Friedhelm Rathjen

Von Get Back zu Let It Be


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      John scheint in guter Form zu sein, und er hat noch ein zweites neues Stück zu bieten, das er zu eigener Gitarrenbegleitung einmal durchsingt: DIG A PONY (2:23). Zwischendurch setzt er einmal kurz aus, um George, der nach dem Titel gefragt hat, Auskunft zu geben: „Yeah, Dig A Pony!“ Johns Gesang ist großteils sehr sicher, zeigt nur gelegentlich Anzeichen von Selbstparodie; gegen Ende des Durchlaufs hört John dann zu singen auf, um den anderen die Akkordfolge zu demonstrieren. Thema des kurzen Gesprächs, das folgt, ist allerdings die neue Single des Kollegen Eric Burdon, eine schrille Version des Johnny-Cash-Songs Ring of Fire, die John gefällt: „Klingt, als wär er zurück beim House of the Rising Sun!“ Ringo: „Das Konzert, das er gegeben hat – alle Schreiberlinge sagen, das war toll! Das Animals-Konzert, weißt du. Die haben sich wiedervereinigt für den Auftritt.“ Irgendetwas hat Ringo da falsch verstanden, denn Burdon hat die Animals nicht wiedervereinigt, sondern ihre letzte Formation gerade aufgelöst und lediglich ein einziges Konzert mit der Urbesetzung gegeben – aber das Comeback-Thema ist für die Beatles selbst natürlich von Belang, denn sie müssen sich zwar nicht wiedervereinigen, aber das angestrebte Livekonzert wäre doch eine Rückkehr auf die Bühne.

      Aber dafür muss erst einmal geprobt werden, und es müssen Songs her. John spielt ein paar Akkorde und improvisiert dazu einen kurzen Text mit der Schlüsselzeile „Everybody got song“ (0:45), dann setzt er übergangslos zu einem weiteren kompletten Durchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:01) an, an dem George singend und spielend mitwirkt. John scherzt nebenbei, alle seine Songs bauten auf den immergleichen Akkorden auf. Kurz vor dem Ende des Stücks kommt das Spiel fast zum Erliegen, aber George rettet es mit einem Solo, das zwar keineswegs perfekt ist, doch immerhin sein Gefühl für den Song zeigt. Dem Filmteam gibt George zu verstehen, es solle lieber mit der Arbeit bis zum Nachmittag warten, wenn sie ihre Songs besser drauf hätten – aber das ist nicht unbedingt erstgemeint, denn dass die Proben länger als bis zum Nachmittag dauern werden, um präsentable Ergebnisse zu erbringen, ist ohnehin allen klar.

      Das nächste Stück, das die beiden Beatles-Gitarristen – nach wie vor zu zweit – spielen, ist wieder eine Neukomposition von George: LET IT DOWN (1:49). George beherrscht seine Rhythmusgitarre und vor allem den Gesang bereits gut, aber John kommt mit seinem Versuch, eine Solostimme dazu zu spielen, nicht zurecht und witzelt, die angesetzten drei Wochen Probenzeit reichten nicht, um die Akkorde dieses Stücks richtig zu lernen – also bricht George sein Spiel ab, um John die Akkorde zu erklären. Dann setzt er allein noch einmal an, spielt einige Akkordfolgen aus LET IT DOWN (0:31), singt dazu statt des korrekten Textes die aus Johns Song entlehnte Zeile „Don’t let me down“, bricht dann aber erneut ab, weil ihm irgendetwas an seiner Gitarre nicht passt, und fragt, ob jemand einen Schraubenzieher habe.

      Während George an seinem Instrument herumbastelt, nutzt John die Gelegenheit, um auf seiner Gitarre ein schroffes Riff zu improvisieren (0:48); dann muss auch er kurz nachstimmen, bevor er zwei Strophen einer alten Rock ’n’ Roll-Nummer singt und spielt, nämlich Chuck Berrys BROWN-EYED HANDSOME MAN (0:37), teilweise begleitet von George. Und wieder müssen die Gitarren gestimmt werden. Ringo sitzt schon ein ganzes Weilchen unbeteiligt dabei und will nun eine rauchen; George gibt ihm Feuer.

      Sich selbst auf der Rhythmusgitarre begleitend, stimmt John die vorläufigen Eingangszeilen eines weiteren neuen Songs an, entwickelt aus einem Fragment, das schon im Februar 1968 in Indien entstanden war: „Everybody had a hard year / Everybody had a good time.“ Es handelt sich dabei um I’VE GOT A FEELING (1:00). John gelingt eine im Gesang wie auch im Gitarrenspiel sehr entspannte Fassung des Songs, aber Georges Versuche, dieser Fassung passende Tupfer auf der Sologitarre hinzuzufügen, funktionieren nicht recht, weshalb der Song vorzeitig abbricht. Es handelt sich um eines der wenigen Stücke aus den späten Beatles-Jahren, die tatsächlich noch eine Gemeinschaftsarbeit von Lennon und McCartney sind, allerdings im Sinne einer „Kombi-Komposition“: Jeder der beiden Autoren hat einen Teil geschrieben, und die beiden Teile werden dann zu einem Ganzen kombiniert. Schon vor Januar 1969 hatten John und Paul gemeinsam an der Gesamtfassung gearbeitet, aber die Version, die John hier singt und spielt, beschränkt sich weitgehend auf das, was er selbst beigesteuert hat, und unterlegt dem Stück eine entspannte Stimmung, die bei Pauls späterer Weiterentwicklung zugunsten eines drängenderen Gestus über Bord geworfen wird.

