Wilma Franck

BEGEGNUNGEN - Komische Vögel und Zeitfreundschaften


Скачать книгу

sie scheinbar interessiert in die vorbeiziehende Landschaft blickt, fragt sie sich, ob sie bedauert, dass es zu keinem klärenden Gespräch gekommen ist. Irgendwie hatte es sich einfach nicht ergeben, denkt sie und will damit ihre Angst rechtfertigen, die sie dann doch hatte. Dabei war sie so entschlossen, als sie im Strandhaus angekommen waren. Aber es ist immer eine so verflixte Sache mit dem richtigen Zeitpunkt, entschuldigt sie sich weiter, er ist einfach niemals wirklich da.

      Sie fährt mit ihrer Hand über ihr Kinn, wie sie es immer tut, wenn sie tief in Gedanken versunken ist und sich im Stillen ärgert. Ja, sie ärgert sich. Ärgern über sich selbst. Ärgern aber auch und ganz besonders über ihren Mann.

      Gelassen, so scheint es, lenkt er den Wagen über die fast schnurgerade Autobahn. Die Klimaanlage würde er gern noch kühler einstellen, ihm ist furchtbar heiß. Innerlich verdreht er die Augen und unterdrückt einen Seufzer, denn er weiß genau, dass es nicht die Hitze im Wagen ist, die ihm zu schaffen macht. Vielmehr ist es sein unter Hochdruck arbeitendes Inneres. Das Herz klopft zum Zerspringen und wenn er nicht sehr aufpasst, wird der Klumpen in seinem Magen wieder für gehörigen Druck sorgen.

      Sie hatten nicht geredet. Irgendwie war es ihm gelungen, dem aus dem Wege zu gehen. Er staunt gerade, wie sehr es ihm zur Gewohnheit geworden ist, genau zu erspüren, wann die Gefahr einer ernsthaften Unterhaltung droht. Kopfschütteln ist jetzt nicht möglich, obwohl er es gern tun würde. Aber vielleicht fällt es ihr dann auf? Womöglich könnte er dann ein Gespräch nicht abbiegen.

      Hätte ihm noch gefehlt – ausgerechnet jetzt eine endlose Diskussion während der Autofahrt.

      So fährt er rasch dahin, der dunkelrote Wagen, auf dem der feine Staub des Strandsandes haftet. Gemeinsam mit der schönen Bräune seiner Haut sind das die einzigen Spuren, die der Urlaub sichtbar hinterlassen hat. – In seinem Innern jedoch sind tiefe Eindrücke eingegraben. Eindrücke, die schmerzen, und die ein Unbehagen hinterlassen, das seit den letzten drei, vier Tagen nicht mehr weichen will.

      Aber der redet ja nicht mit mir, denkt sie mit leichter Verzweiflung und starrt auf die weite Ebene hinaus. Es klopft ein arger Kopfschmerz in ihren Schläfen. Er breitet sich aus in die Gegend gleich über den Augen. Poch. Poch. Poch. Sie hätte vorsichtshalber doch ein Aspirin nehmen sollen. Diese Hitze … aber da stellt sie fest – wie er soeben auch – dass es nicht an der Hitze liegt. Wie in ihm so tobt auch in ihr ein Aufruhr.

      Sie hätten besser reden sollen! Den richtigen Augenblick gibt es nicht. Also ist jeder Moment so gut und richtig wie jeder andere. Verdammt, flucht sie, und würde das gern laut hinausschreien.

      Zwei Wochen geballte Zweisamkeit … jetzt seufzt er doch leicht, aber für sie unhörbar. Die Zeit erschien ihm wie eine Ewigkeit. Der Rückweg kann ihm gar nicht schnell genug gehen. 160 km/h zeigt der Tacho. Recht so! Nix wie zurück in den Alltag! Wohltuender Alltag. Beruhigende Monotonie. Zurück auch zu ihr. Zu der Frau, die sehnsüchtig auf ihn wartet, die genau wie er es nicht erwarten kann, dann sich bei ihr anzulehnen, sich ihren Armen anzuvertrauen. Die Augen schließen und aufatmen will er! Sie riechen, aufsaugen und nie mehr loslassen …

      Er riskiert einen Seitenblick und ist entsetzt über die Anspannung ihres Gesichts. Schockiert! Was mag in ihr vorgehen? Aber fragen? Oh no! Das ist jetzt ganz einfach nicht drin. Er fürchtet die Antwort, die Reaktion. Hier, ausweglos eingesperrt im dahinrasenden Auto.

      Also gibt er sich Mühe, wieder auf die Straße zu achten, über der die Hitze der Sonne flirrt.

      Die Tage zogen zwei Wochen lang träge dahin. Das Wetter war schön und sie haben das Übliche getan: Strandspaziergänge, Lesestunden im Liegestuhl, Lesestunden auf der Terrasse im Liegestuhl, Radtouren, Essen … geredet haben sie – aber nur das Übliche eben.

      Ihm wird die Kluft zwischen ihnen deutlicher denn je. Diese Kühle, die immer frostiger wird, je länger dieser Schwebezustand anhält. Was soll er tun? Was will er überhaupt? Ja, nach Hause. Ja, und vor allen Dingen zu ihr, in ihre Nähe. Sich entspannen, Energie tanken, lachen, reden und ganz besonders: lieben. Sich anvertrauen, hingeben, gemeinsam fallen.

