H. T. Thielen

DAS MEDIZIN-ESTABLISHMENT


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ihrer Studie ein vergleichbares Ergebnis erhalten. Jeder zweite Studierende nannte den sozialen Status in seinem späteren Beruf als sehr wichtige Begründung für die Studienwahl. Neben den persönlichen Interessen und Stärken spielen daher die späteren Verdienstmöglichkeiten sowie die Zukunftssicherheit des Arztberufes eine signifikante Rolle bei der Wahl des Studienfaches Medizin.58)

      Das Ergebnis der Studie ist naheliegend, denn Ärztinnen und Ärzte genießen ein hohes gesellschaftliches Prestige. Laut einer Forsa–Umfrage zählen Ärzte zu den Berufsgruppen, vor denen die Deutschen am meisten Achtung haben (87 %).59 Im Übrigen ist allgemein bekannt, dass Ärzte weltweit mit zu den Topverdienern in der Gesellschaft gehören. So sind die späteren Verdienstmöglichkeiten in Verbindung mit sozialem Ansehen bei den Medizinstudenten verständlicherweise ein äußerst relevanter Aspekt bei der Studienwahl.

      Die Popularität des Medizinstudiums zeigt sich demzufolge auch in einer enormen Nachfrage nach den vergleichsweise wenigen Studienplätzen. Um den Bedarf an medizinischem Fachpersonal abzudecken – die personellen Anforderungen infolge steigender Krankheitsfälle nehmen in Deutschland stetig zu60 – wurde das universitäre Angebot in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Jährlich bewerben sich gegenwärtig etwa 43.000 Abiturienten auf rund 9.200 Studienplätze, und die Tendenz zum Arztberuf ist weiter steigend.61

      Wer heute Humanmedizin studieren will, der muss sich, im Vergleich mit anderen Fachdisziplinen, auf eine längere Studienzeit einstellen. Abhängig vom Bundesland und der jeweiligen Hochschule sind ca. 12 bis 14 Semester obligatorisch.

      Der Verlauf des anspruchsvollen Medizinstudiums ist durch die Approbationsordnung62 von 2002 geregelt und unterteilt sich im Regelfall in drei Teilgebiete: die vorklinische Ausbildung, sie dauert ca. zwei Jahre und vermittelt die theoretischen Grundlagen, den klinischen Teil, er dauert ca. drei Jahre und verbindet Theorie und Praxis, sowie das abschließende praktische Jahr.

      Als sogenannte „Vorklinik“ werden die ersten vier Semester des Medizinstudiums bezeichnet. In dieser Phase werden die grundlegenden, naturwissenschaftlichen Fächer Chemie, Biologie, Biochemie, Anatomie, Physiologie und die medizinische Psychologie / Soziologie vermittelt. Das sogenannte Physikum, das erste Staatsexamen, stellt den Schlusspunkt dieser Stufe dar.

      Im sich anschließenden klinischen Abschnitt steht das Erlernen des therapeutischen Handelns im Mittelpunkt. Er ist in zwei Phasen gegliedert: die klinisch-theoretischen und die klinisch-praktischen Fächer.

      Zur ersten Phase zählen Fächer mit eher geringem Patientenkontakt und therapeutischer Tätigkeit wie die Radiologie, die Immunologie oder die medizinische Mikrobiologie. Zur zweiten Phase gehören die klassischen kurativen Fächer wie z. B. Innere Medizin, Chirurgie oder die Psychosomatik. Abgeschlossen wird der klinische Teil mit der zweiten ärztlichen Prüfung, die auch als Hammerexamen bezeichnet wird.

      Die dritte und letzte Phase ist das praktische Jahr. In dieser Phase sollen die angehenden Mediziner auf die spätere Tätigkeit als Assistenzarzt vorbereitet werden. Dieser Abschnitt findet unmittelbar in einer Klinik oder einem Krankenhaus statt, meist in den Bereichen innere Medizin oder Chirurgie. Den Abschluss bildet die dritte ärztliche Prüfung; nach erfolgreicher Abnahme erhalten die Mediziner die sogenannte Approbation und dürfen den Titel Arzt tragen.

      Das klassische Medizinstudium in der Bundesrepublik Deutschland vermittelt in den jeweiligen Fachgebieten grundlegende Kenntnisse, Qualifikationen und Kompetenzen auf hohem Niveau. Die Zielvorstellung der Ausbildung ist eine Ärzteschaft, welche für eine differenzierte medizinische Versorgung, im Sinne der Behandlung von kranken Menschen, qualifiziert ist.)

      Mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ stellten Bund und Länder die Weichen für die Ausbildung der nächsten Medizinergeneration, welche den Herausforderungen einer modernen Industriegesellschaft stärker gerecht werden soll. Er sieht signifikante Korrekturen bei der Studienstruktur und den Ausbildungsinhalten vor. Im Schwerpunkt wird die Ausbildung praxisnäher und bedarfsgerechter. So wird durch die Vermittlung arztbezogener Fähigkeiten der Stellenwert des Allgemeinmediziners im Studium deutlich verbessert, nicht zuletzt, um dem Fachkräftemangel in den ländlichen Gebieten entgegenzusteuern.