      John ist ganz in seinem Element, er gibt sich locker und hat offenbar seinen Spaß am Spielen. Zu diesem Zweck spielt er als nächstes eine kurze, weitgehend instrumentale Version einer Eigenkomposition herunter, die er erst im Vormonat als Demoversion aufgenommen hatte, die aber so klingt, als sei sie schon einige Jahre älter: A CASE OF THE BLUES (0:40). Hier jammt ein John Lennon, der an die Frühzeit seiner Gitarrenbegeisterung denken lässt, und passend dazu beginnt er – nachdem wiederum die Gitarre nachgestimmt ist – mit Georges Unterstützung zu improvisieren: zunächst über die Akkorde zu I’ve Got A Feeling (0:24), dann über Blues-Standardphrasen (0:32). Die blueslastigen Klänge beim Gitarrenstimmen sind charakteristisch für die aktuelle Orientierung der Beatles, die dem Prinzip ‚zurück zu den Wurzeln’ folgt – ein Prinzip, das im Vorjahr auf Teilen des „Weißen Albums“ als Stilprinzip angewendet wurde und bei den Sessions nun zum Spielprinzip werden soll.

      Aber nicht alles ist Blues. Als nächstes spielt und singt John – begleitet von George, der auch den Refrain mitsingt – zwei Strophen seines Songs CHILD OF NATURE (1:52): „On the road to Marrakesh / I was dreaming more or less / And the dream I had was you / And the dream I had was you / I’m just a child of nature / I don’t need much to set me free / I’m just a child of nature / I’m one of nature’s children“. Der Song ist nicht neu, denn im Mai 1968 waren bei den Vorbereitungs-Sessions für das „Weiße Album“ in Georges Haus in Esher mehrere Demoversionen davon entstanden, bei denen die „Straße“ aus der ersten Zeile noch nicht nach Marrakesh, sondern nach Rishikesh in Indien führte. Doch von Indien hat John Lennon erst einmal die Nase voll, und überhaupt passt der verträumte Song nicht recht ins Konzept der neuen Ungeschliffenheit. Letztlich wird eine fertige Beatles-Version des Stückes nie entstehen, aber John wird das Lied später mit neuem Text wieder aufgreifen und auf seinem zweiten Album der Post-Beatles-Ära veröffentlichen, als Jealous Guy.

      George fragt derweil, wo eigentlich das Mischpult sei, ihm missfällt offenbar, dass man sich nicht im Aufnahmestudio befindet und keine vernünftige Technik zur Verfügung hat. Aber es soll ja auch nichts aufgenommen, sondern nur geprobt werden. John spielt kurz das Riff von REVOLUTION (0:06) und umreißt für die Umstehenden das ganze Vorhaben: „Wahrscheinlich schreiben wir schnelles Material gemeinsam, wisst ihr, wir alle zusammen.“ George jedoch tut das Gegenteil: Er beginnt, Bob Dylans I SHALL BE RELEASED (1:48) zu singen und zu spielen. John spielt und krächzt mit, geht dann in eine unfertig klingende Neukomposition mit fragmentarischem Text über: SUN KING (2:20+).

      Es ist jetzt elf Uhr, und nach halbstündigem, einigermaßen beschwingtem Geklimper beginnen George und Ringo zu nörgeln: über die Hitze, die von den Scheinwerfern des Filmteams ausstrahlt, über den Standort des Schlagzeugs, über die ungewohnte „Tagschicht“ (die Beatles und ihre Helfer arbeiteten üblicherweise vom Nachmittag bis in die Nacht hinein). John improvisiert noch etwas über die Takte von Sun King, diesmal aber etwas härter, und leitet dann – unterstützt von George und schließlich auch Ringo – in eine rockig-schroffe Version von DON’T LET ME DOWN (4:16) über. Währenddessen erscheint Paul McCartney, von George mit Neujahrswünschen begrüßt. Paul sieht seinen alten Höfner-Bass auf der Bühne stehen, an dem noch die Liste mit der Stückfolge von ihrem letzten Liveauftritt 1966 in San Francisco klebt (im Studio verwendet er einen neueren Bass), und bemerkt laut, dass es ein Rechtshänderinstrument sei. Regisseur Lindsay-Hogg bittet die Beatles, doch ihre Verstärker etwas runterzufahren, weil er sonst Schwierigkeiten habe, mit seinen Kameramikrofonen die Gespräche aufzunehmen. George ist perplex: „Ach, du nimmst unsere Gespräche auf?“ Paul findet das eher belustigend.

      John ist gerade in Spiellaune und hat offenbar keine Lust auf Gespräche, also setzt er wieder zu DON’T LET ME DOWN (3:24) an, unterstützt von George, der aber findet, ihre Gitarren seien nicht richtig gestimmt. Der Text des Songs ist noch nicht fertig, weswegen das Spiel mitunter ins Stocken gerät. Paul wirft ein beherztes „Yeah, don’t let him down, oh Lord“ ein und gibt ein paar Basstupfer zu.

      Dann stimmt er singend und Bass