Und Theben liegt in Oberfranken.
Die Genese der literarischen Kulisse,
aufgezeigt an Werken E.T.A. Hoffmanns
Inaugural-Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie
der Ludwig-Maximilians-Universität München
vorgelegt von
Laura-Maria Grafenauer
aus
Gräfelfing
2020
Referent: Professor Dr. Rolf Selbmann
Korreferent: Professor Dr. Oliver Jahraus
Tag der mündlichen Prüfung: 26. Mai 2020
Laura-Maria Grafenauer
Und Theben liegt in Oberfranken.
Die Genese der literarischen Kulisse,
aufgezeigt an Werken E.T.A. Hoffmanns
© 2020 Laura-Maria Grafenauer
Autorin: Laura-Maria Grafenauer
Umschlaggestaltung, Illustration: Laura-Maria Grafenauer
Dissertation der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2020
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback: 978-3-347-14940-3
Hardcover: 978-3-347-14941-0
e-Book: 978-3-347-14942-7
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Inhalt
1. Lebendigkeit und Frische: Ein Plädoyer für reale Schauplätze
1.1. E.T.A. Hoffmanns (auto-) biographische Orte
1.2. Literaturtourismus und seine Ergänzung im ›Serapionischen Prinzip‹
1.3. Ménage à trois: Kulisse – Autobiographie – Werk
1.4. Ein Schlusswort zum Titel: Serapion, ein fränkischer Thebaner
2. Metropolis I: Der Berliner Fensterblick
2.1. Unerkannte Perspektiven bei der Verortung der Kulisse
2.2. Der Kunzische Riss als Vorbild für Des Vetters Eckfenster
2.3. Conditio urbana: Schein und Sein als Typologie des Gendarmenmarkts
2.4. Wie die Menschen, so der Ort: Hoffmanns konsequente Programmatik
3. Metropolis II: Wer wen Unter den Linden grüßt
3.1. Zweimal Taubenstraße: Chronik einer Un-Bekanntschaft
3.2. Hoffmann’sche Kontrastästhetik in den Briefen aus Berlin
3.3. Die Linden lesen, oder Fuchs als Metapher
3.4. Der Nicht-Geisterseher: Heines Blick in die Zukunft
4. Sehnsuchtsorte I: Auch ich nicht in Arkadien
4.1. Unter Kollegen: Hoffmanns verkannter Umgang mit Goethe
4.2. Nec in Arcadia ego, oder Hoffmann kam nur bis Bamberg
4.3. Der Palazzo Pistoja als römisches Dschinnistan
4.4. Zu den Beweggründen des Quellenstudiums
4.5. Die innere Anschauung von Rom: Prinzip Serapion?
5. Sehnsuchtsorte II: Keine Sünde auf dem Berg?
5.1. Landflucht à la Hoffmann: Ein Faible für urbanen Raum
5.2. Unerwartete Beziehungen zwischen Sehnsucht, Spleen und Rosenduft
5.3. Variation eines Dreiecks I: Hoffmanns Wunschdenken
5.4. Variation eines Dreiecks II: Schnitzlers Parodie
5.5. Das Gebirge als Fluchtort in (erotische) Phantasien
6. Analyse: Klimax der Texterkenntnis
6.1. Dreisatz Autor – Ort – Bekanntheit
6.2. Vierschritt: Realität wird zur Kulisse
6.3. Atlantis im Nachttopf: Wie bastelt man sich eine Utopie?
7. Fazit: Und immer wieder Serapion
7.1. Das ›Serapionische Prinzip‹ als Vorbedingung der Genese
7.2. Kulisse im doppelten Sinn: Eine Frage der Zweideutigkeit
Literaturverzeichnis
1. Lebendigkeit und Frische: Ein Plädoyer für reale Schauplätze
1.1. E.T.A. Hoffmanns (auto-) biographische Orte
Berlin, im November des Jahres 1818: Der vierzehnte des Monats mag, wie um diese Jahreszeit nicht anders zu erwarten, ein nebelverhangener Tag gewesen sein, an dem man nicht einmal das Gemüt eines Poeten braucht, um zwischen Himmelgrau und wiederkehrenden Regenschauern melancholisch zu werden. Der Kammergerichtsrat Hoffmann ist ein solch poetischer Charakter durch und durch, doch anstatt die Witterung der Seele den Wetterkapriolen anzupassen, lädt er an diesem Abend einige enge Freunde und Bekannte zum gemütlichen Beisammensein in seine Dachwohnung mit Blick auf den Gendarmenmarkt. Angesichts eines großzügigen Vorschusses, den er ein paar Tage zuvor von seinem Verleger Georg Reimer erhalten hat, dürfte die kleine Feier nicht eben spartanisch ausgefallen sein, zumal da es einen außerordentlichen, alle Kosten rechtfertigenden Anlass für die Soirée gibt: Sie stellt das Willkommen für den Naturforscher Adelbert von Chamisso dar, der soeben von einer über dreijährigen Weltumseglung zurückgekehrt ist und damit die Erneuerung eines während und aufgrund seiner Abwesenheit unterbrochenen literarischen Zirkels ermöglicht. An wechselnden Orten und in wechselnder Besetzung trafen gleichgesinnte Herren zusammen, die zufälligerweise gemein hatten, dass ein jeder von ihnen Passables zu Papier zu bringen imstande war, und so trug man sich gegenseitig die neuesten poetischen Errungenschaften vor, um sie in geselliger Runde zu erörtern, zu diskutieren, zu kritisieren. Das Herzstück des wechselnd besetzten Klubs bildeten neben Kammergerichtsrat und Weltumsegler ihre Schriftsteller-Kollegen Julius Eduard Hitzig und Karl Wilhelm Salice-Contessa. Vielleicht war es einer dieser Herren, der an jenem herbstlichen Wiedersehens-Abend eine unterhaltsame Anekdote erzählte, deren Schauplatz sich dank der eindeutigen Bezeichnung von gewissen Straßenzügen mit einiger Wahrscheinlichkeit in B**lin vermuten ließ, und als er unter allgemeinem Beifall geendet hatte, wandte sich ein Zunftbruder mit den folgenden oder halbwegs ähnlichen Worten an ihn:
Du hattest, sprach Theodor, bestimmten Anlaß die Szene des Stücks nach Berlin zu verlegen und Straßen und Plätze zu nennen. Im Allgemeinen ist es aber auch meines Bedünkens gar nicht übel den Schauplatz genau zu bezeichnen. Außerdem daß das Ganze dadurch einen Schein von historischer Wahrheit erhält der einer trägen Fantasie aufhilft, so gewinnt es auch, zumal für den, der mit dem als Schauplatz genannten Orte bekannt ist, ungemein an Lebendigkeit und Frische.1
An dieser Stelle überlassen wir die Herren ihrem Punsch und halten uns an die Fakten: Jene Worte spricht im ersten