Leben wirklich was bedeutet hat! Morrister, dieser Teufel, blufft nicht! Seit es kein Gesetz mehr in Canyon City gibt, schreckt er vor nichts mehr zurück. Er wird sie töten, wenn wir nicht tun, was er verlangt!«
»Ja, ich kenne ihn, Boss«, keuchte Slocum verzweifelt. »Gut genug jedenfalls, um zu wissen, dass Sie Miss Lindas Leben nicht retten, wenn Sie auf seine Forderung eingehen!«
»Wie dann?«, schrie Big Joe und schüttelte ihn, als hielte er eine Stoffpuppe in den klobigen Fäusten.
Panik flackerte in Old Tates Augen auf. Sein halbes Leben lang war Big Joes Wort fast so etwas wie Gesetz für ihn gewesen. Doch dann verwünschte er sich für die Angst, die in ihm hochstieg, wenn er in die wild blitzenden Augen des herrischen Mannes blickte.
»Langtry!«, erklang ein Ruf von der Mündung der Puma Gulch. »Wir warten fünf Minuten, dass du mit den Wagen umkehrst und uns zu Morristers Camp folgst! Fünf Minuten, keine Sekunde länger, dann reiten wir los und berichten dem Boss, dass du’s darauf ankommen lassen willst.«
»Da hörst du’s!«, ächzte Langtry. »Ich habe keine Wahl!«
»Doch!«, schnappte Slocum, der krampfhaft das Gewehr festhielt. »Larry ist bereits unterwegs, um Miss Linda aus Morristers Camp wegzuholen.«
Die Worte wirkten, als hätte er dem Frachtunternehmer ein Messer in den Bauch gestoßen. Big Joes Augen quollen hervor. Seine Hände fielen herab. Keuchend wich er zurück, bis er gegen einen Wagen prallte.
»Langtry, hast du verstanden?«, schrie der Morrister-Reiter. »Entscheide dich, Mann!«
Diesmal hörte Big Joe ihn nicht. Er starrte den sichelbärtigen Oldtimer mit aufgerissenen Augen an.
»Du bist ja besoffen, Tate!«
»Er ist hier, Boss! Und wenn er es nicht schafft, Miss Linda aus dem Camp dieser Schurken zu retten, dann schafft es keiner. Beim Henker, aus dem Jungen ist ein Kerl geworden, gegen den Morristers Killer lahme Krücken sind! Ein Feuerfresser, der ...«
»Tate, von wem, zum Teufel, redest du?«, keuchte Langtry. »Doch nicht etwa von meinem Sohn?«
Hastig berichtete Slocum, was geschehen war. Wie versteinert, mit einem Blick, der die Umgebung nicht mehr wahrnahm, hörte Big Joe zu.
»Weiß der Henker, wie er’s anstellen will, Boss«, schloss Old Tate heiser. »Wir hatten keine Zeit mehr, darüber zu sprechen. Aber ich vertraue ihm. Er hat mein Wort.«
»Das Wort eines Verrückten!« Langtry wischte sich mit der Hand über die Augen. Er stieß sich vom Wagen ab. »Ja, zum Teufel, verrückt sage ich, Tate! Verrückt, wenn du dich darauf verlässt, dass er uns aus der Patsche helfen will! Ausgerechnet Larry, dem ich damals wie einem störrischen Muli die Peitsche zu schmecken gegeben habe, weil ... Ach, zum Teufel damit! Ich will dir sagen, warum er hier ist, Old Man - um sich zu rächen! Du solltest doch wissen, wie er mich hasst. Glaubst du im Ernst, er wird auch nur einen Finger für uns rühren? Eher wird er noch Morrister helfen, damit wir Salida nur ja nie erreichen. Ja, genau das wäre der einzige Grund, dass er wirklich in Morristers Camp reitet!«
»Mein Gott, Boss, denken Sie das tatsächlich von ihm? Von Ihrem eigenen Sohn?«
»Mein Sohn, ja!« Joe Langtry lachte bitter. »Ein Taugenichts und Herumtreiber, ein Kartenhai und Revolverschwinger! Glaub ja nicht, ich habe ihn seit damals aus den Augen verloren und weiß nicht, was er in der Zwischenzeit getrieben hat. Nichts, worauf ich stolz sein könnte! Ich habe von überall her Erkundigungen über ihn eingezogen. Ich kenne das wilde Leben, das er geführt hat. Coltpoker-Larry nennen sie ihn drunten in Arizona und New Mexico. Der Name eines Schießers, dem nichts heilig ist, außer seine verfluchten Karten und sein Revolver! Und da redest du davon, dass ich ihm vertrauen soll!«
»Wenn du dabei gewesen wärst, wie er mir das Leben gerettet hat, Boss, würdest du anders ...«
»Er hat dir das Leben gerettet, um Morrister zu beweisen, was er kann. Möglich, dass er dir auch wirklich helfen wollte. Aber eben nur dir. Du warst ja schon immer der, der am besten mit ihm auskam. Jedenfalls besser als ich. Hat er denn überhaupt von mir gesprochen? Nein, zur Hölle, du brauchst nicht zu lügen, Tate, ich kann mir vorstellen, wie!«
Damit trieb er Slocums hitziges Temperament zum Siedepunkt.