      Durch die Neuausrichtung des Medizinstudiums nähert man sich dem internationalen Standard, der Allgemeinmedizin schon in der universitären Ausbildung ein breiteres Gewicht zu verleihen. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in vielen europäischen Ländern ist der Facharzt für Allgemeinmedizin bereits eingeführt, da man erkannte, welche zentrale Rolle den Hausärzten schon heute und verstärkt in Zukunft zukommt.63

      Die weiterführende Promotion zum „Dr. med.“ an einer deutschen medizinischen Hochschule wird international wohl anerkannt, jedoch sehr ambivalent betrachtet. Im Schwerpunkt geht es um das wissenschaftliche Arbeiten in einer methodisch-orientierten Qualifikation als forschender Wissenschaftler. Diese zum Forschen und Lehren erforderlichen Kompetenzen finden in den nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalogen Medizin (NKLM) nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Man sollte sie daher grundlegend überdenken und sich an den internationalen Standards orientieren. Selbst der deutsche Wissenschaftsrat (WR) und auch der europäische Forschungsrat (ECR) vertreten die Ansicht, dass Qualität und Quantität der Promotion nicht dem wissenschaftlichen Anspruch eines Doktorgrades in anderen Fachdisziplinen bzw. dem „Philosophiae Doctor“ (PhD) in anderen Ländern entspricht.64

      Summa summarum befähigt das Studium der Medizin in Deutschland absolut für eine Betätigung als Arzt im traditionellen Sinn. Es ist qualitativ hochwertig aufgebaut und bietet die gängigen Wissens- und Praxiselemente, um erkrankten bzw. verunfallten Menschen in den unterschiedlichsten Einrichtungen, wie beispielsweise einer Klinik oder der eigenen Praxis, zu helfen.

      Gleichwohl gibt es moderne medizinisch-wirksame Forschungsansätze, welche, zusammen mit den komplementär-medizinischen Heilverfahren, zahlreiche tradierte Praktiken der Schulmedizin infrage stellen, und den Patienten eine günstigere Heilungschance versprechen. Sie wurden bisher weder in Forschungsprojekten auf ihre Evidenz untersucht noch in den Qualifizierungsrahmen der Ärzteausbildung aufgenommen.

      Bekanntlich sind auch die Curricula der medizinischen Hochschulen inhaltlich nicht werteneutral, sondern den gesellschaftlichen Mächten unterworfen. Dies hat zur Folge, dass die approbierten Ärzte in der Praxis nur die schulmedizinisch anerkannten Wissenselemente anwenden können bzw. dürfen, die an den Universitäten und in den Weiterbildungen vermittelt werden – das sind Sachkenntnisse, Fähigkeiten und Weiterentwicklungen auf der Basis der virchowschen Zellularpathologie, und das sind verbindlich festgelegte Inhalte, beschlossen unter der Federführung der pharmazeutischen Industrie.

      Das Ergebnis ist eine Medizin, die sich dogmatisch auf eine antiquierte, rein organische Ebene konzentriert – Krankheiten sind organische Störungen und werden durch Medikamente und Apparaturen beseitigt. Neuere medizinische Forschungsansätze und natürliche ganzheitliche Heilverfahren werden zugleich herabgewürdigt oder konsequent abgelehnt. Anstatt diese fortschrittlichen Forschungserkenntnisse weiter zu entwickeln oder auch die wirksamen und günstigen traditionellen Naturheilverfahren auf einen zeitgerechten Stand zu bringen, werden Milliardenbeträge in schulmedizinische Entwicklungen, also in teure Medikamente und technisch-apparative Weiterentwicklungen, gepumpt – alles zum Wohle der Industrie.)

      Das Gesundheitswesen hat viele Facetten. Neben die Schulmedizin – sie hat gewiss ihren hohen Stellenwert – gehören zukünftig definitiv die Naturheilkunde, komplementär-medizinische Heilmethoden65 und vor allem die Krankheitsprävention, das sind die Strategien zur Lebensführung der Menschen, um die Entstehung von Erkrankungen zu unterbinden. Eine moderne und ambitionierte medizinische Ausbildung muss im Sinne einer integrativen Medizin zwingend alle Disziplinen miteinschließen, welche den Gesundungsprozess der Patienten unterstützen. Vervollständigung, nicht Unterdrückung, muss das Credo einer modernen Medizin heißen. Insbesondere der Prävention, also der Verhinderung von Erkrankungen, muss größere Bedeutung zugeordnet werden, denn jede Therapiemaßnahme ist vollkommen überflüssig, wenn keine Erkrankung auftritt!

      Medizinstudium und Unabhängigkeit

      „Mediziner kann nur derjenige genannt werden, der als den letzten Zweck