Gitarre stimmt George erst einmal sein vom Vortag schon bekanntes Stück ALL THINGS MUST PASS (1:40) an, möchte es aber nicht als Solovortrag verstanden wissen: „Es wäre nett, wenn ich ein bisschen Schlagzeug dazu hätte.“ Paul drischt lärmend auf Ringos Instrument ein und singt ein paar Harmonien mit. Zu Pauls gewalttätiger Trommelei passt die leise Akustikgitarre nicht, also wechselt George zur E-Gitarre und spielt eine weitgehend improvisierte Instrumentalversion von DON’T LET ME DOWN (1:59). Passenderweise taucht kurz darauf der Autor des Songs auf, John, natürlich mit Yoko. Zum gemeinsamen Warmwerden legen die Beatles (nun wieder mit Ringo am Schlagzeug) eine recht schroff rockende Improvisation (2:59) hin. John hält sich noch zurück; die anderen drei gehen in eine von viel Spielfreude gezeichnete Version von Bo Diddleys CRACKIN’ UP (2:08) über, gefolgt von einer weiteren Improvisation (2:44), jetzt mit einem schnelleren Rhythmus. George spielt und singt (mit Pauls Unterstützung) noch ein Fragment aus CRACKIN’ UP (0:26), dann macht er (wiederum mit Pauls Begleitgesang) mit Elvis Presleys ALL SHOOK UP (1:05) weiter; auch Ringo trommelt ein bisschen mit. Alle drei scheinen Spaß zu haben; es ist, als wollten sie ihre undisziplinierte Frühphase wieder aufleben lassen, und so folgen übergangslos noch drei Songs aus ihrem damaligen Repertoire: YOUR TRUE LOVE (1:42) und BLUE SUEDE SHOES (1:32) von Carl Perkins sowie THREE COOL CATS (2:11) von den Coasters. Der bekennende Carl-Perkins-Fan George singt dazu die Melodiestimme, während Paul und nun auch John nach Kräften mitgrölen. Sowie sie fertig sind, tut John so, als verlese er Songwünsche von ihren ersten Fanclubs, der „Bulldoggenbande“ und der „Zementmixergilde“.
Die Beatles finden hörbar Gefallen an der Alberei und versuchen sich in dieser Laune an einer Art Hillbilly-Version von Dylans BLOWIN’ IN THE WIND (0:33+), dann an Little Richards LUCILLE (2:26), gekennzeichnet von Pauls Krächzern und Kieksern, die den Vortragsstil von Little Richard imitieren sollen. Opfer solcher parodistischen Verwurstungen können aber auch die eigenen Songs werden. So reißt Paul seine Kollegen in eine wie besoffen klingende Version der Lennon-Komposition I’M SO TIRED (2:14) vom „Weißen Album“, die er mit Anspielungen auf Alkohol und Drogen anreichert. Dann ist Pauls eigene Komposition OB-LA-DI, OB-LA-DA (1:26) dran, getragen von einem karibisch-hüpfenden Bassrhythmus und karnevalistischen Gesangseinlagen von Paul und John. Paul äußert sich abfällig über den aus Nigeria stammenden Congatrommler Jimmy Scott, der behauptet hatte, den Ausdruck „ob-la-di, ob-la-da“ habe Paul von ihm gestohlen, und dafür gern Tantiemen erhalten hätte.
Paul improvisiert auf dem Bass einen wummernden Soul-Rhythmus und singt dazu mit tiefer Stimme „Get On The Phone“ (0:47), weil irgendwo ein Telefon klingelt. John möchte mitspielen, doch sein Verstärker geht nicht, ein Problem, das Mal Evans auf Georges herablassende Anweisung hin behebt. Während die kleineren technischen Schwierigkeiten ausgeräumt werden, wummert Paul nochmals den Rhythmus von Ob-La-Di, Ob-La-Da herunter, während John mit viel Hall Akkorde von Don’t Let Me Down anreißt. Paul schlägt vor, den Song zu proben, und singt wiederholt die gleichen Textzeilen aus DON’T LET ME DOWN (0:21). Mal Evans wird losgeschickt, um den Text zu holen, nach weiterem Rumgealbere wird aber erst einmal das THIRD MAN THEME (1:48) aus dem berühmten Nachkriegsfilm Der dritte Mann gespielt (eine Nummer aus dem frühen Liverepertoire der Beatles). Dann folgt auf fragmentarische Gitarren- und Bassriffs und einen Ad-hoc-Gesang von John plötzlich ein kurzer Song in schnellem Tempo, der wie ein 50er-Jahre-Standard (oder eine Parodie darauf) klingt, aber offensichtlich ein Augenblickseinfall von John (mit Beigaben von Paul) ist; der Text besteht aus sinnlosen Floskeln mit der Schlüsselformulierung „Negro in reserve“ (0:43).
Damit kann endlich die ernsthafte Probenarbeit beginnen. John singt und spielt sich beherzt durch DON’T LET ME DOWN (3:20); nach anfänglichem Zögern machen die Kollegen mit, und es wird ein sehr sicherer und kompetenter Durchlauf, dessen Struktur nichts mehr von der Unklarheit verrät, die den Song noch am Vortag gekennzeichnet hat. Paul versucht sich an einer improvisierten Gegenstimme (eine Idee, die später wieder aufgegeben wird); John hingegen probiert kurz vor Ende des Stückes einen eingeschobenen Sprechgesang mit Variationen auf Zeilen aus Happiness Is A Warm Gun: „And when I hold you in your arms / And I feel your pancake next to my trigger“. Außerdem will John, dass George seiner Gitarre einen Sound entlockt, wie er ihn auf Long, Long, Long hinbekommen hatte – George erklärt John (der damals bei der Aufnahmesession nicht dabei war), dass er den mit seiner Gibson unter Zuhilfenahme der Studiotechnik hinbekommen habe und nicht (wie von John vermutet) mit einer bundlosen Gitarre, aber John ist das egal – er will nur diesen Sound haben.
