Fell,
Sie haben im Stillen
Von den Abfällen
Der Herrscher gelebt
Und wurden dabei immer fetter.
Hört nur, seht ihr denn nicht,
Die Ratten sind wieder hier!
Über unsere Füße
Fallen sie schon her,
Knabbern lautstark
An den Sohlen.
Doch unsere Köpfe
Nehmen sie nicht ernst,
Wir verschließen die Sinne
Und lassen sie walten.
Gefüttert mit unserer Gleichgültigkeit
Erobern sie langsam die Macht.
Hört nur, seht ihr denn nicht,
Die Ratten sind wieder hier!
Ihre Zähne werden schärfer
Und aus allen Winkeln
Tönt ihr Schrei
Nach dem erneuten Endsieg!
(März 1989)
N OCH IMMER
Längst aufgehört
Die Stunden zu zählen,
Schreiten wir beide
Noch immer
Gemeinsam durch die Zeit.
Oft nicht bewusst
Unserer starken Gefühle
Sind sie doch geblieben,
Noch immer,
Trotz verblasster Zärtlichkeit.
Aneinander gewöhnt
Wie an das Paar Lieblingsschuhe,
Bleibt uns jedenfalls
Noch immer
Ein großer Vorrat an Liebe.
(September 1989, für Trici)
D ER FREIHEIT
Links von mir tot gewalzt,
Verprügelt und gefoltert
Von den Schwertern
Aufgeschwemmter Admirale.
Rechts von mir eingezäunt,
Belogen und verraten
Von den Wächtern
Ausgebrannter Ideale.
Hinter mir versteigert,
Verstümmelt und erschlagen
Von den Gegnern
Einer allzu schwarzen Schale.
Und doch:
So hart geschmiedet
Kann keine Kette sein,
So dick gemauert
Kein kalter Kerker,
Dass sie nicht doch
Alle Fesseln irgendwann sprengt
In ihrem eigenen Namen.
(9. November 1989 - Abend des Mauerfalls)
W ESHALB
Wozu glauben
An Gutes und Liebe
Unwichtige Gefühle
Wozu
Warum behüten
Tot gesprochene Dinge
Umweltfreundlichen Frieden
Warum
Wofür leben
Wenn nicht für sich selbst
Mächtig mit gierigem Blick
Wofür
Ich blicke in die Augen
Eines kaum geborenen Kindes
Deshalb
(Mai 1990, für meinen Neffen Anton)
M ODERNE NÄCHSTENLIEBE
Zu Dutzenden
Standen sie
An der Unfallstelle
Und bemitleideten
Das sich im eigenen Blut
Windende Opfer.
Mein Gott,
Wie ist das schrecklich,
Hörte man
Immer wieder sagen,
Und mein Gott,
Es war schrecklich,
Denn niemand
Der Dutzenden
Half.
(Oktober 1990)
F RÜHLINGSFRAGE
Des Winters Weiße geht in Tropfen,
Die blauen Himmel sind nun öfter,
Alte Sonne spendet neue Wärme,
Bananenduft durchzieht die Stadt.
Der Bäume Blüten erobern die Zweige,
Eisbuden locken aus dem Winterschlaf,
Mädchen zeigen wieder Beine,
Waffeleis klatscht auf die Straße.
Die Dichter denken frische Verse,
Kinder spielen Ringeltänze.
Was wird wohl, wenn die Blätter fallen,
Außer Frühlingsversen bleiben?
(Mai 1990)
S ATT
Völlig nackt,
Weil aufgewärmt
Von Wohlstandskälte,
Saß ich in der Ecke
Meines Zimmers,
Die Ohren lagen
Abgeschnitten
Zwischen meinen Beinen,
Und ich verschlang
Die fetten Zeiten:
Kinderrassel
Spielzeugwaffe
Fahrrad
Walkman
Comicheft
Tennisschläger
Zigarette
Zeugnis
Mofa
Video
…und am Teppich
Kratzte eine Stimme
Lautlos.
Viel gesagt,
Weil weit entfernt
Von wirklich großen Taten,
Hielt ich das Fernsehgerät
In meinen Armen,
Die Augen hingen
Ausgestochen
Im prall gefüllten Kleiderschrank,
Und ich fraß mich
Durch die Jahre:
Waschmaschine