Anna Konyev

Der Geruch von Lavendel und die Küche der Sonne


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leugnen. Es gibt viele Legenden über den Ursprung und die Form dieses ungewöhnlichen Brötchens. 1863 belagerte die osmanische Armee Wien und hinterließ während beim Rückzug eine große Anzahl an Säcken mit Kaffeebohnen. Ein Wiener Konditor fand diese und beschloss, frische, duftende, halbmondförmige Brötchen – das Symbol des Sieges über die Türkei – mit orientalischem Kaffee in seiner Bäckerei anzubieten.

      Im 19. Jahrhundert änderten die Franzosen das Backrezept radikal: Man begann, das Croissant aus Blätterteigteig mit Butter zu backen, was den Geschmack des Gebäcks bis zur Unkenntlichkeit veränderte. Es stellte sich heraus, dass das Wiener und das französische Croissant sich nur in der Form ähneln und das Rezept für das moderne Croissant den Franzosen gehört. Das Rezept wurde derart erfolgreich, dass das Croissant bald das „französische Brötchen“ genannt wurde. So besteht auch das traditionelle französische Frühstück aus einem Kaffee und einem Croissant, meistens ohne jegliche Zusätze, sodass man es halbieren und mit Butter und hausgemachter Marmelade bestreichen kann. Wenn man mich fragt, dann beginnt mein Herz jedes Mal härter zu schlagen, allein wenn ich ein Croissant mit Schokolode rieche [10].

      Mein liebster „Franzose“ bevorzugt sein Croissant mit einer klassischen Orangenmarmelade, die uns die Familie Duran jedes Jahr zu Weihnachten schickt. Monsieur Jean schneidet die Orangen mit Schale und fügt etwas Cognac und Gewürze hinzu, um der Marmelade einen besonderen, bitteren und pikanten Geschmack zu verleihen. Wenn wir an Heiligabend die Marmelade genießen, erinnern wir uns so jedes Mal an die warmen Sommertage der magischen Provence.

      Heute waren wir besonders erfreut darüber, dass das nördliche Mistral nicht wehte und die Baumkronen nur leicht schwankten wegen der leichten östlichen Brise und darüber, dass der Himmel so blau war, wie die großen impressionistischen Künstler ihn sahen, und den sie so oft versuchten, im Moment festzuhalten und dessen magisches Lichtspiel auf ihre Leinwände zu übertragen. Es war, als würden wir wieder aus voller Brust atmen lernen, magische Mischungen aus Aromen von Blumen, Honig, Lavendel und Mandeln, Oliven und Weichkäse, Nadelkiefern und endlosen

      Weinbergen wahrnehmen und das Zirpen von Zikaden und köstlichen Gerichten der Südküste Frankreichs genießen.

      Es schien uns, als habe sogar die Butter, die am Morgen von lokalen Milchmännern gekauft wurde, etwas Besonderes, wenn sie im Mund schmelze und den Geruch frischer Sahne entfalte.

      Ein Bild aus einem alten Schwarz-Weiß-Film taucht vor dem geistigen Auge auf, auf dem eine französische Familie am frühen Morgen auf einer kleinen Terrasse an einem runden Tisch versammelt ist und bei einem ungezwungenen Gespräch Früchte aus eigenem Anbau genießt. Eine hübsche, zierliche Frau deckt den Tisch, holt ein frisches, knuspriges Baguette aus einem Holzofen, gießt frische, fettige Milch in einen Keramikkrug und schneidet verschiedene Arten von Ziegenkäse auf einem runden Brett aus Olivenholz auf. Ein grauhaariger Mann holt währenddessen aus einem Korb frisches Gemüse und Obst heraus, das er auf dem lokalen Markt gekauft oder in seinem kleinen Garten selbst angebaut hat und das von den warmen Strahlen der provenzalischen Sonne gestreichelt wurde: Tomaten verschiedener Sorten, saftige weiße Trauben, die sich in der Morgensonne spiegeln, und, natürlich, reife, duftende Feigen, die bereits leicht aufplatzen von der Fülle an Nektar und großen gelb-orangefarbenen Kernen, die auf der Zunge spielen. Zwei liebenswerte Kinder helfen ihrem Vater, den Korb zu sortieren, die Früchte zu waschen und schlemmen nebenbei am knusprigen Baguette, ohne darauf zu warten, bis alle sich an den Tisch setzen. Der Vater kichert nur und sieht seine zwei „Schlingel“ in kurzen Hosen und dem warmen Baguette in ihren Händen an. Nachdem das Familienoberhaupt seinen Platz am Kopf des Tisches eingenommen hat, spricht es das Morgengebet und gießt sich einen belebenden, aromatischen Kaffee ein. Die Mischung aus dem Geruch von Käse und warmer Milch regt noch mehr den Appetit an.

      Die saftigen Tomaten ähneln eher Kalbfleisch in Tomatensauce: fleischig, groß und duftend. Die Kinder zappeln auf ihren Stühlen und warten auf ein Dessert. Es ist so schwer einem Schokoladen-Croissant oder einem Stück von Mamas Kuchen mit Pfirsichen und hausgemachter Schlagsahne zu widerstehen. Am Fenster, in einer alten eisernen Gießkanne, spiegeln sich die von Vincent van Gogh verherrlichten Sonnenblumen in den Strahlen der provenzalischen Sonne wider: Die saftigen Stängel sind mit Lebensenergie gefüllt und die dunklen Kerne drehen sich zueinander und lachen wie Freundinnen, die sich bei einer Tasse Kaffee treffen, um den Sommer in der Provence zu genießen.