Inzwischen ist es zwölf Uhr. Die Beatles arbeiten noch etwa eine halbe Stunde an Johns Song weiter, zum Teil konzentriert an einzelnen Problempassagen, spielen DON’T LET ME DOWN (2:22) dann aber auch wieder komplett durch. John: „Ich frag mich, wie lang es ist. Stop mal die Zeit, Mal. Wahrscheinlich ist es nur eine halbe Minute lang.“ Nach ein bisschen Detailgefummel, einer von John fabrizierten parodistischen Kurzform von OB-LA-DI, OB-LA-DA (0:03) und zwei Fehlstarts (bei denen Paul auffällt, dass die inzwischen installierte Lautsprecheranlage nicht funktioniert) spielen sie also noch einmal komplett und mit großer Sicherheit DON’T LET ME DOWN (2:40). Das Stück klingt nun sehr kompakt und dabei bereits relativ ausgefeilt. Während John ein paar Takte von SUN KING (0:05) klimpert, verrät Mal Evans das Ergebnis des Mitstoppens. Paul: „Das ist unglaublich! Es klingt wie bloß ...“ John: „... eine halbe Minute!“ Paul: „Okay.“
Wenn etwas gut und okay ist, soll man es sich nicht durch Überdruss verderben. Also weiter zu einem anderen Stück – Paul animiert seine Mitspieler zu einem Komplettdurchlauf von I’VE GOT A FEELING (3:57), dem neuen Gemeinschaftswerk von Lennon/McCartney. Der Durchlauf klingt recht beschwingt, aber noch nicht ausgefeilt, weshalb die unvermeidliche Detailarbeit an einzelnen Passagen folgt. Paul will eine bessere Überleitung haben und probiert ein paar Möglichkeiten durch; beim Versuch, eine Variante mit voller Lautstärke im Duett zu singen, kann John, dessen Stimme nicht hoch genug reicht, nur in Blödeleien verfallen: „So früh morgens, und ich bin nicht mehr achtzehn!“ Nach einigen weiteren Teilproben wird I’VE GOT A FEELING (3:27+) nochmals in ganzer Länge durchgespielt, mit vollem Einsatz, wenn auch John bei seinem Gesangspart ins Parodistische abgleitet. Paul, der sich durch große Teile seines Parts hindurchkreischt, äußert die Befürchtung, auf diese Weise rasch seine Stimme zu verlieren. Man geht dazu über, wieder gezielt einzelne Passagen nachzubessern, aber jedes „Oh yeah!“ muss einen um Pauls Stimme fürchten lassen – sie klingt schon etwas heiser, und außerdem scheint Paul für einen Moment das erklärte Live-Prinzip vergessen zu haben, als er Gitarren-Overdubs in Betracht zieht. Zur Erholung improvisiert er ein leicht an Ob-La-Di, Ob-La-Da erinnerndes Bassriff (0:22) – das Signal, dass nach mindestens zwanzig Minuten Arbeit an I’ve Got A Feeling erst einmal wieder Entspannung angesagt ist.
Am Vorabend waren Canned Heat im englischen Fernsehen aufgetreten, und Paul schwärmt: „Die Canned-Heat-Nummer – das Ding liebe ich, das neue.“ Also singt und spielt er es kurz an: GOING UP THE COUNTRY (0:06). Besonders gefällt ihm die Flöte in dem Stück: „Fast keine Seele drin – aber es ist toll. Und das Ende ist toll, weil sie einfach ein falsches Ende machen: dudududududududschmmdschmm.“ George ist derselben Meinung und spielt und singt eine Zeile aus dem vorherigen Hit der Band, ON THE ROAD AGAIN (0:05). Lässig und gleichzeitig kraftvoll finden Paul und George den Canned-Heat-Sound, und lässig und kraftvoll ist auch das, was Paul und John als nächstes anstimmen: ONE AFTER 909 (3:05). Alle vier Beatles sind sofort mit ganzer Kraft (wenn auch unsauberer Instrumentierung) dabei, denn es ist eine alte Lennon/McCartney-Nummer, geschrieben irgendwann zwischen 1956 und 1959 und zu hören in Aufnahmen von 1960 und 1962 sowie 1963, als bei den Sessions zur Single From Me To You mehrere Takes aufgenommen, aber nie veröffentlicht wurden. Der ungeschliffene Klang, in dem dieser alte Song im Januar 1969 geprobt wird, ähnelt erstaunlicherweise mehr der Urversion von 1960 als der kultivierteren (und dadurch langweiligen) Fassung von 1963 – und genau das entspricht natürlich dem Prinzip ‚zurück zu den Anfängen’, dem die Beatles hier huldigen. Sie haben viel Freude an dem rustikalen Stück, nur John erhebt Einwände: „Ich wollte schon immer den Text umschreiben.“ Paul, schüchtern kichernd wie ein schwärmerischer Schuljunge: „Aber nein – der ist toll!“ Beide blödeln noch mit dem simplen Text herum, als George einwirft: „Vielleicht sollten wir das Ding einfach spielen, ohne es zu üben. Vielleicht macht Übung es kaputt.“
Da sie gerade bei Uraltmaterial sind, stimmt John eine weitere