»Und ich kann mir vorstellen«, schnaubte der Oldtimer, »dass es nicht verkehrt wäre, euch beide, nämlich Larry und dich, Boss, ein halbes Jahr in einer Gefängniszelle zusammenzusperren, damit ihr euch besser kennen und vor allem verstehen lernt! Ich habe dich immer für einen harten, aber gerechten Mann gehalten, Boss. Doch dieses Urteil muss ich revidieren. So viel Sturheit hat ja nicht mal im Schädel eines Büffels Platz!«
Noch nie hatte jemand in diesem Ton mit Big Joe gesprochen. Einen Moment starrte er Old Tate verblüfft an. Dann hob er die Faust, als wollte er ihn mit einem Schlag niederstrecken. Auf die Idee, dass Slocum sein Gewehr benutzen könnte, kam er gar nicht. Der scharfe Ruf vom Rand der Hochebene erinnerte Big Joe jedoch rechtzeitig daran, dass es andere und wichtigere Probleme gab.
»Die Frist ist um, Langtry!« Und nach kurzer Pause: »Was denkst du dir eigentlich, du verrückter Kerl? Dass alles nur ein Bluff war? Deine Freundin, Langtry, wird dich in der Hölle dafür verfluchen!«
Erschrocken warf sich der Frachtwagenboss herum.
»Wartet!«, schrie er. »Wir kommen!«
Seine Augen blitzten Enfield und Randlett an, die die ganze Zeit verdattert dastanden. »Habt ihr’s nicht gehört? Auf die Wagen, verdammt noch mal! Wir ...«
Slocums Hand mit dem Gewehr bewegte sich. Der Stahllauf beschrieb einen zuckenden Halbkreis. Sekundenlang schien es, als würde das Unglaubliche geschehen und Big Joe nicht unter dem plötzlichen Hieb zusammenbrechen. Seine massige Gestalt machte noch den Ansatz einer Drehung. Dann gaben seine Beine nach. Aber als würde er von unsichtbaren Schnüren gehalten, fiel er erst auf die Knie und dann langsam nach vorn. Da sich alles hinter dem Wagen und noch dazu im Schatten abspielte, merkten die Morrister Schießer nichts davon.
»Na also, Langtry, warum nicht gleich?« Ein hartes, höhnisches Auflachen vermischte sich mit dem dumpfen Pochen der Hufe, die nun langsam über die mondbeschienene Fläche auf die Frachtwagen zukamen.
Old Tate schluckte und würgte. Es kostete ihn Anstrengung, den Blick von Big Joes schlaff hingestreckter Gestalt loszureißen. Die beiden anderen Frachtfahrer starrten ihn an, als hätte er sich in ein Ungeheuer mit drei feuerspuckenden Köpfen verwandelt.
»Schafft ihn auf ’nen Wagen!«, zischte er. Da hörte er den Hufschlag. Rasch glitt er am Heck des mittleren Fahrzeugs vorbei und richtete entschlossen das Gewehr auf die Reiter. Hochaufgerichtet stand er vor den hellen Planendächern. Der Mond versilberte den Stahl der Waffe. Ruckartig hielten die Revolvermänner ihre Pferde an.
»He, zum Teufel, was ...«
Der Kerl rechts beging den Fehler, die Winchester hochzureißen, die quer vor ihm auf dem Sattel lag. Slocum war zu verzweifelt, um lange zu fackeln. Im Peitschenknall des Schusses, der weit übers mondhelle Plateau hallte, stürzte der Verbrecher vom Pferd. Seine wirbelnden Arme und Beine schlugen Staub hoch, dann lag er still. Entsetzt, für Sekunden unfähig, sich zu rühren, starrte sein bärtiger Kumpan auf ihn.
»Nun hast du hoffentlich kapiert, du Halunke, dass aus dem Geschäft nichts wird«, gellte ihm Slocums Stimme in den Ohren.
In jäher Panik riss der Bandit seinen Gaul herum. Mit gellendem Lachen schickte Old Tate ihm eine ungezielte Kugel nach. Mondlicht tränkte die Staubschwaden, die die hämmernden Hufe hochschleuderten. Gleich darauf war der Reiter in der pechfinsteren Kerbe der Puma Gulch verschwunden.
Als Old Tate auf die andere Seite der Wagenreihe zurücklief, hatten sich Enfield und Randlett noch immer nicht bewegt.
»Ich bin weder vom Teufel besessen, noch übergeschnappt, Amigos!«, keuchte Slocum. Aber sein wildes Grinsen schien das Gegenteil auszudrücken. »Ich will nur zwei Dinge: Mein Wort einlösen, das