      Das Lächeln auf dem Gesicht der Hausherrin sagt viel aus: Sie ist glücklich und obwohl sie nicht viel im Leben gesehen hat, ist ihre Familie – ihr Ehemann und ihre zwei „Schlingel“ – ihr Reichtum. Das Leben geht gemächlich weiter, ohne tiefgreifende Veränderungen und unnötige Hektik. Es bleibt immer Zeit für eine Pause mit einer Tasse Minztee, kopfüber in Erinnerungen an die angenehmsten Momente des Lebens eingetaucht, bei einem Treffen mit alten Freunden oder einem Samstagspicknick am Strand. Man braucht keinen zwingenden Grund, um sich zu versammeln oder um den Sonnenuntergang im warmen Sand der Côte d‘Azur in Begleitung eines geliebten Menschen zu genießen und das Spiel der Sonne in einem Weinglas zu beobachten.

      Nachdem ich einige Stunden beim Frühstück auf der Terrasse verbracht hatte, spürte ich, dass die Sonne meine Schultern nicht mehr streichelte und sie erinnerte mich daran, dass es bald Mittag ist. Zu dieser Tageszeit verwandelt sie sich in einen hartnäckigen, temperamentvollen jungen Mann, dessen leidenschaftliche Küsse noch lange auf der Haut brennen. Anscheinend ist es an der Zeit, die magische Welt der leuchtenden Farben, Gerüche und Ölfarben auf alten Leinwänden von Vincent van Gogh und Paul Cézanne kennenzulernen, die einst an diesen Orten gearbeitet haben.

      Einer alten französischen Legende zufolge beschloss Gott, erschöpft nach der Schöpfung der Welt, einen Ort der Ruhe – seiner Ruhe – zu schaffen: die Provence. Dieses irdische Paradies in Südfrankreich ist seit Jahrhunderten berühmt für seine Lavendelfelder, Olivenhaine, Obstgärten, Meere an provenzalischen Kräutern, engen Gassen der Altstädte und die gemütlichen Buchten an der Côte d‘Azur.

      Wenn man durch die Provence reist, sollte man keine Zeit verschwenden, etwas Neues zu erfinden, sondern sich den Augenblick nehmen, um sich zu entspannen und in die Atmosphäre der Untätigkeit und Harmonie einzutauchen. Wir sprechen nicht nur von der Harmonie aus der Sicht der menschlichen Physiologie oder vom Komfort als untrennbaren Bestandteil der soziologischen Entwicklung der Gesellschaft, sondern auch von spirituellem Gleichgewicht sowie dem Wunsch, etwas Neues zu lernen, die Charaktereigenschaften zu entdecken, die nur einem glücklichen Menschen eigen sind und der Fähigkeit, in Einheit mit Natur und Umwelt zu leben.

      Wir beschlossen, unsere Reise mit dem Besuch eines romantischen Dorfes zu beginnen mit einem reichen historischen Erbe: Ramatuelle. Während ich mich fertig machte, fuhr mein geliebter „Franzose“ ein schneeweißes Page Cabrio aus der Garage, das wir unweit des Flughafens von Nizza gemietet hatten, und begann, die Karte der Côte d‘Azur zu studieren. Unsere Reise bestand aus einem Besuch der Altstadt, der Souvenirläden, einer Kapelle auf dem Marktplatz und der Obstgärten mit den besten Apfel- und Feigensorten. Das Ende des Spaziergangs sollte von einem Mittagessen in einem der alten provenzalischen Keller gekürt werden.

      Die Sonne blendete meine Augen, der Wind wehte durch meine Haare und fabelhafte Aussichten eröffneten sich vor mir: goldene Strände, ein smaragdfarbenes Meer, riesige Palmen und krumme Kiefern, endlose Serpentinen und Berge, die im nebligen Dunst versteckt waren.

      Wir sind es gewohnt, die Wörter „Südfrankreich“ und „Côte d’Azur“ gleichzusetzen. Man muss sich jedoch nur einen Schritt von der üblichen Route entfernen und man befindet sich in der Provence – zwischen Lavendelfeldern und Hügeln, die im Nebel versinken, winzigen Städten und mittelalterlichen Burgen. Alle provenzalischen Städte sind wie Brüder – wenn auch keine Zwillinge, sondern eher Cousins. Helle Häuser mit Ziegeldächern, gepflasterte Straßen, die sich bis zum höchsten Punkt eines malerischen Hügels schlängeln, auf dem ein Schloss, eine Kirche oder ein Glockenturm stehen. Der Sinn der Städte besteht nicht darin, das Spiel „Finden Sie zehn Unterschiede“ zu spielen, sondern sie sollen einen dazu animieren, einfach auf den Hügel zu gehen und die malerische Aussicht auf die nächste provenzalische Stadt zu bewundern, in die Atmosphäre des Friedens