Wilma Franck

BEGEGNUNGEN - Komische Vögel und Zeitfreundschaften


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als sie in die Straße einbog, wo die Frau wohnt, verkrümelte sich der spärliche Mut und machte ängstlichem Unbehagen Platz.

      So parkte sie ihren kleinen Wagen am Straßenrand in einigem Abstand von dem Haus, in dem ihr Mann mindestens einmal pro Woche für Stunden verschwand und danach seltsam beschwingt zu seinem Auto lief, um nach Hause oder in die Firma zu fahren. Sie überlegte noch, dass die Frau ja vielleicht gar nicht zu Hause war. Aber genau in der Sekunde öffnete sich die Tür und heraus trat eine sportliche Frau mit kurzem Haar und fröhlichen Augen. Sie trug den Abfall zur Mülltonne und schaute anschließend in den Briefkasten.

      Eine hübsche Frau, das musste sie gestehen. Jünger? Das war auf diese Entfernung nicht einzuschätzen. Aber eine sympathische Person mit einer starken positiven Ausstrahlung.

      Sie startete ihren Wagen und fuhr langsam an der Frau vorbei, die für einen ganz kurzen Moment von ihren Briefumschlägen aufsah und einen flüchtigen Blick mit ihr wechselte. Sekunden nur, aber gefühlt wie eine kleine Ewigkeit. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich enorm und sie fühlte sich, als wäre sie bei einer verbotenen Tat erwischt worden. Einige Meter hinter der Einfahrt zu jenem Haus trat sie auf das Gaspedal und verließ eiligst die kleine Straße im Wald.

      Wieder zu Hause angelangt ging es ihr schlecht. Übelkeit lastete auf ihrem Magen und der Schädel schien explodieren zu wollen unter dem Druck tausender Gedanken. Diese Heimlichkeiten auf allen Seiten taten grauenvoll weh.

      Warum hört er nicht auf damit? Sie selbst ist am Rande des Erträglichen angelangt. Nein, es muss endlich Schluss sein damit. Und sie fühlt plötzlich Hass in sich aufsteigen. Seit über einem Jahr macht er mir nun etwas vor, denkt sie zornig. Heuchelt den Treusorgenden, Pflichtbewussten, macht allen etwas vor und scheint nicht eine Sekunde daran zu denken, wie weh mir das tut. Glaubt er denn, ich bin blöd? Und was soll ich mit einem Mann, der aus bloßem Pflichtbewusstsein an meiner Seite lebt? Der nicht den Mut zur Aufrichtigkeit hat?

      Liebe suche ich, brauche ich. Nähe, Zärtlichkeit und Geborgenheit will ich. Und was bekomme ich? Einen Mann, der nur noch bei mir ist, weil er meint, er muss.

      Allmählich wird sie ruhiger. Das Herz schlägt friedlich, der Druck in ihrem Kopf lässt nach. Eine gefährliche Ruhe ergreift mehr und mehr Besitz von ihr. Oh, sie kennt diese Stimmung, in der sie – selten zwar in ihrem Leben, aber doch unvergessen – die wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens traf.

      Das Leben ist vorübergehend, denkt sie. Das ist normal. Krisen kommen und gehen und sind dazu da, Menschen daran wachsen zu lassen.

      Affären können geschehen, wenn eine Ehe in Schieflage gerät. Seitensprünge tun dem Partner weh. Wenn eine Beziehung stark genug ist, ist eine Affäre, einen Seitensprung – sofern er vorübergehen und im Idealfall einmalig ist – vielleicht sogar heilsam.

      Langsam richtet sie sich auf, nachdem sie geraume Zeit auf dem Sofa gelegen hat. Sie geht in die Küche, bereitet das Abendessen, wie gewohnt. Aber heute ist es doch anders. Heute wird sie dieses Ritual zum letzten Mal durchführen.

      Plötzlich lächelt sie und stellt fest, dass ihre Ehe heute vorüber gegangen ist.

      ENDE

      Ein Käfig voller komischer Vögel

       Auszug aus Biancas Tagebuch

      Münster, im Mai 2006

      Ich bin so wütend!

      Vermutlich liegt die Wut gleich neben der satten Portion Frust, und beide zusammen rumoren um die Wette in meinem Innern. Was ist los mit den Männern in diesem unserem Land, frag ich mich. Alles nur noch Scheinromantiker, ewigjungbleibenwollende Mittvierziger, herz-, empathie- und seelenlose Nervenendenreizer, spirituell Dauerreisende, Psychowracks in Endlostherapie oder ständig Dauergebuchte in der Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt? Schrecklich nervig finde ich auch die Allejahrewiederkommer, Nichtloslassenkönner, Nichtsversteher und Worthülsenredner.

      Es steht echt schlimm um euch, Männer! Ehrlich, manchmal tut ihr mir ja leid. – Manchmal aber nur!

