A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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um dann innezuhalten, wobei er darauf achtete, in Freeds Blickfeld zu bleiben.

      Die hintere Scheibe des Lincoln fuhr herab, und Freed sah zuerst schlohweißes Haar, dann fleckige Haut und dunkle Augen mit dicken Tränensäcken darunter.

      Freed presste Carlos Terruzzi die Mündung des Revolvers unter das Kinn und drückte auf diese Weise den Kopf des Caporegime in den Nacken.

      „Hallo, Plancata“, sagte er mit neutraler Stimme. Er versuchte, in den Wagen des Don hineinzuspähen. Er sah die Schultern zweier Männer auf den Vordersitzen und eines weiteren Mannes mit bleichem Totenschädel hinten neben dem Mafiaboss. Er selbst wurde von Terruzzi gedeckt. „Was wollen Sie, Freed?“

      Art Freed schluckte den maßlosen Zorn hinunter, der ihn zu überwältigen drohte. Er brauchte den Lauf des Revolvers nur um ein paar Zoll zu bewegen und abzudrücken.

      „Ich will meinen Sohn, das wissen Sie ganz genau. Warum ziehen Sie meine Familie mit in diesen schmutzigen Krieg? Lassen Sie meinen Sohn frei, Plancata!“

      „Angenommen, ich könnte über seine Freiheit befinden, Mr. Freed – was hätten Sie zu bieten?“

      „Ich bezahle fast jeden Preis, Plancata. Nennen Sie ihn mir.“

      „Machen Sie einen Vorschlag!“ Täuschte er sich, oder klang da so etwas wie amüsierter Spott aus den Worten des Mafioso?“

      „Ich kann meinen Dienst quittieren.“ Freed hielt dieses Angebot für das Äußerste, was Plancata von ihm verlangen konnte.

      Die Lippen verzogen sich zu einer verächtlichen Grimasse. „Das nenne ich kein Angebot, Freed.“

      „Dann sagen Sie, was Sie verlangen!“, schrie Freed unbeherrscht.

      Die Scheibe in der Tür des Lincoln begann sich zu bewegen, die Kante erreichte Plancatas Kinn, schob sich höher hinauf.

      „Warten Sie!“, schrie Freed, der zu begreifen begann, dass er diesem Mann nicht gewachsen war.

      Die Scheibe stoppte, fuhr ein Stück herab.

      „Wenn Sie Ihren Ton nicht mäßigen, betrachte ich diese Unterredung als erledigt“, sagte der Don. Seine Augen funkelten plötzlich und verrieten die geballte Energie, die in diesem gedrungenen, muskulösen Mann noch steckte.

      „Es ist gut“, sagte Freed gepresst. Er sah den Schweiß, der über Carlos Terruzzis Gesicht floss, und die Angst, die dieser Mann empfand, entschädigte ihn ein wenig für die Niederlage, die sich bereits abzeichnete. „Nennen Sie jetzt Ihren Preis“, bat er.

      Der Don steckte eine Havanna zwischen seine Lippen. Von irgendwoher erschien eine Flamme, und der Mafiaboss paffte genüsslich, ehe er mit dem Kopf in Richtung Klippe nickte.

      „Springen Sie hinunter“, sagte er. Er lachte nicht, wie man es tut, wenn man einen Scherz gemacht hat, selbst einen makabren. Er lächelte nicht einmal.

      Freed spürte, wie ihm alles Blut aus dem Kopf in den Unterleib sackte. Er spürte sein Herz nicht mehr, jedenfalls für Augenblicke nicht, doch dann pumpte es rasend schnell, hämmerte hart gegen die Rippen.

      Er will deinen Tod, dachte Freed nüchtern, und er wunderte sich darüber, dass er seinen klaren Kopf behielt, obwohl die animalische Furcht ihn umzubringen drohte.

      „Wenn Ihr Kind eine Chance haben soll“, sagte Plancata jetzt, „fahren Sie nach Hause und bleiben Sie dort. Es ist die einzige Chance, die Ronny hat.“ Wieder bewegte sich die Scheibe, und diesmal verschwand Plancatas Kopf hinter dem spiegelnden Panzerglas.

      Freed nahm die Mündung des Revolvers ein wenig zurück. Terruzzi rieb die Druckstelle, die blutrot angelaufen war.

      „Fahren Sie!“, befahl Freed. „Los, fahren Sie!“

      Terruzzi setzte sich vor und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang an, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Freed beobachtete Orlando. Es war immerhin möglich, dass einer der Gorillas aus dem Lincoln ihm eine Waffe zugesteckt hatte. Doch Orlando rührte sich nicht.

      Das Malibu glitt auf das Tor zu.

