür. Dabei war Lauschen gar nicht nötig, die beiden Männer brüllten sich an wie bei einem schlechten Straßentheater.

      „Na und?“

      „Ich hatte dich gewarnt. Die lügt, wenn sie den Mund aufmacht, weil sie gar nicht weiß, was Wahrheit ist.“

      „Aber du hast es natürlich sofort gewusst, du Klugscheißer.“

      „Ach, leck mich doch … Ich schaue jetzt selber nach, für euch Schwachköpfe halte ich meinen Kopf doch nicht hin.“ Damit machte der Bärtige kehrt, sprang regelrecht in seinen Wagen und startete, dass Lene für die Reifen und den Asphalt fürchtete.“

      „Los, hinterher“, sagte sie ungeduldig und zog ihre Tür ins Schloss.

      „Sind Sie wirklich eine Bulette?“

      „Wenn wir die nächste rote Ampel lebend erreichen, zeige ich Ihnen meinen Dienstausweis.“

      Uwe Sobiok raste wie ein Verrückter, aber Lenes Taxi hielt mit. Die Fahrt ging Richtung Innenstadt, anscheinend zum Hauptbahnhof.

      Doch unmittelbar nach der Brücke über den Stichkanal bog Sobiok in die Kanalstraße ab, die Reifen dröhnten auf dem alten Kopfsteinpflaster, halbhoch links über ihnen kreischten die Bremsen eines ICs, um die vorgeschriebene Höchst-Geschwindigkeit zu Beginn des Bahnsteigs zu erreichen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Vor Ihnen lag der Bienenkorb. Früher konnte man durch die Fenster der einfahrenden Züge direkt in die Bienenwaben schauen, in denen leichtbekleidete Damen ihrem uralten Gewerbe nachgingen, bis im Zuge der Kampagne „Unsere Stadt muss sauber werden“ Sichtblenden vor die Wabenfenster gebaut wurden. Die Einfahrt von Süden nach Tellheim Hauptbahnhof hatte an Attraktion verloren, aber der Bienenkorb florierte nach wie vor. Sobiok wurde langsamer und blinkte nach links, bog in eine Einfahrt ein, dort hob sich eine Schranke, die sich hinter Sobiok sofort wieder schloss. Lenes Taxifahrer musste hart in die Eisen steigen und stand noch nicht richtig, als sich ein stämmiger Mann neben die Fahrertür stellte.

      „Verpiss’ dich“, begrüßte er einen potentiellen Honigkäufer laut und unfreundlich. Lene hätte Ärger machen können, aber hatte keine Lust mehr: „Okay, fahren Sie weiter, zum Krötengraben. Jetzt bitte keinen Ärger mehr.“

      Der Fahrer hätte sich gerne mit dem Stämmigen auf ein Gefecht eingelassen, aber die Kundin war schließlich Königin.

      Lene ärgerte sich, für diese Rundfahrt durch Tellheim hätte sie sich ein zweites Paar modischer Sandalen kaufen können. Aber nun war es zu spät, und sie hatte immerhin eine Menge Informationen eingesammelt.

      Im R – 11 waren alle Zimmer dunkel, sie setzte sich an ihren Computer und tippte alle Informationen in die Datei: „Meike“, bevor sie nach Hause fuhr.

      Sechstes Kapitel

      Am nächsten Morgen traf sie die Kollegin Jutta Lenz, die Leiterin des R – 17, auf der Treppe.

      „Hast du ein paar Minuten Zeit für mich?“

      „Natürlich, was gibt es denn?“

      „Du kennst den Bienenkorb in der Kanalstraße?“

      „Aber sicher.“

      „Wem gehört der Schuppen?“

      „Soviel wir wissen, zwei Männern, Erwin Grote und Uwe Sobiok.“

      „Uwe Sobiok kenne ich schon. Was macht er beruflich – außer Honig abzuschöpfen?“

      „Er ist Geschäftsführer der Garten Eden Paradies KG.“

      „Die sitzen in der Auerstraße nicht wahr?“

      „Ja.“

      „Und Erwin Grote?“

      „Von dem weiß keiner so genau, nicht einmal das Finanzamt, womit er seine Brötchen verdient. Wenn du mich fragst, ist er ein berufsmäßiger Stiller Teilhaber für Leute, die anonym bleiben wollen, und dazu Geldverleiher.“

      „Aber der Bienenkorb hat nichts mit dieser Eden Paradies zu tun?“

      „Soviel ich weiß, nein, abgesehen davon, dass der Paradies-Geschäftsführer auch an dem Bienenkorb beteiligt ist.“

      Lene stieg in die Akten, sie hatten vor vierzehn Jahren Erwin Grote befragt, weil er einer von Meikes Großvätern war. Er wusste damals von nichts, bestritt später auch entschieden, an der Lösegeldsammlung für Meike beteiligt gewesen zu sein, Lene hielt ihn für einen Lügner, aber er war höflicher als Elmar Stumm. Und danach war ihr Grote „beruflich“ nicht mehr über den Weg gelaufen.

      Lene rief ihn an und kündigte an, dass sie über Mittag bei ihm in der Karanderstraße vorbeikommen werde, was ihm hörbar nicht gefiel, was er aber schlecht verweigern konnte.

      Uwe Sobiok machte es kurz: „Ja, ich hatte einmal ein Wochenendhaus am Lantener See. Ja, die alten Schlüssel