Wolfgang Wiesmann

Tot am Ring


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sie durch den Flur gingen, fiel ihr der Koffer wieder auf.

      „Wollen Sie verreisen, oder kommen Sie von einer Reise?“

      „Ich bin erst heute Nacht nach elf von einem Seminar in Augsburg zurückgekehrt. Inge und ich schlafen in getrennten Räumen und ich wollte Inge nicht extra wachmachen. Deswegen hatte ich nicht gemerkt, dass sie nachts nicht im Haus war. Heute Morgen habe ich angenommen, dass sie bereits zur Schule unterwegs war.“

      „Das klärt dann doch einiges“, bemerkte Fey und verabschiedete sich.

      14 Connemara Malt

      Auf der Fahrt zurück zur Schule ließ Fey das Gespräch mit Pastor Beer Revue passieren. Auf einem Foto im Flur hatte sie beide am Tage ihrer Hochzeit gesehen. Inge im Zweiteiler mit Merkelscher Figur aus dem Jahre 1994. Ihr strahlte der Idealismus aus den Augen. ­Glücklich hatte sie ausgesehen. Zu gerne hätte sie Inges Schlafzimmer inspiziert. Garantiert würde sie dort keine grau-silbrige Gardine finden. Nach außen wirkte das Haus so wie alle neuen Häuser im Bauhausstil, ein bisschen so wie beim Zahnarzt, bloß kein roter Fleck.

      Pastor Beer hatte seine Emotionen gut im Griff. Jedenfalls wahrte er seine Fassung. Gut, das hatte er gelernt. Er folgte lediglich seiner professionellen Berufung. Jedes Wort klang überlegt. Kein ‚verdammt‘, ‚oh mein Gott‘, ‚Scheiße‘, ‚wieso nur‘, ‚warum‘. Auch die Erklärung zum Koffer entflog ihm wie geölt. Fällte sie bereits ein Urteil über ihn? Sie durfte sich nicht von Äußerlichkeiten leiten lassen.

      Sie kam an der Schule an und war gespannt, was Mörris in Erfahrung gebracht hatte.

      Er saß gerade mit Elmar Kipping, dem Referendar, zusammen. Elmar strich sich die verschwitzten Haare aus dem Gesicht. Scheinbar war er mit den Nerven am Ende. Fey bat Mörris einen Augenblick mit ihr auf den Flur zu gehen, um ungestört über das Gespräch mit Pastor Beer berichten zu können. Danach setzten sich beide zurück an Elmars Tisch, wo Mörris mit seiner Befragung fortfuhr.

      „Also noch mal. Sie sprachen gestern mit Ihrer Kollegin Beer über Verhaltensmaßregeln. Wieso adressierten sie diese Frage ausgerechnet an Frau Beer?“

      „Sagte ich doch. Ich bin kein Prüfungstyp, und wenn die Schüler nicht aufpassen und hinten in der Klasse zwei gestandene Dezernenten sitzen, die alles mitkriegen, und es mir dann brühwarm aufs Butterbrot schmieren, dann fällt bei mir die Klappe. Ich werde so nervös, dass mir nichts mehr gelingt. Ich kenne meinen Stoff, aber sobald eine gewisse Unruhe im Klassenraum entsteht, wackeln bei mir die Sicherungen. Ich dachte, Frau Beer ist eine erfahrene Lehrerin, von der ich mir einen Tipp erhofft hatte. Deswegen bin ich nachmittags zu ihr gegangen.“

      „Sie kamen vom Extrablatt, wo Sie mit Frau Ute Leitz waren, aber Frau Leitz ging nicht ins Lehrerzimmer zurück, nur Sie?“

      „Genau! Herr Brisinzki gab mir förmlich die Klinke in die Hand. Außer Frau Beer war niemand mehr im Lehrerzimmer, als ich mich zu ihr setzte. Minuten später ging ich auch.“

      „Laut Stand unserer Ermittlungen sind Sie die letzte Person, die Frau Beer lebend gesehen hat. Über was haben Sie gesprochen?“

      „Wenn Sie mich so fragen. Frau Beer war nicht wirklich ansprechbar gewesen. Sie zeigte kein Interesse für mein Problem.“

      „Haben Sie sich darüber aufgeregt?“, fragte Fey.