      Noch ein Seitenblick … hab ich diese Frau je wirklich geliebt, fragt er sich und ist überrascht, dass ihm ausgerechnet jetzt diese Frage durch den Kopf schießt. Ja, natürlich habe ich sie geliebt. Und ich liebe sie noch, aber … was, zum Teufel, habe ich denn gegen sie? Was ist nicht in Ordnung mit ihr? Mit mir? Mit uns! Und wird denn mit einer anderen Frau alles anders? Anders auf jeden Fall. Besser? Aber wird er wirklich glücklicher, und verschwinden seine Beschwerden, die ihn so plagen, wenn er mit einer anderen Frau ein neues Leben beginnt? Fängt dann nicht alles von vorne an?

      Diese letzte Frage hat er sich jeden Tag gestellt, wenn er scheinbar in seine Lektüre vertieft war. Er kriegt einfach keine Ordnung in das Gefühlschaos, das da in ihm gärt. Überhaupt will er all diese Gefühle lieber nicht ansehen. Wenn er ihnen auch nur den kleinsten Raum gibt, fallen sie regelrecht über ihn her und bringen alles durcheinander.

      Einige Zeit nach dem Urlaub.

      Es ist schrecklich! Ihre Stimmung wird immer bedrückender. Nach außen die zufriedene Ehefrau zu spielen, fällt täglich schwerer. Der Kummer wächst in ihr unermesslich und würgt ihre Kehle.

      Warum hört das nicht auf, fragt sie sich. Warum hört er nicht auf damit? Vor ein paar Wochen noch dachte ich, es sei wie eine Erkältung – vorübergehend.

      Damals, da war es doch auch so …

      Aber er hört nicht auf. Woche für Woche fährt er zu dieser Frau. Glaubt er denn, sie merkt das nicht? Sogar den Freunden und Nachbarn ist seine Veränderung nicht entgangen. Sie schließt einen Moment die Augen, lehnt am Fensterrahmen und blickt in den Garten.

      Er strahlt richtig. Seine Augen sind wach und glänzen freundlich. Seine Art hat eine Leichtigkeit bekommen, wie sie sie schon seit längerem nicht mehr sah. Zumindest, wenn er bei ihr war. Doch kaum hat er die Tür hinter sich geschlossen und sie sind allein in diesem schönen Haus, dann hüllt er sich wieder in dieses tiefe Schweigen und in einen unsichtbaren Mantel aus Unbestimmtheit.

      Dieses wunderbare Haus, aus dem das Leben ausgezogen zu sein scheint. Die Ruhe – so sehr von beiden geschätzt – wirkt wie ein dunkles Tuch und erstickt die Lebendigkeit, die meistens anwesend war, solange das einzige Kind noch bei ihnen lebte. Jetzt ist es fort und Stille liegt in jedem Winkel, hängt im Raum bedrohlich schwer.

      Sie seufzt. Warum hört er nicht auf? Eine vorübergehende Affäre hätte sie vielleicht doch noch einmal verzeihen können. Aber es nimmt kein Ende. Sie hatte im Urlaub mit ihm reden wollen. Fernab von zu Hause würde die Atmosphäre entspannt genug sein, einmal ganz ehrlich über alles zu reden. Dachte sie. Aber die Gelegenheit ergab sich nicht. Beide waren erfolgreich darin, keine Gelegenheit entstehen zu lassen, um miteinander zu reden.

      Als sie wieder zu Hause waren, dachte sie, es wäre vielleicht eine Möglichkeit, die Existenz einer Geliebten im Leben ihres Mannes einfach zu akzeptieren. Einfach sicher nicht, denkt sie, aber mit der Zeit könnte sie sich vielleicht daran gewöhnen. Letztlich sitze ich am längeren Hebel, so überlegte sie wenige Tage nach der Rückkehr. Verheiratet und abgesichert fühlt sie sich. Außerdem muss ja niemand von dieser blöden Geschichte etwas wissen. Und ein Hasenfuß ist er ja sowieso. Niemals würde er am Gefüge seines bequem eingerichteten Lebens rütteln. Viel zu viel wäre zu regeln. Unannehmlichkeiten ohne Ende! Und in seinem Alter … Nein, sie war sich einige Tage ganz sicher, dass er es nicht wagen würde, sich von ihr zu trennen. Alles viel zu kompliziert, zu peinlich und beschwerlich.

      Aber das lag nun schon ein paar Wochen zurück.

      Draußen beginnt es zu regnen. Novemberwetter! „Das passt ja zur Stimmung“, flüstert sie und versucht erneut, den Kloß im Hals hinunter zu würgen. Ihre Augen sind feucht. Eine Träne kullert unerlaubt befreit über ihre Wange. Dabei will sie gar nicht mehr weinen. Wozu? Es ändert doch nichts. Immer noch fährt er zu dieser Frau, und sie erinnert sich an den Tag, als sie zum ersten Mal selbst dorthin gefahren war.

      An einem warmen Sommertag war sie aufgebrochen und zielgerichtet dorthin gefahren. Als sie abfuhr hatte sie keine Ahnung, was sie dort wollte.