      Die spirituell Weltreisenden geraten wegen schräger Stimmungslage auf eine Besinnungsreise ins Innere. So was kann dauern, selbst wenn es mit „voller Kraft voraus“ zur Sache geht.

      Als Otto mir das offerierte, schien er Anfang der Woche noch ziemlich aufgeräumt, wirkte lustig, mit kessem Spruch auf der Lippe und war ein zuversichtlich gestimmter Zeitgenosse. Gestern Abend dagegen wankte das Zuversichtsgefüge nicht nur erheblich, sondern es war einfach sang- und klanglos eingestürzt. „Auf bald“, ließ er mich wissen und beschloss (einsam), es mit einer „Online-Pause“ zu versuchen, weil das Netz ja gewissermaßen Abhängigkeitscharakter habe. Abhängigkeit ist das Schlagwort für mich.

      Otto erzählte mir was von Drogen, und nach seiner eigenen Aussage meldeten sich die alten Schwierigkeiten immer wieder und forderten ihren Tribut: viel Wein trinken, anderen Leuten eins vor den Latz knallen – sprich: ein betrunkener Stinkstiefel sein. Er scheint ein multiabhängiger Netztrinksurfer zu sein, der sich bei schräger Stimmung einen Spaß draus macht, andere Menschen zu verletzen. Letzteres mit Absicht?

      Seiner eigenen Schilderung gemäß hätte er sich bereits vor 10 Jahren beinahe ins Jenseits befördert, wenn ihn nicht im rechten Augenblick seine kleine Tochter auf den Boden irdischer Tatsachen zurückbeordert hätte. Und dann – oh, Wandelwunder – hatte das Leben nach dem Kappen der Nabelschnur plötzlich wieder einen erhöhten Sinn (Gott sei Dank). Das Wunder des Lebens als Lebensretter? Jo! Ist ja nix Neues!

      Soll der mal reisen, wohin auch immer. Nach innen, nach außen und vielleicht auf ‘ne einsame Insel. Die kann er ja im Innern wie im Außen finden. Aber auf jeden Fall ohne mich. Seit dieser Geschichte macht er Therapie und viel Herzarbeit, Tantra mit und ohne Guru, halt das volle Programm eines Weltreisenden in Sachen Spiritualität.

      Hatten wir schon, davon lass ich die Finger – wie gesagt: ohne mir!1

      Ich hab mich ja deswegen auch schön zurückgehalten. Wegen der Online-Pause, und so. Ich respektiere ja den Willen eines Menschen grundsätzlich und zutiefst. Allerdings meldete er sich doch zwei Tage nach seiner „Ausstiegsmeldung“ per Mail. Ich entdeckte gleichzeitig, dass er trotz „Pause“ gelegentlich einen Beitrag bei dem, von und beiden oft frequentierten, Forum kommentiert hatte. Online-Pause? Na ja, ein Versuch muss ja nicht immer sofort gelingen. Hab ich volles Verständnis für.

      Heute sehe ich Otto aber klarer, viel mehr, als ihm lieb sein kann. Neulich hatte er wissen wollen, welcher Epoche meines Lebens denn das aktuelle Bild im Internetportal angehöre.

      Da keimte Unbehagen in mir, weil ich ihm das nicht auf die Nase binden wollte. Ich, die ich doch immer und jedem gegenüber mein Herzchen auf der Zunge trage und drauflos plaudere, wenn jemand was über mich wissen wollte. Ich konnte mir meine Weigerung gar nicht recht erklären. Ich wollte einfach nicht drüber reden.

      So deutete ich lediglich an, dass da mal eine Geschichte war, die es zu überwinden galt, und das Foto sei unmittelbar danach entstanden. Seine Hoffnung, ob der Schmerz von einst denn überwunden sei, beantwortete ich mit: „Als mir klar wurde, welche Verantwortung ich selbst an der Sache trug, war es gut. Alles, was uns im Leben widerfährt, haben wir schließlich selbst zu verantworten.“

      Komisch, ich dachte mir schon während ich ihm das schrieb, dass ich damit etwas geäußert hatte, was er als Manipulation auffassen würde – die er ja stets und ständig überall und von jedermannfrau fürchtete. Garantiert! Aber wie sich herausstellte, war’s noch viel schlimmer. Ich hatte nämlich den Finger erheblich tiefer in eine seiner Wunden gelegt, die einfach nicht verheilen wollte.

      Wie dem auch sei! Gestern fand eine Veranstaltung statt, und er kam nicht, wie versprochen, zu dem fröhlichen Beisammensein live und in Farbe des von uns lebhaft unterstützten Forums. „… Baby, da begegnen wir uns und verlieben uns ineinander und werden heiraten, du wirst sehen …“ hatte er zuvor noch virtuell geflötet. Tja, aber wie Se sehen, sehen Se nix! Er glänzte trotz seiner klaren Zusage mit Abwesenheit. Das Forum-Team war nicht unenttäuscht.

      Irgendwie war ich weniger überrascht. Ich hatte rein gefühlsmäßig