      „Sie meinen, ob wir uns gestritten hätten?“

      „Sagen Sie’s mir.“

      „Ich habe lediglich gesagt, dass ich mir unter Kollegialität etwas anderes vorgestellt hätte, aber Frau Beer hat das nicht wirklich registriert. Sie wirkte abwesend.“

      „Was haben Sie danach gemacht?“

      „An meinem Unterrichtsbesuch gefeilt.“

      „Und wo waren Sie gestern um elf Uhr nachts?“

      „Ist das die Tatzeit? Voll bis oben hin. Gestern war die letzte Gelegenheit für ein Besäufnis. Eine Flasche Irish Whiskey ganz für mich alleine. Ab heute stehe ich im Dauerstress.“

      „Sie waren also betrunken, als Frau Beer starb?“

      „Mehr oder weniger. Ich habe ein Zimmer in Haltern nur für die Referendarzeit. Gestern war ich mit dem Fahrrad unterwegs, habe die H2N in Lavesum besucht und bin dann weiter zum Annaberg und zurück über die Conzeallee nach Hause. Die Flasche im Gepäck, Connemara, rauchig und torfig.“

      „Wann befuhren Sie die Conzeallee?“

      „War dunkel, Zeit weiß ich nicht.“

      „Und was sind die H2N?“

      „Zweimal Hermann, einmal Norbert. H2N ist eine Vereinigung Halterner Künstler, die sich zum Ziel gesetzt haben, das Absurde zu einer neuen Kunstrichtung zu gestalten. Im Absurden sehen die drei nicht etwa eine nihilistische Abkehr vom Normalen, sondern den Kern. So in etwa hat es mir ein Hermann erklärt. Aber, wie gesagt, ich hatte den Connemara im Gepäck und auch die H2N verschmähten ihn nicht.“

      „Ist Ihnen klar, dass es für uns so aussieht, dass Sie etwa zeitgleich mit Inge Beer an der Turnhalle an der Conzeallee waren? Wie betrunken waren Sie wirklich, Herr Kipping?“

      „Ich weiß es nicht. Jedenfalls konnte ich noch Fahrradfahren.“

      „Eine Person wie Inge Beer fällt auf. Erinnern Sie sich! Haben Sie Frau Beer gesehen oder sind Sie zu ihr hingefahren, weil Sie im betrunkenen Zustand mehr Mut hatten, um ihr mal so richtig die Meinung zu sagen?“

      „Bullshit. Ich habe die Frau nicht gesehen.“

      „Wer kann bezeugen, wo Sie um 23 Uhr waren?“

      „Nur der Connemara und ich. Glauben Sie etwa, dass ich die Frau Beer …? Das kann ich nicht mal denken.“

      Fey waren Kippings Aussagen zu windig.

      „Herr Mörris wird mit Ihnen nach Hause fahren und dort zeigen Sie bitte dem Kommissar die Flasche Connemara, am besten leer. Und Ihr Fahrrad hätten wir auch gerne gesehen.“

      15 Zu spät

      Elmar Kipping und Mörris machten sich auf den Weg. Fey ging zu Kühne. Er war gerade im Begriff, seine für morgen geplante offizielle Erklärung zum Tode von Frau Beer zum Tippen an seine Sekretärin Frau ­Strickling zu geben. Fey sprach Kühne zwischen Tür und Angel auf die Stellung von Frau Beer im Kollegium an. Er hob die Augenbrauen und bat sie in sein Büro zu kommen. Dort schloss er die Tür.

      „Frau Amber, Schule bewegt sich heute in einem sehr schwierigen Rahmen. Die sozialen Netzwerke sind Fluch und Segen zugleich. Schüler sollen ihre Meinungen austauschen, aber oft genug bleibt es nicht bei einer Meinungsäußerung. Es wird gepöbelt, gemobbt, bedroht, beschimpft und aufs Niederträchtigste gelästert. Inge war diese Entwicklung zuwider. Sie zitierte einzelne Schüler zu einem Gespräch, aber, wissen Sie, in Sachen Respekt haben wir Lehrer empfindliche Einbußen hinnehmen müssen. Die Schüler berufen sich auf ihre Meinungsfreiheit und haben oftmals kein Schuldbewusstsein, wenn sie andere im Netz fertigmachen. Im Ernstfall regen sich die Eltern auf, weil sie Nachteile für ihre Kinder befürchten, und bestehen darauf, dass sich Schule nicht in die privaten Belange ihrer Kinder einmischt. Der Shitstorm passiert nicht von der Schule aus, sondern von zu Hause. Verstehen Sie die Problematik?“

      „Gab es spezielle Vorkommnisse?“

      Kühne antwortete nicht gleich. Fey sah ihn an und überlegte, ob ihm die Frage unangenehm war und er nach einer ausflüchtigen Antwort suchte.

      „Vor einem Monat kursierten Fotos von Frau Beer im Netz, aber auch auf den Handys der Schülerinnen und Schüler. Drei Mädchen aus den 10er-Klassen hatten Frau Beer heimlich fotografiert, aber nicht so, dass man auf Anhieb erkennen konnte, um wen es sich handelte. Es waren nur Ausschnitte, aber es dauerte nicht lange, da wusste die ganze Schule, wer abgebildet war. Die Fotos waren außerordentlich kompromittierend, eine Schande.“

      „Wurden