      Aus dem Lincoln schrie jemand, vermutlich Don Alfredos Chefgorilla, Orlando einen Befehl zu. Der Gangster verwandelte sich in einen wilden Mann, der dem Boss eine große Show bringen musste. Mit rudernden Armen sprang er vor das Malibu.

      Carlos Terruzzis Fuß zuckte hoch, suchte nach der Bremse. Freed rutschte zur Mitte hin. Er senkte seinen Fuß aufs Gas. Die Maschine heulte schrill, die Räder drehten kurz durch, Sand spritzte unter die Kotflügel, dann machte der Wagen einen Satz.

      Orlando wollte zurückspringen, doch er war nicht schnell genug. In seiner Hast, vor dem heranschießenden Malibu auszuweichen, stolperte er. Die rechte vordere Kante des Wagens erfasste ihn an der Hüfte, wirbelte ihn in die Luft. Er knallte auf die Motorhaube. Freed sah seine aufgerissenen Augen, und er nahm den Fuß vom Gas.

      Der Wagen ruckte. Orlando rutschte von der Haube und fiel in den Sand. Das Malibu rollte zwischen den Torpfosten hindurch.

      „Stopp!“, sagte Freed scharf, und der Caporegime trat erneut auf die Bremse. Aus unruhig flackernden Augen sah er den G-man an. „Steigen Sie aus und schließen Sie das Tor wieder ab“, befahl Freed.

      Terruzzi stieg aus und bewegte sich auf den offenstehenden Torflügel zu. Der schwarze Lincoln pflügte einen Kreis in den sandigen Boden. Freed rutschte hinter das Lenkrad. Er schob den Gangwähler auf Vorwärts, knallte die Tür zu und senkte den Fuß aufs Gas.

      Der Lincoln machte einen Satz. Freed packte das Lenkrad und wirbelte es herum, bevor der Wagen über die Straße hinausschießen konnte. Im Rückspiegel sah er Terruzzi, der mit wildkreisenden Armen hinter dem Malibu herrannte.

      Freed hätte über diesen Anblick gelacht, wenn ihm nicht bewusst gewesen wäre, dass er nicht einmal eine Schlacht gewonnen hatte, geschweige denn einen Krieg.

      25

      Roberto sah den weißen Camaro heranzischen. Er befand sich im östlichen Abschnitt des Wilshire Boulevard, im Bereich der hohen Highway-Kreuze, die den Himmel verdunkelten. Links und rechts der Straße verunzierten Autofriedhöfe und Wellblechhütten das Stadtbild. Der Verkehr war dünn.

      Roberto versuchte, etwas von dem Fahrer zu erkennen, doch die schräge Windschutzscheibe wirkte wie ein Spiegel.

      Der Wagen röhrte vorbei. Roberto sah ein flatterndes Kopftuch und ein angespanntes Gesicht, das zum größten Teil hinter einer mächtigen Sonnenbrille verschwand.

      Unvermittelt scherte der Wagen nach rechts hinüber und schnitt den Kurs des Kombi. Roberto, dessen Sinne schon Entwarnung gegeben hatten, weil das Coupe von einer Frau gesteuert wurde, trat etwas zu heftig auf die Bremse. Der Buick brach hinten aus, und im nächsten Augenblick trieb der Kombi wie ein Steuerloses Schiff über die Fahrbahnen. Mit der vorderen Ecke erwischte er den Camaro an der hinteren Stoßstange. Er hörte einen Knall, als das Metall aus der Halterung gerissen wurde. Der Camaro schlingerte leicht.

      Roberto trat auf die Bremse. Als die Räder blockierten, nahm er den Fuß wieder hoch, pumpte, brachte das Lenkrad in mittlere Stellung. Da ging ein Ruck durch den Wagen, als ein Hinterrad gegen den Bordstein knallte. Der Aufprall ließ den Buick wie eine Billardkugel zur Mitte des Boulevards zurückschnellen. Robertos Kopf schlug gegen die Seitenscheibe. Mechanisch reagierte er auf die neue Richtung. Als er jetzt bremste, gehorchte der Wagen.

      Roberto wich einem entgegenkommenden Laster aus, dann riss er wütend das Lenkrad herum. Der Camaro stand unter dem Viadukt des Santa Monica Freeway.

      Roberto hielt hinter dem Sportwagen an, sprang heraus und rannte auf das andere Fahrzeug zu.

      „Was ist denn in Sie gefahren?“, brüllte er. „Wollen Sie mich umbringen?“

      Die Frau nahm das Kopftuch ab und schüttelte das lange blonde Haar auf, dann schob sie die Brille die Stirn hinauf.

      „Das wollte ich nicht, bestimmt nicht“, sagte sie.

      „Eileen